Bidens Putin-Angriff erzürnt Moskaus Experten

Putin als „Killer“ Scharfe Angriffe von US-Präsident Biden auf den Herrn des Kreml lösen in Moskau auch bei sonst zurückhaltenden außenpolitischen Experten scharfe Reaktionen aus.

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Nachdem der US-Präsident Biden Putin in einem ABC-Interview als „Mörder“ (im Original: „killer“) bezeichnete (bzw. die Korrektheit dieser Bezeichnung dem Reporter gegenüber bestätigte), brach in Russland sowohl in der Politik, als auch in der Presse, in Onlineforen und unter Experten im wahrsten Sinne des Wortes die Hölle los. Da nützte es nichts, dass diese Passage im Interview gepaart war mit dem Angebot einer Zusammenarbeit in Bereichen, wo es gemeinsame Interessen gibt. Der Rahmen aus persönlichem Angriff und nahezu zeitgleichen neuen Sanktionsankündigungen durch die US-Regierung machte jedes positive Wort zur Floskel, ja lässt es befremdlich wirken. Russland rechnet mit weitreichenden Konsequenzen, auch für das eigene Land: Der Rubel und der russische Aktienindex fielen auf ein Dreimonatstief.

Offizielle Härte war vorprogrammiert

Die offizielle Reaktion ist aus den deutschen Leitmedien bekannt. Der russische Botschafter wurde aus Washington, wie es im Diplomatendeutsch heißt, zu Konsultationen nach Moskau abberufen. Das ist im zwischenstaatlichen Repertoire eine sehr harte Maßnahme. Russlands Außenamtssprecherin Sacharowa äußerte selbst im russischen Ersten TV-Kanal, dass sie sich an einen derartigen Vorgang zuvor nicht erinnern könne. Der frühere russische Botschafter Andrej Baklanow sieht die Abberufung gegenüber dem Medienportal RBK als demonstrative Aktion, die Enttäuschung und Unzufriedenheit zeigen soll. Aus anderen Gründen sei wegen abhörsicherer Kommunikationswege der Botschaften eine Abberufung nicht nötig.

Auch der Kommentar der Russischen Botschaft in Washington zum Vorgehen der US-Regierung kannte wenig diplomatische Zurückhaltung. Sie sprach von einer Sackgasse, in der sich die gegenseitigen Beziehungen befänden – die Schuld dafür trage natürlich die andere Seite, die diesen Zustand „zielgerichtet“ hergeführt habe.

Die offizielle Antwort aus Moskau ist damit noch nicht abgeschlossen, stellte der Spitzenpolitiker Konstantin Kosatschew gegenüber RIA Nowosti unheilvoll fest. Mit einer derartigen Reaktion war von russisch-offizieller Seite zu rechnen. Sekundiert wurde sie von Aussagen von Regierungspolitikern der zweiten Reihe, die deutlicher von „einem extremen Maß an Aggression“ und einem „Triumph des politischen Wahnsinns“ sprachen.

Außenpolitik-Experten sind entsetzt

Doch auch in den Kreisen russischer außenpolitischer Experten außerhalb von Regierungsämtern erntet Biden in Moskau mit seiner neuen Stufe der Eskalation der russisch-amerikanischen Auseinandersetzungen die Forderung nach einer größeren Härte in der eigenen Politik. Trotz des Hintergrunds, einem erneuten Vorwurf der russischen Wahleinmischung in den USA 2020, durch die er sich zu seinen Aussagen im Recht sah.

Fjodor Lukjanow, Chefredakteur der Expertenzeitschrift „Russia in Global Affairs“ bezeichnete Bidens Putin-Äußerung als „ungeheuerlich“. Er hält Bidens Schärfe nicht für ein Versehen und glaubt, dessen Demokratische Partei wolle sich mit solchen Aussagen möglichst scharf vom „Trumpismus“, der in den USA als russlandfreundlich gilt, abgrenzen. Im Ton der Äußerung sieht er eine wachsende Kluft zwischen Sprache und politischer Aktivität – in früheren Epochen hätte eine solche Bemerkungen über ein anderes Staatsoberhaupt gefährlichere Konsequenzen gehabt – nun rechne man in Washington nicht mit solchen. Selbst von strategischen Rivalen wie Russland oder China erwarte nach seiner Auffassung die USA Demut, da die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten stets wertvoll, ja unersetzlich seien. Doch hier ist es die Frage, ob dieses Mal richtig kalkuliert wurde. Lukjanow hält ein Einfrieren der diplomatischen Beziehungen von russischer Seite für angemessen, das noch über die Botschafterabberufung hinausgeht.

Ähnlich stellte der bekannte Experte für Internationale Politik Andrej Kortunow zum zugrunde liegenden Vorwurf der Wahleinmischung fest, dass es merkwürdig sei, dass nun die aktuelle Regierung Eingriffe Moskaus sehe, nachdem ihre Vorgängerregierung solche im Bezug auf die gleichen Wahlen verneint habe. Im US-Geheimdienstbericht gäbe es keine Beweise für eine Einmischung in die Wahlen 2020. Eine solche Einmischung wäre der Einsatz von gefälschten Konten in Sozialen Netzwerken oder Bots, nicht jedoch eine sachliche Auseinandersetzung um Kandidaten. Dabei ist anzumerken, dass die Geheimdienste Russland auch den Einsatz von „Internet-Trollen“ vorwerfen – ansonsten vor allem Einflussnahmen über staatliche Medien.

Folgen eines innenpolitischen Kampfes in den USA

Wladimir Wasilijew vom Nordamerika-Institut der Russischen Akademie der Wissenschaften hält die neuen Anschuldigungen für eine Folge des innenpolitischen Kampfes in den USA zwischen Demokraten und Republikanern. Trump sah nach seiner Meinung China als „Hauptfeind“ des eigenen Landes und hätte versucht, vom US- Geheimdienst Berichte über Wahleinmischungen Pekings zu erhalten. Nun werde von der neuen Regierung Russland und nicht China angeklagt – wegen einer anderen Präferenz beim Hauptgegner.

Bei aller Verärgerung über Biden stehen aber im Zentrum der ersten Expertenstatements aus Russland zu dessen Äußerungen auch große Sorgen über die Entwicklung der internationalen Verhältnisse im Mittelpunkt. Das politische System auf der Welt ändere sich gerade grundlegend und das Ergebnis davon sei unbekannt meint dazu Lukjanow. Die Säulen der strategischen Stabilität würden aktuell erodieren und die Form des Dialogs der letzten Jahre habe nichts Neues hervorgebracht, aber das Alte zerstört. Das ist eine Analyse, über die die Mächtigen der Politik nachdenken sollten, ob im Kreml oder im Weißen Haus.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Roland Bathon

Journalist und Politblogger über Russland und Osteuropa /// www.journalismus.ru

Roland Bathon

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