Tingeln und Wettern

MEDIENTAGEBUCH Öffentlich-rechtliches Fernsehen bald ganz ohne Werbung?

Im Jahr 1999 erschien Saarbrücken plötzlich auf der prestigeträchtigen Wetterkarte des ZDF. Wer nach Gründen dafür suchte, wurde von der zuständigen Redaktion nach oben verwiesen. Auch dort konnte keiner so recht erklären, warum gerade das 188.000-Einwohner-Städtchen mit dem sperrigen Namen den Sprung auf die Mattscheibe schaffte. War es Zufall, dass just zu diesem Zeitpunkt der saarländische Ministerpräsident in den mächtigen ZDF-Fernsehrat einzog? Mehr Hochs hat es seitdem jedenfalls weder in Saarbrücken, noch im ZDF gegeben.

Jürgen Rüttgers, CDU-Chef in Nordrhein-Westfalen, hätte aber gern mehr Hochs, oder jedenfalls weniger Flaches. »Ich will Qualität statt Masse«, hat er in einem Beitrag für die Süddeutsche Zeitung geschrieben. Ihn wurmt, dass sich ARD und ZDF immer weiter dem Niveau von RTL und Sat1 annähern, und ihn wurmt wohl auch ein bisschen, dass pfiffigere Politiker als er - Westerwelle, Möllemann, Gysi - öfter durchs Programm tingeln. Rüttgers Weg zur Qualität: Die - ohnehin eingeschränkte - Werbung bei ARD und ZDF will er komplett abschaffen, um die Sender vom »Quotenterror« zu erlösen.

Weg mit der Werbung? Da jubelt jeder, dem die penetrante Telekom-Terz in den Ohren schmerzt; jeder, der e-on den Konkurs wünscht, auf dass Frau Ferres nicht mehr als Möchtegern-Sexbombe durchs Bild trampelt; jeder, dem die Becks-trunkene Sail-Away-Crew auf die Nerven geht. Ist ja wunderbar: Einst wollte Kohl noch die ARD zerstören, jetzt erwärmt sich seine Partei für Qualitätsberichterstattung. Und der »Kinder statt Inder«-Populist ist Vorreiter des differenzierten Journalismus. Da kann doch etwas nicht stimmen. Und es stimmt auch etwas nicht. Rüttgers zwingt, für Werbung zu werben.

1. Gute Werbung regt an - nicht nur zum Konsum. Wenn die DEA-Family den Soap-Quatsch verulkt. Wenn otelo verliebte Teenager karikiert. Wenn Aktion Sorgenkind neue Farben und Formen findet. Solche Spots machen Laune. Wichtiger: Sie verändern die Sehgewohnheiten. Ohne die Ästhetik der Werbefilmer wären die Programme womöglich heute noch so verschnarcht wie zu Zeiten der Aktuellen Kamera.

2. Werbung ist gut, weil sie als solche erkennbar ist. Wer weniger einnimmt, fängt selten an zu sparen. Er wird versuchen, das Defizit anders auszugleichen, etwa mit Sponsoring und Product Placement. Schon heute ist das allabendlich zu beobachten: Bei Sport-Events rauben läppische Gewinnspielchen den Moderatoren die Zeit. Kulturformate werden von kulturlosen Unternehmen »präsentiert«. In Spielfilmen tauchen Requisiten auf, deren Hersteller die Verwendung großzügig fördern. Die Botschaften, vielleicht demnächst noch subtiler, schleichen sich ins Gehirn. Das ist unangenehmer, als wenn die Mainzelmännchen ankündigen, dass nun die Industrie auf den Geldbeutel ansetzt. Dicke Werbeblöcke lassen immerhin genug Zeit, Chips zu holen.

3. Werbung finanziert. Wenn Rüttgers den Grundversorgern nur noch Gebühren gewähren will, die die TV-Nutzer ohnehin unwillig zahlen, läutet er damit dem nicht-kommerziellen Rundfunk das Totenglöckchen. Den Leserinnen und Lesern des Freitag wurde in den vergangenen Wochen eingehämmert, dass Qualität ihren Preis hat. Die Bild gibt's eben schon für 80 Pfennig. Wer den TV-Massengeschmack bedienen will, braucht kaum mehr als einen Container, ein paar Kameras und unbezahlte Exhibitionisten. Die Volksmusik-Spießigkeiten, mit denen ARD und ZDF zunehmend ihr Publikum verblöden, lassen sich günstig produzieren. Peter Hahne, Johannes B. Kerner und andere Schmalspur-Ikonen des »Ministrantenfernsehens« (Günter Gaus) zahlen vermutlich noch etwas, damit sie ihre Banalitäten vor Kameras predigen dürfen. Die öffentlich-rechtlichen Fernsehmacher können anders. Spannung, Information, Kultur. Spannung: Der Tatort im Ersten. Da werden stimmige Geschichten geschrieben, außergewöhnliche Schauspieler verpflichtet. Meistens halten die Streifen, was die markante Erkennungsmelodie verspricht. Information: Die Wahl in den USA. Nur wer sich den Luxus eines weitgesponnenen Korrespondentennetzes leistet, kann im Ernstfall fundierte Informationen liefern. ARD und ZDF haben Journalisten vor Ort mit Einblick und mit der Fähigkeit, diese Einblicke auch handwerklich sauber ihren Zuschauern zu vermitteln. Bei den Privaten reichen die Kenntnisse übers Ausland selten weiter als bis zu den Partyburgen von Mallorca. Kultur: Das Kinderprogramm. Er blitzt noch hier und da durch, der bildungsbürgerliche Anspruch. Der Kinderkanal begnügt sich gottseidank noch nicht damit, nur Comicquark abzuspulen.

Was ließe sich nicht alles reformieren bei ARD und ZDF: Der Sport-Wahn mit seinen horrenden Kosten muss auf Normalmaß gestutzt werden. Die verkalkten Verwaltungsstrukturen gehören aufgebrochen. Die investigativen Reporter brauchen mehr Freiraum. Diese Probleme aber löst nicht, wer nur den Geldhahn zudreht. Statt die besseren Sender in die Schusslinie zu bringen, sollte die CDU sich um die Qualitätsstandards bei Bertelsmann und Kirch sorgen.

Einst forderte Rüttgers Verbesserungen bei der Wahl der höchsten deutschen Richter. Dann forderte Rüttgers die Begrenzung der Amtszeiten von Politikern. Jetzt fordert Rüttgers mehr Qualität im Ersten und Zweiten. Gut, gut, gut. Bleibt es auch diesmal nur bei Worten? Wenigstens eine seiner aktuellen Forderungen kann Rüttgers selbst verwirklichen. Er meint, Parteien sollten den Rundfunk nicht mehr als ihre Bühne missbrauchen. Herr Rüttgers, tun Sie doch Medienschaffenden und -nutzenden den Gefallen, sich von Kameras und Mikrophonen fern zu halten. Dafür würde manch einer vielleicht sogar ein Plätzchen für Ihre Geburtsstadt Köln auf der Wetterkarte freimachen.

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