Bob Dylan hat sie alle überlebt. Nicht nur Elvis, Cash, Hendrix, Lennon, Petty, Cohen, sondern auch elf US-Präsidentschaften von Kennedy bis zu Donald Trump. Einst als „Judas“ beschimpft, nennt er inzwischen den Nobelpreis für Literatur sein eigen, Ehrendoktorwürden (in Princeton schon 1970), auch ein eigenes Archiv in Tulsa/Oklahoma. Wie begeht man den 80. Geburtstag dieses Mannes der Never Ending Tour in Zeiten, in denen große Konzertevents wie 1992 im Madison Square Garden unmöglich sind? Ein Weg ist die Bereicherung der inzwischen fast unübersehbaren Dylan-Literatur weltweit, die eigene Klassiker hervorgebracht hat. Vier jubiläumsgerecht erschienene deutschsprachige Bücher gehen diesen Weg. Herausgegeben oder geschrieben von Kenn
I Want You
Literatur Der Sinnstifter einer Generation wird 80. Ein Streifzug durch vier neue Bücher, die zu Bob Dylans Geburtstag erscheinen

„Allein dadurch, dass Bob Dylan immer weitermacht, gibt er uns allen Hoffnung.“
Foto: Cinema Publishers Collection/Imago Images
ennern der Materie – Musikern, Musikkritikern, Wissenschaftlern, auch „Celebrities“. Geben die uns eine Antwort auf die Frage nach der Aktualität des Songwriters?Zuerst erschien Wolfgang Niedeckens Hommage, der schmale Band eines Wohlmeinenden, den man einfach nur nett finden kann. Das Buch, in wenigen Wochen auf Kreta geschrieben, ist im Kern die Geschichte der Dylan-Dokumentation, die Niedecken 2017 im Auftrag des WDR in die USA führte. Auf den Spuren seines Vorbilds versteht sich. Es gibt Anlass für Anekdoten aus dem langen Fan-Leben eines inzwischen selbst berühmten Zeitgenossen. Wir erfahren, dass dieser Dylan eine Lap-Steel-Gitarre aus Hannover (!) in Saarbrücken persönlich überreichen durfte, wie sehr Dylan in dessen Alltag präsent ist (selbst bei Urlaubsfahrten mit der Familie), wie Niedecken dessen Meisterwerke adaptiert oder für sein eigenes Songwriting verwendet. Man wäre gerne mit Niedecken von Washington, Woodstock über Duluth, Hibbing und New Orleans nach Kalifornien gereist, all den Weggefährten Robert Zimmermans begegnet und hätte unterwegs alle 39 Studio- und 16-Live-Alben gehört.Auch in Maik Brüggemeyers (pop-)literarischer Anthologie Look Out Kid ist viel die Rede davon, was Dylan für seine Zeitgenossen bedeutet(e). Wir lernen ein Panoptikum der Dylan-Jünger kennen. Tino Hanekamp ist zum Beispiel in Mexiko auf der Suche nach einer allerletzten unentdeckten Dylan-Story. Für viele ist der Songwriter das Vehikel für (ge- oder misslungene) Emanzipationsversuche. So in Frank Goosens Schilderung der Erstbegegnung mit „Bob Dülahn“ im Ruhrgebiet oder in Brüggemeyers Studentenzeit-Reminiszenz, in der Dylans auf dem Cover von Blonde On Blonde verewigte Wildlederjacke als Leitmotiv fungiert.Dieb, Vagabund, KünstlerBenedict Wells, vor Jahren schon mit einem veritablen Dylan-Roman unterwegs (Becks letzter Sommer), hier nur mit einem schmalen Anti-Beitrag beteiligt, schwärmt auf Facebook von Tom Kummers „superber Kurzgeschichte über Dylans Wandel in den 60ern“, mehr noch aber von Judith Holofernes’ Übersetzung von I Want You. Spricht aus Wells sein schlechtes Gewissen, wenn er schreibt: „Ich bin noch nicht ganz durch, aber schon jetzt kann ich sagen: es ist eines der besten Bob-Dylan-Bücher, die ich je gelesen habe, einschließlich seiner Chronicles.