Lawrow-Besuch: Krise im Lukaschenko-Bündnis

Belarus Viele Fachleute machen eine Krise in Lukaschenkos überlebenswichtigem Bündnis mit dem Kreml aus. Diese zeigte sich in dieser Woche deutlich beim Besuch Lawrows in Minsk

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Sieht netter aus als es war: das Treffen zwischen Lawrow und Lukaschenko
Sieht netter aus als es war: das Treffen zwischen Lawrow und Lukaschenko

Foto: imago images/ITAR-TASS

Russlands Außenminister Sergej Lawrow ist in dieser Woche nach Minsk gereist. Für den dortigen Dauerpräsidenten Alexander Lukaschenko war es ein wichtiger Termin, ist es doch der Kreml, der ihn aktuell neben seinem Sicherheitsapparat am deutlichsten stützt – sowohl mit bilateraler Zusammenarbeit, als auch mit einer Reservetruppe für seine Sicherheitskräfte an der Grenze. Dagegen verweigern Weißrusslands westliche Nachbarn die Anerkennung seiner umstrittenen Wiederwahl 2020 wegen Fälschungsvorwürfen.

Fehlende Gegenleistungen von Lukaschenko

Doch der Haussegen hängt schief in der russisch-weißrussischen Union, die formalrechtlich als Bundesstaat in Teilbereichen seit den späten 90er Jahren existiert. So schief, dass Dmitry Drize, der außenpolitische Analyst der russischen Zeitung Kommersant sogar von einem Ende der freundlichen Beziehungen zwischen Minsk und Moskau spricht. Denn obwohl Lukaschenko auf die Hilfe der Russen angewiesen ist, erfüllt er nicht die Erwartungen, die diese an Gegenleistungen an ihn haben.

Welche Gegenleistungen das sind, ist bekannt. Russland will in Belarus eine Verfassungsreform, da man Lukaschenko zwar für eine Übergangslösung hält, jedoch nicht für einen auf Dauer geeigneten Präsidenten. Zu umstritten ist der Mann mittlerweile. Dass sie Lukaschenko stützen, kostet die Russen laut Umfragen sogar einiges an Beliebtheit in Weißrussland.

Lawrow mahnte dementsprechend bei seinem Besuch die baldige Verfassungsänderung an. Auch eine weitere Integration beider Staaten in die teilausgeprägte russisch-weißrussische Union bleibt Lukaschenko, wie in früheren Amtszeiten, weiter schuldig. Diese ist ein erklärtes Ziel der russischen Politik und entsprechende Umsetzungsvorschläge liegen seit Jahren unrealisiert herum. Ein weiteres Ziel ist die unbedingte Bewahrung der weißrussischen Stabilität und die Verhinderung einer Farbrevolution, die ebenfalls Themen von Lawrow-Statements in Minsk waren.

Lukaschenkos Selbstbild widerspricht dem Moskaus

Dumm ist, dass Lukaschenko sich selbst nicht für eine Übergangslösung hält und auch kein Interesse an der Achtung Moskauer Befindlichkeiten zeigt. Er hält sich für den Kreml für dauerhaft alternativlos. So besteht die fast absurde Situation, dass Putin bereits öffentlich von einem notwendigen „nichtrevolutionären Machttransit“ in Weißrussland gesprochen hat, Lukaschenko einen solchen jedoch mit keiner Silbe erwähnt oder bestätigt – und Lawrow als Putins Vertreter in Minsk dennoch mit misstrauischem Blick nach Westen Lippenbekenntnisse zu einem brüderlichen Verhältnis abgibt.

Tatsächlich sind Putin und seine Team vorsichtig. Das entscheidende Wort in seinem Wunsch nach Wechsel ist „nichtrevolutionär“. Denn er will eine Machtübernahme durch die Führer der Straßenopposition verhindern, die sich zunehmend nach Westen orientieren. Wie zum Beispiel die Präsidentschaftskandidatin Tichanowskaja, die auf ihrem Telegrammkanal Verträge mit Russland nicht für bindend hält, wenn sie Lukaschenkos Unterschrift tragen – und der unterschrieb einiges in Moskaus Interesse. So sind Moskauer Kontakte mit dieser Opposition rar – nur auf bei der UNO in New York gab es ein informelles Treffen oberhalb der Expertenebene.

Lukaschenko nicht um Lukaschenkos Willen

Doch Russland sieht den Machterhalt von Lukaschenko eben nicht als Selbstzweck. Denn hinter der Idee mit der Verfassungsreform steckt laut dem finnischen Ostexperten Arkady Moshes vom Carnegie Zentrum der Plan, der prorussischen Partei vor Ort eine dominante Position im politischen System von Minsk zu sichern. Also ein anderes, russlandfreundliches Staatsoberhaupt mit eigener Machtbasis zu installieren. Putin hat hier Erfahrung aus der eigenen jüngsten Vergangenheit in Russland, über eine Verfassungsreform quasi nebenbei politische Zielsetzungen zu erreichen. Moshes sieht den Moskauer Einfluss im Land auch nach wie vor als wesentlich größer an als den der EU. Deren Position sei in Belarus schwach. Nur deshalb habe die nun westorientierte Swetlana Tichanowskaja überhaupt in die EU flüchten müssen, da selbst ein offizieller Protest von Brüssel ihre Verhaftung nicht verhindert hätte. Lukaschenko sei es leichtgefallen, die schwachen Beziehungen zur EU für den eigenen Machterhalt zu opfern.

Wie lange Lukaschenko noch mit Segen aus Russland herum lavieren kann, indem er Lippenbekenntnisse für gute Beziehungen zu Moskau als einzige Bezahlung für seine dortige Unterstützung bietet, ist eine spannende Frage. Einflussreiche russische Belarus-Experten plädieren bereits für einen Kurswechsel – etwa der Moskauer Politologe Andrej Susdalzew. Er schreibt in der russischen Zeitung gazeta.ru, dass es eine belarussische Illusion sei, dass Russland offensichtlichen Stimmendiebstahl auf Dauer deckt. Er und andere Experten raten ihrer Regierung zu größerer Neutralität. Wäre die Angst des Kremls vor einem zweiten Euromaidan in Minsk nicht so groß, wären die Tage von Lukaschenkos Unterstützung schon gezählt. Noch kann er sich auf die Rolle des kleineren Übels für Putin zurückziehen. Aber die Köpfe im Kreml werden schon vor Überlegungen rauchen, wie man ihn mittelfristig möglichst geordnet durch einen stabileren Bundesgenossen in Minsk ersetzt.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Roland Bathon

Journalist und Politblogger über Russland und Osteuropa /// www.journalismus.ru

Roland Bathon

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden