Die Russlandpolitik einer Kanzlerin Baerbock

Berlin Es gibt Zweifel, ob Annalena Baerbock im Kanzleramt einen so harten Russlandkurs verfolgen könnte wie aktuell in der Opposition

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„Annalena ist noch keine Angela“
„Annalena ist noch keine Angela“

Foto: Ronny Hartmann/Getty Images

Russland war sofort Thema beim ersten Interview, das die neue grüne Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock nach ihrer Kür gab. Ihre Äußerungen waren zunächst nicht überraschend: Kritik an Putin wegen der Behandlung des aktuell inhaftierten Oppositionellen Nawalny, Kritik am Nordstream 2-Projekt. Doch ihre Töne waren nicht durchgehend in der Härte, die man von ihr in Richtung Moskau gewohnt ist.

Putins politische Verantwortung

Bei der Frage nach der Verantwortung Putins für den Giftanschlag auf Nawalny verhielt sich die Grüne eher zurückhaltend und damit klug. Sie stellte – angesprochen auf Bidens Mörder-Ausspruch – keine persönliche Verantwortung des russischen Präsidenten fest. Aber sie betonte eine politische Verantwortung als Chef einer Geheimdienstverwaltung, aus der der mutmaßliche Mörder nach der herrschenden Meinung im Westen kommt. Eine Auffassung, die es durchaus auch in Russland gibt, denn die mächtigen Strukturen der Bürokratie handeln dort nicht immer so, wie es die Regierungsspitze will – sind aber eben Teil des Systems. Ein System, für das Putin als oberste Spitze Verantwortung trägt, auch wenn er die meisten Befehle nicht selbst gibt. An einen solchen persönlichen Putinbefehl im Bezug auf Nawalny glaubt vor Ort auch kaum jemand.

Zurückhaltung gegenüber der russischen Regierung ist sonst weniger eine Eigenschaft der grünen Politikerin. „Deutschland darf dieses korrupte Regime nicht weiter unterstützen“, tönte sie direkt nach dem Giftanschlag auf Nawalny und forderte mehr Härte von Außenminister Maaß. Im Januar forderte sie pressewirksam einen Nordstream 2-Baustopp. Bei der Kritik an russischen Truppenkonzentrationen an der ukrainischen Grenze tat sie sich ebenfalls hervor. Sie betont in diesen Zusammenhängen gerne ihr Primat der Menschenrechtspolitik vor wirtschaftlichen Interessen, wie die Grünen ihre diesbezüglichen Positionen gerne umschreiben.

Westorientierte grüne Ostpolitik

Sie stößt damit genau ins Horn der grünen Ostpolitik, seit 2017 mit gewoben vom parteinahen Thinktank „Zentrum Liberale Moderne“, die gegenüber Russland stets einen Kurs der Härte fordert. Sie sieht den Platz Deutschlands – anders als die Grünen der 80er und 90er Jahre – fest in den Strukturen der NATO, die sie ein wenig als Instrument des Demokratiebringers und Gegenpols zu autoritären Regimen begreift. Einen Demokratiebringer mit Waffen – Baerbock lehnt etwa bewaffnete Drohnen der Bundeswehr nicht ab und sieht die Zukunft des deutschen Militärbereichs in der Bekämpfung von Cyberangriffen. Diese kommen übrigens im Bezug auf russische Server in erster Linie von nordamerikanischen und EU-Quellen – der aktuelle Cyberkrieg hat zwei Richtungen. Doch das ist eine Sichtweise, die der grünen Politikerin fehlt, und daran hat sie dabei sicher nicht gedacht. Denn ihre Sicht ist rein westlich-liberal, ein Ansatz zu einer Außenpolitik, die sich bemüht, den russischen Blickwinkel zu verstehen, fehlt Baerbock ebenso wie den Grünen generell.

Bei einer Regierungsbildung nach der kommenden Bundestagswahl wird die stärkste Partei den Bundeskanzler – oder bei Frau Baerbock die Bundeskanzlerin – stellen, der stärkste Koalitionspartner wahrscheinlich den Außenminister und Vizekanzler. So ist es bei allen möglichen Farbenspielen nicht unwahrscheinlich, dass die grüne Politikerin dann auf einem Stuhl sitzt, auf dem sie die Russlandpolitik maßgeblich beeinflusst. Das ist übrigens auch eine Meinung russischer Kommentatoren – so glaubt die Moskauer Zeitung Kommersant, dass Barbocks Chancen auf den Kanzlerstuhl gut sind. Sie widmet ihr deswegen in der aktuellen Ausgabe erstmals ein persönliches Porträt – allerdings noch unter dem Titel „Annalena ist noch keine Angela“.