“In Brüggemeyers Anthologie wird Autorinnen der ihnen gebührende Raum gegeben, so Bernadette La Hengst, Teresa Präauer oder Marion Brasch, deren Bruder Thomas wir das bitterschöne Gedicht Und der Sänger Dylan in der Deutschlandhalle verdanken. Wie wichtig Frauen für das Dylan-Narrativ sind, demonstriert auch der mit zahlreichen Bildern angereicherte Interviewband Forever Young. Neben Joan Baez kommen Patti Smith, Suzanne Vega, Carla Bruni sowie Martina Gedeck (mit gescheiten Reflexionen) und – man glaubt es kaum – die EU-Chefin Ursula von der Leyen zu Wort. Die Herausgeber des Bandes, Stefan Aust und Martin Scholz, sind offenkundig bestens vernetzt. Sie stellen meist unschwer Kontakt her zu zahlreichen prominenten Musikern (Townshend, Niedecken, Plant, Elvis Costello, Jean-Michel Jarre), Schriftstellern (Navid Kermani, T.C. Boyle, Dan Brown,), Politikern (Cohn-Bendit, Otto Schily), was für Überraschungen sorgt, der Intensität der Interviews aber nicht immer guttut. Trotz einiger anekdotischer Ausrutscher – (müssen wir wissen, dass Frau von der Leyen gerne singt, wenn sie nicht gerade politisiert, dass Reinhold Messner mit Dylan den Uluru erklettern möchte oder Cohn-Bendit Dylan zu seinem Geburtstag einlud, natürlich vergeblich?) – sind einige Interviews dicht und dokumentieren den heute kaum vorstellbaren Eindruck, den Dylan bei seinen Generationsgenoss*innen hinterlassen hat. Wer denkt daran, dass Gene Simmons von Kiss Dylan zu seinem „Helden“ deklariert, der „über der Musik und auch der Politik“ steht, oder dass der Elektromusik-Pionier Jean-Michel Jarre für die phonetischen Elemente von Dylans Lyrik schwärmt. Zu den Höhepunkten gehören die Gespräche mit Pete Townshend und Suzanne Vega. Für den Who-Chef war Dylan jemand, dem jeder zuhörte, „weil das, was er sagt, für alle Sinn ergibt, weil es sie zusammenbringt“. Dylan – Gesicht und Sinnstifter einer Generation. Der – so Kermani – ein Amerika repräsentiert, das Inspirationsquelle für alle Protestbewegungen seit den 60er Jahren war, nicht so „verkopft“ wie unsere 68er. Vega kommt dem, was die Liebe zu Dylan ausmacht, nahe. Der hat nie vorgegeben, ein netter Mensch zu sein, sich lieber präsentiert als Dieb, Vagabund und Künstler. „Und, seien wir mal ehrlich, wir lieben ihn gerade wegen dieser Eigenschaften, wegen seiner Schalkhaftigkeit.“Die prägt die Interviews, die Heinrich Detering in seinem schönen Gesprächsband zusammengestellt hat. Sie sind ein tröstlicher Ersatz für das, was unter den Jubiläumspublikationen fehlt: der längst überfällige zweite Band der Chronicles, Dylans Autobiografie. Die frühen Interviews sind Lehrstücke in Sachen Nonkonformismus, Einübung in das Unterlaufen von Erwartungen, Nonsens als Maskierung eines hintergründigen Sinnes. Mit bühnenreifen Performances beginnt eine Serie von Interviews, die Dylans Entwicklung und Irrwege über sechs Dekaden nacherleben lassen. In den seltenen Gesprächen der vergangenen Jahre begegnet uns jemand, der voller Respekt ist für andere Musiker, nicht nur für Woody Guthrie oder Sinatra, der seine Rolle als Klassiker des Songwritings reflektiert, erstaunlich frei ist von der alten Hybris, die selten noch aufblitzt. Viel erfährt man über sein Selbstverständnis als Künstler, dessen Aufgabe er einmal mit Henry Miller dahingehend bestimmt, „die Welt mit Desillusionierung zu impfen“. Bis heute ist bei allen Wandlungen und Neuerfindungen – da hat Detering recht – Dylans politisch-moralischer Wertekanon stabil, unverändert ist aber vor allem sein Glaube an das, was man „Song“ nennt – in dem von Dylan immer wieder neu definierten, entgrenzten Sinn.Die von Aust / Scholz Interviewten sind sich weithin einig: Dylan ist noch nicht ausgeschrieben. Man schätzt sein Alterswerk. Aber ist er nicht ein Anachronismus in einer Zeit, in der die Bedeutung von Musik deutlich abgenommen hat und die Simplifikationen des Mainstream-Diskurses der sozialen Netzwerke künstlerischen Subtilitäten wenig Raum lassen? Das Gesicht welcher Bewegung könnte er heute sein? Die besprochenen Bücher geben keine bilanzierende Antwort. Townshend und Vega sind unschlüssig. Aber der Nachfahre türkischer und ukrainisch-jüdischer Immigranten ist, wie er sagt, noch nicht wie Rimbaud an dem Punkt angekommen, mit dem Schreiben aufzuhören und in Afrika mit Waffen zu handeln. Zum Glück. Denn wie T.C. Boyle nicht ohne Pathos festhält: „Allein dadurch, dass Bob Dylan immer weitermacht, gibt er uns allen Hoffnung.“Placeholder infobox-1