Pilgerfahrt in die Provinz

Kosmische Fragen Bob Dylans "The Drawn Blank Series" in den Kunstsammlungen Chemnitz

In dem späten Songpoem Highlands schildert Dylan nebenbei, wie er Kunst produziert. Er sitzt in einem Restaurant. Allein. Eine Kellnerin erkennt ihn, bittet um ein Porträt. Er wirft ein paar Linien aufs Papier, die Porträtierte ist keineswegs geschmeichelt. Sie erkennt sich nicht wieder. Der Zeichner konfrontiert sie mit seiner Wahrheit und stiehlt sich aus dem Restaurant, zurück auf die Straße. 1994, wenige Jahre vor dem musikalischen Ausflug nach Schottland erschien bei Random House ein Bildband mit dem Titel Drawn Blank. Er enthielt Zeichnungen, angefertigt während einer Tournee. Erfrischend unprätentiös war die Aufmachung. Als Cover ein Bild, das mit Klebeband notdürftig befestigt ist. Keine Seitenzahlen, keine Titel, nicht einmal eine Signatur der Bilder, die laut Vorwort helfen sollten, einen unruhigen, kränkelnden Geist zu besänftigen. Manche Skizzen waren lediglich Linien, die ins Ungewisse führen, Ausschnitte, die auf ihre Komplettierung warten. 1994 waren die großen Spätwerke nach Time Out Of Mind noch nicht erschienen. Dylan präsentierte sich nicht selten unkonzentriert, seiner selbst unsicher.

Nun ist man unterwegs nach Chemnitz, wo man den Bildern wieder begegnen wird - jetzt in einer präsentationsfähigen Überarbeitung - koloriert und im ehrwürdigen Kontext einer Kunstsammlung. Ingrid Mössinger, die Generaldirektorin, hat dies auf den Weg gebracht, überzeugt von der künstlerischen Qualität der amerikanischen Legende, die in diesem Herbst erstaunlich präsent ist. Todd Haynes Dylan-Film I´m Not There wurde erfolgreich in Venedig präsentiert, Paul William publizierte den dritten Band seines Dylan-Epos auch hierzulande, Heinrich Detering eine Einführung bei Reclam, bei Suhrkamp erschien ein Reader zur Frankfurter Internationalen Dylan-Konferenz: Bringing It All Back Home. In den Hitparaden, selbst in den Single-Charts trifft man auf den Songwriter Dylan. Auch Dylan als bildender Künstler ist uns eigentlich längst vertraut. Mit den Plattencovern von Self Portrait, Planet Waves und The Band hat er millionenfach verbreitete Klassiker der Cover-Kunst geschaffen. Sein erstes Buch hieß Writings and Drawings und enthielt neben Faksimiles bildnerische Kommentare zu Songs. Kein Rezensent versäumt in diesen Tagen, in denen die FAZ ironisch die Frage "Brauchen wir mehr Dylan" debattieren lässt, einen Verweis: In den Siebzigern hat Dylan in New York reguläre Kunstkurse besucht - eine Erfahrung, die der Musiker als conditio sine qua non für eins seiner Meisterstücke Blood On The Tracks betrachtet.

Was soll´s? Auf der Pilgerfahrt in die Provinz (nach Weimar heißen Stationen Stadtroda, Meerane oder Hohenstein-Ernstthal), in der Dylan als Maler seine offizielle Premiere erlebt, lesen wir Previews aus der FAZ bis zur OTZ. Der monotone Medienrummel verstimmt. Journalisten monieren in immer gleichen Versatzstücken den "Expressionismus für den Hausgebrauch" (FR) oder schwärmen von der Leistung einer Frau Nössinger - (Thüringer Allgemeine). Egal. Von Belang ist letztlich das Werk.

Es ist heiß in dem überfüllten Vortragssaal der Chemnitzer Kunstsammlungen. Frau Moessinger wird angemessen euphorisch gefeiert. Nach der Kuratorin sprechen die Politiker, an diesem Abend allesamt Dylan-Fans. Der Attaché der amerikanischen Botschaft reklamiert Dylan für die freie Welt und erinnert an unruhige Zeiten, als Chemnitz noch Karl-Marx-Stadt hieß. Nach solcher Nostalgie und während die Bildreporter gehen, ergreifen die Fachleute das Wort. Martin Rennert, Präsident der Berliner Universität der Künste referiert über Dylans zeichen- und medientheoretische Modernität, Frank Zöllner vom Leipziger Institut für Kunstgeschichte kündigt den eigenen Vortrag von Dylan-Songs an, spricht dann aber doch lieber über "Ansichten - Views". Keine Spur von Happening. Kein Heroe der Rockkultur stört das Akademische.

