Ursprünglich bezog sich das Urheberrecht auf sogenanntes »geistiges Eigentum« kreativ arbeitender Menschen, die gegen den widerrechtlichen Gebrauch ihrer Produkte abgesichert werden sollten. Doch die Entwicklung der Informationstechnologie und des Internet haben das Urheberrecht auf den Kopf gestellt, denn nun sind es große Untenehmen, die den Zugang zu Information kontrollieren und vermarkten. Die Zeiten, in denen das geistige Eigentum in der kulturellen Kuschelecke verharren könnte, meint Ruppert Podzun, sind vorbei: Ob sich der »Zugang« zur Information demokratisch oder ausschließend gestaltet, hängt allerdings nicht nur von den gesetzlichen Rahmenbedingungen, sondern auch von den Fähigkeiten der Nutzer ab.
Als der britische Feldmarschall Wellington mit seinem preußischen Kollegen Blücher den Franzosen Napoleon Bonaparte 1817 endgültig aus der europäischen Politik vertrieb, waren die Befreiungskriege gewonnen. Vom Waterloo des Grand Empereur ebenda profitierten aber nicht nur Könige, sondern auch ein gewisser Baron Rothschild. Er erfuhr als einer der ersten vom Erfolg der Briten. Eine Brieftaube überbrachte die Nachricht nach London. Rothschild kaufte englische Staatsanleihen, als alle anderen noch um Sieg und Niederlage bangten. Sein Gewinn wurde der Grundstock eines erklecklichen Vermögens.
Kampf gegen das Plagiat
Was das Haus Rothschild damals erkannt hatte: Der schnelle Zugang - Access - entscheidet. In keinem Bereich ist die These von Jeremy Rifkin über die Zukunft des Eigentums plausibler als im Bereich der immateriellen Güter: Das »geistige Eigentum« erlebt in diesen Jahren einen Paradigmenwechsel. Den Ergebnissen des geistigen Schaffens, den Rechten der Kreativen an ihren Schöpfungen droht der Ausverkauf.
Bis 1985 war die Entwicklung des Rechts des geistigen Eigentums - oder, wie es in der deutschen Rechtswissenschaft präziser heißt: des Urheberrechts - beschaulich und kulturgeschwängert. War im Mittelalter noch jegliches geistiges Schaffen durch die Kirche abgesichert, so begann mit dem Buchdruck auch die Zeit der Fälscher und Produktpiraten. Sie raubten die geistigen Kinder der Schriftsteller und Künstler - »plagiarius« wurde man als Fälscher im alten Rom geschimpft, Menschenräuber. Die Landesfürsten in der Neuzeit schützten die Verleger mit »Privilegien« - so hatten sie das geistige Schaffen unter Kontrolle, die Verleger genossen Monopolrechte für den Buchdruck.
Es bedurfte erst des Kampfes gegen die Zensur im Zuge der Aufklärung, bis auch die Privilegien fielen und der Markt für kreatives Schaffen geöffnet wurde. Die Revolutionäre in Frankreich, 1789, von ihren Schriftstellern begeistert, nannten das geistige Eigentum gleich das »heiligste aller Eigentümer« und schützten es in ihren Verfassungen. Geistesgrößen wie Kant, Fichte und Schiller übten sich an theorielastigen Werken über das Thema, und in Frankreich kämpfte im 19. Jahrhundert der Dichter Victor Hugo (Der Glöckner von Notre-Dame) für internationale Vereinbarungen zum Schutz der Urheber. 1876 kam es in Deutschland zum ersten Urhebergesetz: Juristen übernahmen das Gebiet, feilten und verteilten. Große Gelehrte wie Josef Kohler, Otto von Gierke und Eugen Ulmer verwandelten das Urheberrecht zu einem schlagkräftigen Instrument, auf dass der Schöpfer wirtschaftlich von seinen Werken profitiert, ohne seine Persönlichkeit verraten zu müssen.
Urheberschutz für Software-Produkte
1985 aber schlug eine Bombe ins Urheberrecht ein, deren Folgen damals womöglich kaum übersehbar waren. Der Gesetzgeber entschied sich, Computerprogramme dem Urheberrecht zu unterstellen. Künftig war jeder Software-Entwickler ein kleiner Günter Grass, zumindest was seine Rechte anging. Hintergrund der Entscheidung: Man wollte die Software-Produzenten mit ihren schnelllebigen Produkten nicht aufs teure und langwierige Patentverfahren verweisen - sie sollten schon mit Schöpfung ihrer binären Kleinode vor Raubkopien geschützt sein. Die fixe Idee hatte einen Haken: Die gewachsenen Paragraphen des Urhebergesetzes, erfunden von großen Künstlern für eben solche, passen nicht auf technische Anwendungsprogramme.
