Die Wellen schlugen in Russland hoch, nachdem US-Präsident Joe Biden in einem Interview die Frage nach Putins Bezeichnung als Killer mit „ja“ beantwortet hatte. Die russische Führung betrachtete diesen heftigen Angriff als Möglichkeit, die eigene Bevölkerung von innenpolitischer Unzufriedenheit aufgrund ständig sinkender Realeinkommen abzulenken – durch den beliebten Schulterschluss gegen den amerikanischen Gegner, der in Russland Tradition hat. So überboten sich diverse Regierungsfunktionäre mit heftigen Antworten gen Washington, bis hin zur Unterstellung einer Senilität des US-Staatsoberhauptes.
Kleine Zeichen für etwas mehr Frieden
Der russische Botschafter in den USA weilt wegen der Auseinandersetzung noch zurückgerufen aus Washington in Moskau, während es doch erste Anzeichen dafür gibt, dass sich der Rauch dieser heftigen Auseinandersetzung etwas lichtet. So kam es nicht zu einer spiegelbildlichen Abberufung des US-Botschafters in Moskau und dieser erklärte ausdrücklich, aktuell keine Reisepläne zu haben. Mehr noch: Er verkündete, sich vor Ort gerne mit seinem russischen, für die Vereinigten Staaten zuständigen Kollegen zum Austausch treffen zu wollen – als wäre nichts Böses geschehen. Auch bei mehreren folgenden Biden-Pressekonferenzen gab es keine Angriffe in Richtung Russland, so dass Kreml-Sprecher Peskow vorsichtig optimistisch feststellte, dass es in den USA offenbar einen Rückgang im Bezug auf russophobe Anfälle gebe.
Tatsächlich gab es für Biden bei seinem ungeschickten Putin-Angriff kaum noch Porzellan, das er dadurch hätte zerschlagen können – die schlechte Beziehung zwischen Moskau und Washington wurden nur vorübergehend auf ein noch niedrigeres Niveau gebracht. Unter russischen Experten herrscht Einigkeit, dass Hoffnungen auf eine Verbesserung des gegenseitigen Verhältnisses, die man 2016 nach Trumps Amtsantritt in Moskaus politischer Elite vorübergehend hatte, sich schon während dessen Amtszeit zerschlagen hatten und Grund für Optimismus schon vor Bidens Amtsantritt nicht bestand. So meint Walery Garbusow, Direktor des USA-Instituts der Russischen Akademie der Wissenschaften, dass Trump entgegen erklärter Absichten weiter auf Obamas Sanktionspolitik aufbaute und sich hierdurch eine weitere Entfremdung Russlands vom Westen ergab. Dagegen agierte er im Bereich der Rüstungskontrolle konsequent aktiv gegen die Interessen Russlands – erst unter Biden konnte der am 05. Februar 2021 auslaufende START3-Rüstungskontrollvertrag verlängert werden.
Dieser Vertragsverlängerung bringt jedoch – auch nach dem Ende des Biden-Putin-Killer-Zwischenfalls – nur wenig Hoffnung auf viel neue amerikanisch-russische Kooperation über ein absolutes Minimum hinaus. Dieses Minimum besteht aus gemeinsamen Interessen, bei denen die russische Zeitung Kommersant die Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen, die strategische Stabilität und eine tatsächliche Stabilität in Afghanistan oder der Arktis nennt. Hier steckt der Teufel bei Gesprächen zwischen Partnern, die sich nicht verstehen, aber häufig im Detail. So wollen alle eine Regelung für strategische Stabilität im Weltall – ob dabei ein allgemeines Verbot für Weltraumwaffen Bestandteil sein soll, da gehen die Meinungen zwischen Washington, Moskau und Peking auseinander.
