Am Montag treffen sich in Sotschi zwei Langzeitpräsidenten: Alexander Lukaschenko und Wladimir Putin. Während der belarussische Machthaber beim letzten Gipfel dieser Art noch unter starker Bedrängnis stand, scheint er seine Position nun wieder gefestigt zu haben. Auf Dauer?
Oppositionelle sind müde und ängstlich
Die exilierte Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja musste es nun in einer Schweizer Zeitung zugeben, dass die Minsker Opposition die Straße verloren habe – auch durch die harte Reaktion der Sicherheitskräfte. Wie auch in vielen Zeitungen in Russland berichtet wurde, spricht sie gegenüber Le Temps von „müden“ und ängstlichen Landsleuten vor Ort. Man müsse sich nun neu organisieren und versuchen, im Frühling den Massenprotest auf der Straße fortzusetzen. Tatsächlich kam es im Land an diesem Wochenende nur noch zu ganz vereinzelten kleineren Aktionen in Minsk und Warschau, wo einige vor der Verhaftung geflohene weißrussische Oppositionelle mittlerweile leben. Der belarussische Politologe Alexej Dzermant spricht in einem Kommentar des Portals Newsinform von einer Depression in der Opposition.
Das Erlahmen der Protestbewegung kommt für Lukaschenko zur rechten Zeit – ist er doch soeben nach Sotschi aufgebrochen, um sich dort mit seinem russischen Kollegen Putin zu treffen. Diesem wäre es eigentlich auch lieber gewesen, wenn Lukaschenko auf einem „geordneten Weg“ – also ohne dem Druck der Straße nachzugeben – für einen Führungswechsel und eine Nachfolge gesorgt hätte. Experten wie der Weißrusse Alexander Klaskouski rechnen auch damit, dass dieser aus Kremlsicht wünschenswerte Machttransit von Putin in Sotschi nochmals angesprochen wird.
Lukaschenko, der neue Russlandfreund
Lukaschenko reagiert mit russlandfreundlichen Tönen und spricht beispielsweise davon, dass über 70 Prozent der Weißrussen eine weitere Integration ihres Landes in die rudimentär existente russisch-belarussische Union unterstützen – obwohl Umfragen hier eher von einer abnehmenden Popularität eines solchen Weges in Belarus sprechen, weil Moskau eben Lukaschenko während der Krise weitgehend gegen die Opposition unterstützte. Auch sein Außenministerium beeilt sich, russischen Medien zu berichten, dass der Fortschritt der gemeinsamen Union zwischen Putin und Lukaschenko ein großes Thema sein wird. Vor der umstrittenen Präsidentenwahl hatte Lukaschenko beim Fortschreiben der Union stets gemauert – droht ihm doch ein Machtverlust durch die Verlagerung von Kompetenzen auf die Unionsebene.
Kurzfristig wird Lukaschenkos prorussische Kehrtwende wohl aufgehen. Zu groß ist die Furcht des Kreml vor der – insbesondere in der Exilbewegung – aus russischer Sicht zunehmend prowestlich erscheinenden Opposition. Das Gespenst eines weiteren Euromaidan geht in Moskau um. Der auch aus Moskauer Sicht wünschenswerte Präsidentenwechsel sei ein riskantes Geschäft für den Kreml meint dazu die unabhängige Minsker Onlinezeitung tut.by. Denn natürlich wünscht man sich einen prorussischen Nachfolger – die entsprechende Bewegung sei in Weißrussland jedoch klein. So glauben verschiedene Beobachter, dass Lukaschenko in den nächsten Jahren nicht abtreten werde, sondern noch bis 2025 in Minsk das Ruder in der Hand halten wolle.
Der Konflikt ist nicht wirklich gelöst
Mittel- und langfristig sehen jedoch auch russische Experten Lukaschenkos Zukunft nicht so optimistisch. So schreibt der Politikwissenschaftler Dmitry Bolkunets in der Moskauer Zeitung Nesawisimaja Gaseta, dass sich nun der Niedergang Lukaschenkos nur länger hinziehen wird. Die politische Krise im Lande sei nicht gelöst. Das weißrussische Experiment, sowjetisches Erbe zu erhalten, sei gescheitert, für die nächsten Jahre habe Lukaschenko kein klares Entwicklungsprogramm. Die von ihm zu seiner Unterstützung kürzlich einberufene „Volksversammlung“ hätte eher wie eine Parodie auf die KPdSU-Kongresse der späten Sowjetzeit gewirkt.
So verwandelt sich der Frust vieler oppositionell gesinnter Belarussen eben nicht automatisch wieder in echte Begeisterung für den Langzeitpräsidenten. Ob die Depression anhält oder im Frühjahr einer neuen, oppositionellen Aufbruchstimmung weicht, wird wohl nicht nur vom Wetter in den nächsten Monaten abhängen, sondern mehr davon, wie die Minsker Regierung weiter innenpolitisch agiert. Wird sie die tiefe Spaltung der Weißrussen nicht überwinden können, kann sich an kleinen Anlässen ein großer neuer Protest schnell entzünden.
Kommentare 15
Nun mag es bestimmtmehr als viele Gründe geben Regierungschefs wie Lukaschenko zu kritisieren und gegen seine Politik zu demonstrieren, aber was ist die Alternative für die Mehrheit der Menschen in Belarus oder anderswo ? Wo "prowestliche" Regimes errichtet wurden erging es der Mehrheit der Menschen meist sozial und wirtschaftlich schlechter mit dem Effekt, daß absichlich oder unabsicvhtlich rechtspopulistische Parteien gepampert wurden - das ist dann offiziell auch nicht erwünscht.
