Antifaschismus auf Container-Format

VERBOTSDEBATTE Die Politik hätte weit bessere Möglichkeiten, die NPD schnell und wirksam auszutrocknen. Das hieße aber, eigene Privilegien zu beschneiden

Parteien kann man sich wie Kandidaten in einem Container vorstellen: Sie buhlen in einem medial überwachten Paralleluniversum um die Gunst des Publikums. Jetzt hat die Mehrheit der Parteien eine andere nominiert, weil diese, die NPD, sich nicht an die Spielregeln hält. Das Bundesverfassungsgericht darf entscheiden. So einfach ist das mit dem NPD-Verbot. FDP-Generalanimateur Guido Westerwelle jedenfalls konnte sich der Zustimmung sicher sein, als er bei einer Big-Brother-Visite den Antifaschismus auf RTL-Format brachte. Und siehe da: Laut Politbarometer befürworten zwei Drittel der Deutschen ein Verbot der Rechtspartei.

Vielleicht ist aber die Debatte, ob die NPD verboten gehört, etwas komplizierter, als es dem durchschnittlichen Container-Bewohner im Plauderton vermittelbar ist. In der nachrichtenarmen Augusthitze machte der bayerische Innenminister Günther Beckstein das Verbot mit schnittigen Formulierungen zum Thema. Für Beckstein ein Sommerlochtraum: Sein Name in aller Munde, die Ausländerfeindlichkeit so gut wie besiegt. Eine durch und durch griffige Aktion aus Bayern, während andere nur gutgemeinte Worte hatten.

Die Regierung Schröder erkannte den Charme der Münchner Masche: Ihr liegt der schnelle Aktionismus eher als die langwierige Problemlösung. Was soll man sich mit kostspieligen Erziehungsprojekten in Ostdeutschland herumschlagen, wenn doch die NPD einfach verboten werden kann? Wisch und weg. Otto Schily und Günther Beckstein durften sich fortan als das knallharte Traumduo der Law-and-Order-Fans profilieren.

Ihre Argumentation geht nicht etwa - wie der einschlägige Artikel 21 Absatz 2 des Grundgesetzes - von einer Gefährdung der Demokratie aus. Für sie zählt Effizienz im Kampf gegen Ausländerfeinde. Ist die NPD verboten, so genießt sie nicht länger die Privilegien der Parteien, sprich: keine Wahlkampfkostenerstattung, keine Wahlwerbung im Rundfunk, kein besonderer Zugang zu öffentlichen Einrichtungen. Ohne solche Privilegien werde die rechte Szene entscheidend geschwächt. Gut so, befanden die Macher Schily und Beckstein, und mit ihnen eine bunte Koalition von Wolfgang Clement bis Jürgen Trittin, von PDS bis CSU.

Nicht minder überraschend ist aber die Gruppe der Skeptiker. Die FDP, Roland Koch und Friedrich Merz, viele Grüne und einige Sozialdemokraten wie Ute Vogt wiegen die Köpfe. Ihr Handicap ist die Eigendynamik der Debatte: Zweifel am Verbotskurs könnten als Weißwaschen der Braunen ausgelegt werden, und mit jedem skeptischen Satz könnten die Rechten an Legitimation gewinnen. So wird Kritik unmöglich - das Niveau allerdings auch. Doch der Verweis auf die unheilvollen Wechselwirkungen schafft eine gewichtige Sorge nicht aus der Welt: Das Bundesverfassungsgericht selbst könnte sich genötigt sehen, aus Mangel an Beweisen der NPD einen Persilschein auszustellen.

Nachdem der Geist aus der Flasche war, verengte sich deshalb das Ringen um ein Verbot auf die Diskussion der Erfolgschancen. Hatte der neue Antifa-Stammtisch die Rechnung ohne den Wirt gemacht? Bekanntlich mögen es die Karlsruher Richter nicht, wenn Politiker immer dann den Weg zu ihnen finden, wenn ihnen in einer verkorksten Situation nichts besseres einfällt. Auch die zwei Präzedenzfälle machen wenig Hoffnung auf ein rasches NPD-Verbot: Die Entscheidungen von 1952 gegen die Sozialistische Reichspartei und 1956 gegen die KPD atmeten den Geist der Zeit. Die Erinnerungen an die NSDAP waren frisch, die Angst vor dem Osten groß, die Demokratie noch schwach. Für das KPD-Verbot setzten sich die Verfassungshüter auf über 300 Seiten der amtlichen Entscheidungssammlung mit Geschichte und Ideologie der Kommunisten auseinander, fünf Jahre brauchten sie, um ihren Spruch zu fällen. Danach setzte eine Hexenjagd auf KPD-Anhänger ein, die kein gutes Licht auf das Verbot warf. Kurzum: die Latte für ein Verbot heute liegt höher.

Hinter all dem Maßnehmen, hinter dem lauten Unmut über leise Zweifel am Erfolg des Antrags, trat dessen Sinn und Zweck zurück. Gedacht ist das Parteiverbot als Mittel der abwehrbereiten Demokratie: Nach dem Scheitern der Weimarer Republik wollten die Verfassungsgeber den parlamentarischen Aufstieg von verfassungsfeindlichen Parteien erschweren. Schließlich hatte sich die NSDAP kontinuierlich im Weimarer System nach oben gekämpft, bis sie 1933 die Macht übernahm. Doch Artikel 21 ist inzwischen umstritten. Unter Staatsrechtlern wird das Parteienverbot als Fremdkörper im demokratischen Verfassungsgefüge kritisiert. Der Bremer Professor Ulrich Preuß schreibt, die Verfassung könne über Art. 21 zur »Stigmatisierung politisch unliebsamer Ideen« missbraucht werden -das Gesinnungsstrafrecht lässt grüßen.

So ließe sich spannend diskutieren, ob nicht 6.000 in einer Partei organisierte Verfassungsgegner eher zu ertragen sind als der Bruch einer freiheitlichen Verfassungstradition, die seit über vierzig Jahren ohne das scharfe Schwert des Parteienverbots auskommt. Wenn man denn dürfte.

Der weise Doyen des deutschen Staatsrechts, Klaus Stern, hat einen Weg aus der tabugeschwängerten Debatte gewiesen. Durch eine Reform der Wahlkampfkostenerstattung, so Stern, könne der NPD der staatliche Geldhahn zugedreht werden. Damit baut er die Brücke zu einem anderen großen Sommerthema, das noch ohne schneidige Forderungen geblieben ist: Werden die Privilegien der Parteien rasiert, schwindet die Gefahr, dass sich über die Parteibildung rechte Gewalttäter etablieren. Eine offene Debatte darüber stünde einer »streitbaren Demokratie« besser zu Gesicht als der mediale Rummel im Polit-Container, wenn einer scharfe Schwerter zückt.

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