Seither knirscht und kracht es im Gefüge - die Computerprogramme haben das ganze Konzept des Urheberrechts auf den Kopf gestellt. Denn plötzlich geht es nicht mehr darum, einem einsamen Dichterfürsten ein paar Mark für sein jüngstes Epos zu sichern und den Maler davor zu bewahren, dass seine freizügig gestalteten Damen kurzerhand überpinselt werden. Es geht um die knallharten Wirtschaftsinteressen von Unternehmen, die ganze Entwicklungsabteilungen beschäftigen, um Werke in die Welt zu setzen. Werke, die nicht zur geistigen Auseinandersetzung anregen, nicht gefallen wollen, sondern Werke, die Profit bringen sollen.
1994 schließlich ist das nächste bedeutsame Datum, das Internet wird kommerziell bedeutsam. Ein Beben nach dem anderen erschüttert seither die Branche. Anfangs waren es Journalisten, die plötzlich ihre Texte digitalisiert im Internet fanden. Davon hatte nichts in ihren Arbeitsverträgen gestanden, und für den digitalen Zugriff auf ihre Artikel forderten sie mehr Geld. Doch die Schreiberlinge und ihre Verlage lernten, dass sich zwar Informationshäppchen und Kulturgüter im World Wide Web rasend schnell verbreiten lassen, die Bezahlung aber hapert. Der Charme des Internets, zumindest in den ersten Jahren, war vielmehr gerade die grenzenlose Freiheit. Die User surften auf einer Gratis-Welle.
Und sie tun es immer noch: So hartnäckig auch die Entwickler an Hypercoins und sicheren Zahlungssystemen arbeiten, so intelligent sind die Cracker, die ihnen jedes Mal einen Strich durch die Rechnungen machen. Napster hat das einer ganzen Branche vorgeführt. Shawn Fenning heißt der Jungspund, der das System entwickelte, mit dem sich Musik in Form von MP3-Files kostenlos tauschen ließ, und das in digitaler Qualität. Statt mühsam rauschende Kassetten zu überspielen, sind die Musikfans im Internet in der Lage, ihre Lieblingssongs herunter zu laden. Auch wenn Napster, zum Leidwesen der Fans, vorerst die Festplatte putzt und im Bertelsmann-Reich aufgeht, so ist doch der Spaß am geistigen Sozialismus im Netz noch nicht vorbei. Immer neue Ideen machen das Kulturbusiness mürbe. Eine Bastion nach der anderen fällt: Zuletzt musste die Frankfurter Allgemeine Zeitung einsehen, dass ein kostenloser Internet-Auftritt mit vielen Infos zum state of the art gehört. Access.
Hamstern für das Informationszeitalter
Es war ein Irrglaube zu meinen, das geistige Eigentum könnte in seiner kulturellen Kuschelecke bleiben wie bisher, Info-Technologien hin oder her. Denn der gesamte Kultursektor ist zu einem gigantischen Geschäft geworden, für die USA etwa ist die Kulturindustrie der wichtigste Exportschlager. Kein Wunder, dass zunehmend Disney und Time Warner, die kreative Schöpfungen am Fließband produzieren lassen, Einfluss nehmen auf die Entscheidungen über den Schutz des geistigen Eigentums. Hier geht es nicht mehr um den Ausdruck der Persönlichkeit, sondern nur noch um Kommerz. Adieu, Monsieur Victor Hugo!
Gerade die Marktmacht der Unterhaltungs-Giganten lässt zweifeln an der Euphorie des freien Zugangs zu den Kopfgeburten. Das Eigentum bleibt ein Schlüsselbegriff. Bill Gates, der Microsoft-Boss, wird wissen, warum er Bilderdatenbanken aufkauft, als müsste er für schlechte Zeiten Dosenfutter hamstern. Genau darum geht es ihm: Er hamstert für das Informationszeitalter. Wenn endlich der Inhalt - content - die Hauptrolle spielt, und nicht die Verpackung, dann macht der Kasse, der die Schlüsselfotos der vergangenen Jahre besitzt. Und die besitzt Bill Gates. Und wenn er sie nicht aus seinem Digital-Safe holt, dann bleiben sie der Welt verborgen. Gates wird sich jeden Griff in den Tresor gut bezahlen lassen.