Es droht keine Beziehungsapokalypse

Doch egal, wo ihre Position genau sein wird, ist ihr Einfluss unter vielen in Regierungsverantwortung nicht alleine. Rücksichtnahmen sind erforderlich, die sie bei ihren harschen Russlandstatements als Oppositionspolitikerin in der Vergangenheit nicht nehmen musste. Denn Deutschland ist eben keine Autokratie. So teilen mögliche Koalitionspartner wie die CDU/CSU oder die FDP Baerbocks russlandkritische Haltung aus ihrer transatlantischen Tradition. Jedoch haben die Konservativen und Rechtsliberalen bei Rücksichtnahme auf die deutsche Wirtschaft eine ganz andere Sicht. Und das Projekt Nordstream 2 ist im ureigensten Interesse der hiesigen Ökonomie, sichert es doch den immer noch zentralen Energieträger Erdgas gegen Versorgungsunsicherheiten durch Transitstaaten ab. Andere mögliche Koalitionspartner wie die Linken, im geringeren Maße die SPD, setzen beim Umgang mit Moskau weiter auch auf Dialog und Deeskalation. Sie würden bei wilden Sanktionsplänen der Grünen mit in der Regierung aus diesem Grund auf die Bremse treten. Und bei allen Spekulationen über grüne Höhenflüge: Alleine können die Ökoliberalen Deutschland nicht regieren.

So ist entgegen von Befürchtungen mancher Russlandfreunde in Deutschland unter einer Kanzlerin Baerbock eine deutsch-russische Beziehungsapokalypse mitnichten vorprogrammiert. Die Grüne könnte lediglich versuchen, unvorhersehbare neue Verstimmungen zwischen Russland und dem Westen zum Vorantreiben ihrer persönlichen Agenda zu diesem Thema zu nutzen, wenn diese Befürworter eines versöhnlicheren Russlandkurses in die Defensive bringen. Wie geschickt sie sich dabei und generell auf dem glatten Feld der Geopolitik verhält, muss sich eh erst zeigen – denn außenpolitische Erfahrung besitzt sie praktisch keine.

Kein Aufschrei in Moskau

Auch in Russland ist die Presse nicht von einem Aufschrei des Entsetzens geprägt angesichts der Tatsache, dass Frau Baerbrock ins Kanzleramt oder Auswärtige Amt einziehen könnte. Berichtet wird weitgehend sachlich, jedoch nicht unter Außerachtlassung der bisherigen Äußerungen der Grünen-Politikerin zum eigenen Land. So meint Kommersant im Porträt, dass die Politik der Grünen traditionell nicht durch Sympathie für Russland geprägt sei. Jedoch wüssten auch diese, dass der ökologische Wandel der Welt, für den die Grünen stehen, ohne Russland oder China nicht möglich ist. Wladislaw Below von der Russischen Akademie der Wissenschaften bringt eine verbreitete russische Haltung im Artikel auf den Punkt: Es bestünde kein Grund, vor den Grünen Angst zu haben, auch nicht an der Spitze der deutschen Regierung. Der Dialog stecke auch jetzt schon in der Krise, aber eine Zusammenarbeit sei weiterhin möglich.

Ob eine solche Zusammenarbeit – bei aller berechtigten Kritik an innenrussischen Zuständen – von Seiten einer grün geführten Bundesregierung auch gewollt ist, etwa für höhere Ziele wie den Stop des Klimawandels, müsste eine Bundeskanzlerin Baerbock noch zeigen. Bisher bestimmte die Kritik fast ausschließlich ihre Russland-Agenda. Taube Ohren würde sie gerade von Expertenseite in Moskau bei kooperativeren Tönen zu Sachthemen nicht ernten. Denn auch diese wissen, dass sich zahlreiche Probleme der Welt nur global und nicht in Konfrontation lösen lassen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Roland Bathon

Journalist und Politblogger über Russland und Osteuropa /// www.journalismus.ru

Roland Bathon

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