Aber auch in "altwestlichen" Staaten sieht es nicht besser aus, da müssen wir nur den Artikel zu Pablo Iglesias von gestern lesen.
Wie ich es sehe, hat Lukaschenko für die meisten Weißrussen ausgedient, sich diskreditiert. Wenn man jetzt keine prowestliche Regierung will, müsste man das tun, was die Strategen des Kreml wollen: Eine umgehend geregelte Nachfolge. Lukaschenko jedoch klebt einfach an seinem Sitz und das kann sehr wohl in den Umsturz zugunsten einer prowestlichen Regierung führen. Es braucht im Frühling nur einen Anlass. Zufriedenheit wird es unter ihm nicht mehr geben.Man darf auch nicht vergessen, dass Russland die Opposition in die Arme des Westens getrieben hat - indem man sich kaum gesprächsbereit gezeigt hat. Ursprünglich war sie nicht auf einem solchen Kurs. Ich habe dazu im Herbst einige Blogbeiträge geschrieben.
Werter Herr Bathon
Wenn Sie schon so ein großer Osteuropaexperte sind, dann können Sie mir doch bestimmt erklären wie Herr Nawalny sein Geld verdient, und wie Frau Swetlana Tichanowskaja ihren Lebensunterhalt bestreitet.
Proteste sitzt Lukashenko offenbar aus, so lange sie dauern. Der Trend, der wirklich gegen ihn arbeitet, ist der ökonomische oder technologische. Profitieren werden wohl eher die westlichen Nachbarn Belarus', denn wer kann und dort gefragt ist, wird dorthin auswandern.
Bei derartigen wirtschaftlichen Bedingungen wird sich das Regime - mit Lukashenko oder einem handverlesenen Nachfolger - allerdings kaum halten können - nicht einmal in einer "Union" mit Russland.
ja, in vielen diktaturen/oligarchien bleibt den unzufriedenen,
an protesten gehinderten: nur die abstimmung mit den füssen.
eines sich gegen wandel immunisierenden regimes wegen
gehen produktive volks-teile aus dem land
und die agonie des staats-un-wesens zieht sich über jahre...
Also was Nawalny offiziell verdient und wie sich das zusammensetzt, hat er veröffentlicht, also seine Steuererklärung: https://navalny.com/p/5685/ - interessante Fragen dazu hat ihm auch der russische Videoblogger Juri Dud gestellt. Das ist natürlich auch in Russland Thema - das Video dazu gibt es bei YouTube.Bei Tichanowskaja ist bekannt, dass sie vor der Politik von ihrem Mann gelebt hat, da sie in ihrem Beruf als Übersetzerin nicht mehr gearbeitet hat. Ich denke mal nicht, dass sie aktuell von litauischen Sozialleistungen lebt, die garantiert sehr niedrig sind und ihre Reisetätigkeit nicht finanzieren könnten. Einen Anspruch darauf müsste sie aber bei Bedürftigkeit als anerkannter politischer Flüchtling haben. Ich denke, Spender und Sponsoren für sie werden sich schon gefunden haben.
Ja, gerade das mit der Auswanderung kann sein. Wobei es hier sehr auf die wirtschaftliche Entwicklung ankommt. Siehe Ukraine. Die Dauerkrise seit dem Euromaidan macht ja eine riesige Anzahl Ukrainer zu Gastarbeitern in Polen und anderen Staaten. Da hat der prowestliche Umsturz den Menschen offenbar nichts gebracht - außer einer Auswanderungsmöglichkeit, um sich in anderen Staaten als Landarbeiter oder Müllmann zu verdingen.
Ein Informatiker, der in Polen als Müllwerker arbeitet, gewinnt natürlich nicht - zumindest nicht ökonomisch. Sein Problem ist halt, dass es zu Hause auch nicht mehr läuft. Nächste große Hoffnung: seine Kinder.
"Da hat der prowestliche Umsturz den Menschen offenbar nichts gebracht - außer einer Auswanderungsmöglichkeit, um sich in anderen Staaten als Landarbeiter oder Müllmann zu verdingen."
1. Braucht die Ukraine auch Landarbeiter und Müllmänner
und
2. Sollten Landarbeiter und Müllmann endlich den Status ehrenwerter Berufe erhalten.
Ja, Mr. Politically Correct.
Nur geht es hier um Innovation, und die meisten Müllfahrdienste haben kein betriebliches Vorschlagswesen, und wenn doch, gibt's nur einen leeren Bembel.
Jetzt OK?
Der Kommentar ist wirklich richtig schmackes.
Dann hat er sein Ziel erreicht.
Klar, so stellt sich der Dauerkonsument russischer Medien die Ukraine und den Rest der Welt halt so vor.
Schätzungen nach haben bereits 15% der IT-Experten Belarus verlassen. Diese sind in die westlichen Nachbarländer oder auch die Ukraine gegangen. Wobei die Ukraine wegen der Bürokratie und höheren Steuern weniger attraktiv ist als Polen oder Litauen. Dabei ziehen nicht nur Freelancer, sondern ganze Firmen um. Große internationale Firmen haben da sowieso geringere Probleme. Die bauen halt ihre Standorte z.B. in Polen aus und holen ihr gutes Personal aus Belarus nach.
Also nichts mit Programmierer aus Belarus der Polen Taxi fahren muss. Wobei auch Kraftfahrer ein gefragter Beruf in Polen sein soll.
Wer sind denn diese Spender und Sponsoren ?