Nach dem Imbiss (Wein plus Brezeln) drängt das Premierepublikum in Richtung Ausstellung. Was ist zu sehen? Wer die Verbildlichung der großen Dylan-Themen erwartet, wird enttäuscht: Statt Protestsongs und Pamphleten gibt es ruhige, fast statische Ansichten von Städten, Landschaften und Menschen. Statt Rauschphantasien in surrealer Expressivität sieht man sich mit einem Blick konfrontiert, der sich an Dinge und Details herantastet, wie man es von Prosaimpressionen Peter Handkes kennt. Als wolle sich der Betrachter, versunken in ihre Perzeption, ihrer Realität versichern. Keine Endzeitbilder, sondern Stillleben in einem Leben, das sich in Hotellandschaften abspielt. Dylan ist Beobachter, er sieht genau hin, weil er sich lebenslang fragt, was das eigentlich sei, die sogenannte "Realität".

Rasch erkennen wir in der Kunstpraxis den Dylan, den wir als Musiker erleben. Den Spieler mit Formen und Variationen, die sich zueinander verhalten. Dylan irritiert. Jedes Motiv offeriert er in farbigen Versionen, die unterschiedliche Wirkungen erzielen. Die Freiheitsstatue wirkt mal statuarisch, dann böse oder dämonisch. Neben ihr die Rückenansicht einer männlichen Figur, die den Schriftzug "Cowboys" trägt. Keine Fackel der Freiheit brennt. Wir lesen den Schriftzug: "Rape is not sex." Die serielle Technik der Bilder macht den Rundgang zu einem überraschenden Hin und Her, wobei sich die Vielfalt auch auf Figuratives bezieht; etwa bei dem Beinahe-Triptychon Corner Flat: die Frauenfigur der Bleistiftskizze wird in den Überarbeitungen zu einem Mann unterschiedlichen Alters. Der Künstler nähert sich den Dreamgirls ebenso ironisch wie dem Guitar Player. Die Landschaften und Stadtbilder atmen eine Ruhe, während den Interieurs eine solche bemerkenswert fehlt.

Während ich mit einer Expertin die Hängung der Bilder diskutiere, werden wir vom freundlichen Museumspersonal gebeten, die Ausstellung zu verlassen. Es ist gegen neun Uhr. Feierabend in Chemnitz.

Wir gehen und suchen Trost im opulenten Ausstellungskatalog. Noch einmal streifen wir die überraschend vitalen Bilder und begeben uns dann in die Analyse des Bildmaterials. Selbst scheinbar idyllische Objekte wie das Still Life With Peaches, schreibt Frank Zöllner, irritieren, indem sie die Zentralperspektive aufgeben, Unruhe stiften. Das Serielle in Dylans Kunstproduktion entspricht seinem Wesen als performativer Künstler: Es gibt kein fertiges Werk, es entsteht immer neu und anders im Vollzug. Jens Rosteck macht sich an eine kleine Kulturgeschichte der Mehrfachbegabungen, die Doppelbetätigungen gegen ihre Verächter verteidigend. Dylan pflegte seinen Status als performing artist und suchte ihn stets zu transzendieren - auf dem Pfad zum virtuellen "Meisterwerk".

Schließlich pointiert Picassos Nichte, Diana Widmaier Picasso, Dylans Nähe zu ihrem berühmten Verwandten: Dylan wie Picasso ging es letztlich um kosmische Fragen: Was ist Realität, was ist pures Phänomen? Sie scheut sich nicht, den frühen Topos vom Propheten Dylan zu reaktivieren.

Auf der Rückfahrt im ICE fangen wir Wortfetzen eine Mutter ein, deren Sohn verspätet nach Köln, dann nach Usbekistan, dann nach Afghanistan fliegt. Wir reflektieren: Hat Dylan in der Chemnitzer Ausstellung sein Meisterwerk gezeigt, das er in den siebziger Jahren mit feiner Ironie besungen und mit dem er - maskiert - sein filmisches Experiment Renaldo eröffnet hat? Vermutlich nicht. Vergleicht man das uns bekannte frühe Werk des malenden Musikers mit der Drawn Blank-Serie, finden wir ihn wieder: den Mann der Masken. Auch in der Malerei gibt es nicht nur einen Dylan. Ein Selbstportät, das um 1970 entstand, steht zu den Tourskizzen um 1990 in einem Kontrast, der den Brüchen seiner musikalischen und lyrischen Entwicklung ebenbürtig ist. Verlässt man Chemnitz, so ist man angenehm überrascht. Waren wir nicht zuvor allesamt skeptisch bis zynisch? Man hofft auf eine Präsentation, die uns an den Wegen, Pfaden und Irrwegen, die Dylan gegangen oder über die er gestolpert ist, teilnehmen lässt. Wie mögen die Bilder der Blonde On Blonde-Periode aussehen, wie die der Gospelphase? Dylan sollte uns den Rest seines malerischen Werks nicht noch länger vorenthalten.

Bob Dylan The Drawn Blank Series. Bis 3. Februar 2008 in den Chemnitzer Kunstsammlungen.

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