Copyleft: Linux revolutioniert den Urhebermarkt
Im Software-Bereich hat eine idealistische Gruppe diese Not zur Tugend gemacht. Sie hat sich mit Lust und Laune einer kleinen Revolution verschrieben. Man will den völlig offenen, ungehinderten Zugang zu Informationen und kulturellen Gütern fördern - Freie Software ist das Stichwort. Linus Torvalds, Erfinder der Software Linux, exerzierte es vor: Er hat den Quellcode seines Programms offen gelegt, jeder kann es benutzen und verbessern. Verdient wird damit nichts. »Copyleft« wird die Idee gelegentlich genannt, auf Urheberschutz zu verzichten und alle teilhaben zu lassen. Der Ausstieg aus den traditionellen Verwertungszyklen lohnt sich zwar nicht kommerziell, aber qualitativ: Die Software, die durch solche Kooperationen entsteht, ist häufig besser und sicherer als das, was etwa der Monopolist Microsoft auf den Markt bringt. Dabei werden en passant basisdemokratische Ziele verwirklicht, denn eine planende und kontrollierende Instanz gibt es nicht. Die »Copyleft-Lizenz«, vom Vordenker Richard Stallman (»GNU«) erfunden, ruft im Gegenteil die völlige Freiheit im Umgang mit den Programmen vor. Die grandiose Idee begeistert, die freie Kommunikation nach Open-Source-Maßstäben wird längst analog für andere Gebiete genutzt. Stefan Meretz, einer der deutschen Copyleft-Pioniere, proklamiert denn auch, in der Bewegung zeigten sich »Keimformen einer neuen Gesellschaft jenseits des Kapitalismus«.
Solche Ideen aber sind momentan noch in der virtuellen Welt zuhause. Die Berliner Realpolitik verfolgt einen anderen Ansatz. Demnach wird der Urheber an Rechten verlieren, aber womöglich an Geld gewinnen. Die Verwertungsgesellschaften, die für Urheber die Moneten eintreiben, verhandeln derzeit über die Verwertungsgebühren - Hersteller von Computer-Hardware sollen künftig für die Urheberrechtsverletzungen, die mit ihren Geräten angestellt werden, vorab zahlen. Das müssen die Hersteller von Fotokopierern schon lange, so dass Autoren auch von den Fotokopien profitieren, die von ihren Büchern gezogen werden. Mit den zu erwartenden Einnahmen bei VG Wort, GEMA und anderen lässt sich die eine oder andere digitale Nutzung verschmerzen. Das Bundesjustizministerium will zudem - ausgehend von einem Entwurf aus dem Mekka des Urheberrechts, dem Münchener Max-Planck-Institut - die Verträge für Urheber verbessern. Auch die Kreativen sollen demnach ebenfalls nach Tarif bezahlt werden, um sie »tunlichst zu schützen«, so wie es der Bundesgerichtshof immer wieder gefordert hat.
Jede Lösung aber macht hier nur noch im internationalen Bereich Sinn. Mit dem TRIPS-Abkommen, einem Schutzvertrag für das geistige Eigentum, den die Welthandelsorganisation (WTO) verwaltet, hat die internationale Staatengemeinschaft einen gigantischen Schritt nach vorne unternommen. Sie hat ein schneidiges Instrument in die Welt gesetzt, um den weltweiten Access zu regulieren. Hier tut sich eine weitere Facette auf: Während die USA auf den Schutz vor Produktpiraten auch in Entwicklungsländern drängen, drängen die Entwicklungsländer umgekehrt auf den freien Zugang zu den Kulturgütern, die sie für ihre Entwicklung benötigen.
Gerade in der internationalen Dimension weitet sich auch der Blick für die Herausforderungen, denen sich die Politik zu stellen hat. Wie auch immer der Zugang zum geistigen Eigentum geregelt ist, entscheidend ist dessen Qualität und entscheidend sind die Fähigkeiten, mit den Kulturdaten umgehen zu können. Was nutzt das Internet-Terminal, wenn man nicht einmal lesen kann? Was nutzen die schnellsten Kommunikationswege in Zeiten der Spracharmut? Um das Bild der Rothschildschen Brieftaube wieder aufzunehmen: Heute gilt es weniger, Brieftauben - damals ein Privileg - allen Menschen zur Verfügung zu stellen. Wichtiger ist: Wer eine Brieftaube zur Verfügung hat, sollte auch wissen, wie er sie für sich fliegen lassen kann. Dann besteht die Chance, dass nicht nur die Rothschilds, die Cyberlords, neue Reichtümer auf ihrem Informationsvorsprung bilden. Die Grenzen der neuen Medien sollten bei aller Euphorie nicht vergessen werden.
Informationen über die Bewegung Freie Software: Stefan Meretz, Linux Co, AG SPAK Bücher, Neu-Ulm 2000.
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