Donbass vor einem neuen Krieg?

Ostukraine Während die beiden Konfliktparteien und ihre Unterstützer mit dem Finger aufeinander zeigen, wird eine Eskalation durch die Dynamik vor Ort zunehmend wahrscheinlicher

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Ukrainische Truppen an der Front im Februar 2021
Ukrainische Truppen an der Front im Februar 2021

Foto: Anatolii Stepanov/AFP via Getty Images

Die Lage im Donbass wird zunehmend brenzlig und aus dem einstmals weitgehend eingefrorenen Konflikt könnte schnell wieder ein neuer Kampf werden. Die Verstöße gegen den bestehenden Waffenstillstand sind auf beiden Seiten so umfassend, dass die russische Zeitung Kommersant diesen inzwischen als nicht mehr existent betrachtet.

Polarisierte Berichterstattung im Westen wie in Russland

In kaum einem anderen Fall ist die Berichterstattung über die Vorgänge vor Ort so stark polarisiert, wie im Fall des Donbass. Während sich der Zorn über die neue Eskalation in großen deutschen Medien vor allem nach Russland richtet, vor allem wegen dortiger Truppenkonzentrationen an der Grenze, schimpfen große russische Medien auf die sich ebenfalls immer weiter verstärkenden ukrainischen Regierungstruppen, die die Rebellengebiete jetzt auch wieder mit großkalibriger Artillerie beschießen. So steht nur eine Sache fest: Wie auch immer neue Feindseligkeiten beginnen, die beiden Presse- und Politblöcke werden bei der Suche nach einem Schuldigen mit dem Finger auf die jeweils andere Seite zeigen und sich dann berechtigt fühlen, mit einer Unterstützung der eigenen Fraktion weiter Öl ins Feuer zu gießen – trotz aller erklärten Besorgnis vor einem offenen Krieg.

Zahlreiche Indizien deuten darauf hin, dass es ein Prozess des gegenseitigen Hochschaukelns ist, der in der Ostukraine und angrenzenden Gebieten gerade stattfindet. Durch stärkere Truppenkonzentrationen der ukrainischen Regierung sind die Donbass-Rebellen inzwischen zahlenmäßig unterlegen und rufen ins befreundete Russland nach freiwilligen Unterstützern, wie die russische Nesawisimaja Gaseta schreibt. Diese kommen laut Rebellenangaben auch in größerer Zahl – bis hin zu einzelnen russischen Parlamentsabgeordneten. Das ist glaubwürdig, da bei nationalkonservativ-russischen Wählern aktives Donbass"engagement" gut ankommt, auch wenn es sich nur um Schaubesuche an der Front handelt. Obwohl die Donbass-Begeisterung vieler dieser Kämpfer echt ist, drängt sich nicht nur bei Ukrainern der Verdacht auf, ob unter diesen Freiwilligen nicht auch „geschickte“ Unterstützer im Auftrag der russischen Regierung sind, denn einen Zusammenbruch der Rebellen will Moskau keinesfalls. Ein guter Grund für neue Kiewer Truppenverstärkungen und neue Anschuldigungen nach Moskau – die Spirale dreht sich.

Politische Hintergründe in Kiew und Donezk machen keinen Mut

Unabhängige Nachrichten aus dem Krisengebiet sind schwer zu bekommen, alle verbreiten munter ausschließlich die Fakten, die ihrer Seite genehm ist. Kiews Präsident Zelensky, eigentlich mit der Hoffnung vieler Ukrainer auf Deeskalation ins Amt gekommen, hatte zunächst mit sinkenden Umfragewerten zu kämpfen und versuchte, sich davor nach Meinung des Donbassexperten Konstantin Skorkin vom Moskauer Carnegiezentrum mit einer nationalpatriotischen Rechtskurve in seiner Politik zu retten, – und die rechten Nationalpatrioten in Kiew setzen auf einen militärischen Sieg. Hiermit riskiert Zelensky allerdings das Vertrauen seiner bisherigen Wähler zu verlieren, während ukrainische Nationalisten ihn dennoch nicht unterstützen werden, stellt Skorkin fest. Alle möglichen Gruppierungen sind derweil auf Kiewer Seite wieder dabei, ihre eigene Privatarmee hochzuziehen – etwa Ex-Präsident Poroschenko, der mit Zelensky darum wetteifert, wer der einzige wirklich pro-Ukrainische Politiker ist, der Moskau trotzen kann.

Auch im Rebellengebiet ist in den letzten Jahren nicht ein besseres Prorussland ausgebrochen, eher ein schlechteres Abbild des russischen Nachbarn. Skorkin schreibt von den Donbass-„Republiken“, von einer neuen Herrschaft der Bürokratie, die die der Rebellenkämpfer – bis 2018 an der MAcht – abgelöst hat. Beamte und neokonservative Silowiki dirigieren dabei nicht wirklich freie Wahlen zu sogenannten Volksräten, örtlichen Parlamenten, bei denen nicht einmal die befreundeten Kommunisten oder politische Formationen früherer Rebellenkommandeurichten sich dabei vor allem gegen persönliche Bereicherung der Funktionäre, die die Wehrhaftigkeit gegen die Bedrohung durch die Regierung vernachlässigen würden. Diese wollen natürlich die Quelle ihres persönlichen Einkommens nicht verlieren und haben sich in den abtrünnigen Regionen gut eingerichtet – Fortschritte etwa beim Minsker Prozess einer Wiedereingliederung in die Ukraine kämen da sehr ungelegen. Wie populär diese Regierungen bei der örtlichen Bevölkerung genau sind, dafür gibt es keinerlei zuverlässigen Gradmesser, gibt Donbasskenner Skorkin ehrlich zu – so können beide Presseblöcke sie beliebig als Engel oder Teufel beschreiben, was denn auch nach eigenem politischen Gusto getan wird.

Eskalation mit Eigendynamik und vielen Verlierern

Von wem neue Feindseligkeiten zuerst ausgehen werden, da gibt es natürlich ebenfalls den Fingerzeig in die andere Richtung. Kiew deutet dabei gleich auf Moskau als mutmaßlichen Urheber des nächsten Donbasskrieges, Rebellenführer sprechen dagegen natürlich von Angriffsvorbereitungen der Regierungstruppen. Die einzige unabhängige Quelle vor Ort sind die OSZE-Beobachter, die in den letzten zwei Wochen 1.260 Verstöße gegen den Waffenstillstand registriert haben. Gegenüber der Vorperiode bedeutet das eine Zunahme von etwa einem Drittel, was wirklich besorgniserregend ist. Dabei sind beide Seiten heftig beteiligt und die OSZE vermeidet es schon aus Neutralitätsgründen, sich dem allgemeinen Fingerzeigen in eine bestimmte Richtung anzuschließen. In einem solch heftigen Klima des gegenseitigen Beschusses mit immer zahlreicheren Truppen auf beiden Seiten braucht es für eine echte Eskalation gar keine Initiation von außen – die Voraussetzungen für eine eigene und völlig unvorhersehbare Dynamik vor Ort werden immer größer.

Kommt diese in Gang, verlieren beide Seiten politisch. Zelensky in Kiew gibt den letzten Rest dessen ab, weshalb ihn die Ukrainer ins Amt gewählt haben: Den Status als Hoffnungsträger auf Frieden – sein Land wird erneut zum Kriegsschauplatz. Und der Kreml wird erneut erhebliche Mittel und Menschen in die „Freunde“ aus dem Donbass investieren müssen, damit diese von der vom Westen unterstützen ukrainischen Regierungsmacht nicht überrollt werden. Zur Belohnung gäbe es neue Sanktionen aus den NATO-Staaten. Am meisten verlieren jedoch die Menschen vor Ort, die sich in die Tagen des brüchigen Waffenstillstands ein kleines bisschen Normalität zurückgeholt haben – auf beiden Seiten der Front. Gut geht es damit nur den Fingerzeigern von außen in ihren rhetorischen Schützengräben, denn aktive Kampfhandlungen schaffen automatisch viele Situationen, wo die „böse“ andere Seite Greuel zum ausschlachten verübt und man den „Bodycount“ des Gegners wieder in heiliger Empörung starten kann. Geholfen ist damit natürlich keinem der direkt Betroffenen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Roland Bathon

Journalist und Politblogger über Russland und Osteuropa /// www.journalismus.ru

Roland Bathon

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