Russland kritisiert Selbstverständnis der USA
Ein allgemeines Dauerproblem, das viele russische Experten für Geopolitik beim amerikanischen Gegenüber sehen, ist das Selbstverständnis der USA. Fjodor Lukjanow, Chefredakteur der Zeitschrift Russia in Global Affairs, erkennt in Washington das Selbstverständnis als einzigartige Weltmacht, mit der jeder Staat quasi gezwungen sei zu interagieren. Hier unterschätzten die Vereinigten Staaten das Ausmaß der Veränderungen im globalen System, meint Lukjanow und es sei fraglich ob es zur Beruhigung der Lage ausreichend sei, wenn Biden im Rahmen dieser Einstellung nur seine Taktik gegenüber seinem Vorgänger ändere, indem er beispielsweise grobe Angriffe auf eigene Verbündete unterlässt.
Basis dieses nicht nur von Russland wahrgenommenen Selbstbildes der USA ist die tiefe Überzeugung, dass Amerika das Bollwerk der „freien Welt“ und die Heimat des Liberalismus ist. Dieses Bild habe in der Welt jedoch Schaden genommen, nicht nur durch Trump, glaubt der armenische Amerikanist Areg Galjastan in einer Analyse für den Russischen Rat für Auswärtige Politik. Auch der große Einfluss wirtschaftlicher Lobbygruppen in Amerika, die Abhängigkeit von US-Politikern durch große Geldgeber und die Machtkonzentration in kleinen Eliten kratzen am Image der selbsternannten Freiheitsmacht. Deswegen sind gerade die Staaten ohne traditionell gute Beziehungen zur USA – wie Russland – nicht mehr bereit, sich an ein von dort vorgegebenes und selbst nicht eingehaltenes Wertesystem zu halten.
Garbusow empfiehlt dennoch der eigenen Regierung, Provokationen nicht zu erliegen und gegenüber den Vereinigten Staaten in ausgewählten Bereichen über die Minimal-Kooperation hinaus kompromissbereit zu sein. Ansonsten drohe in all der Anspannung ein vollständiger Zusammenbruch der Beziehungen zwischen Russland und den USA. Auch in Moskau gibt es natürlich ganz andere Stimmen zum Verhältnis zu Washington, denen mehr Öl im Feuer mit dem Westen sehr recht wäre. Das gilt gerade in den Kreisen der Regierungsbürokratie, die Bidens Ausfall dankend für eigene, antiamerikanische Attacken aufgenommen haben. Gemäßigte Stimmen können sich dort wie anderswo nur durchsetzen, wenn die Spitzen der internationalen Politik sich beim Versprühen von Gift mehr in Zurückhaltung üben, als in den letzten Jahren.
Kommentare 9
Ich stimme Ihnen zu. Leider gibt's in den USA niemand, der Russland als Partner und nicht als Gegner sieht (Wahlfaelschung, Cyberattacken etc.). Die Propaganda gegen Russland wie auch gegen China wird zunehmen. Damit soll offensichtlich von den innenpolitischen Spannungen abgelenkt werden.
Sehr durchsichtig und sehr gefaehrlich.
Ich glaube nicht, dass er das sagen wollte. Aber möge er sich gern selber dazu äußern.
Du lieber Himmel! Das macht China verschärft schon seit mindestens zwölf Jahren - und keiner hat's gemerkt?
Historisch gesehen ... haben die USA keinen Bedarf an echter Partnerschaft. Wer in diesem Jahrhundert immer noch von "Führungsmacht" und "Führungsanspruch" labert, gehört in die Verbannung. Wenn schon nicht Russland ... dann sollte doch bei China der letzte Trottel merken, dass es hier nicht um Freiheit geht, sondern um einen Rollback. Der Klassiker eben. Da ist es egal, ob da der Donbass, die Krim ... oder die Uiguren herhalten müssen. Mein Vater erzählte mir letztens, dass er seit Anfang der 1970er Jahre nie mehr eine solche Hetze gegen Russland erlebt hat wie aktuell ....Zumindest an China wird sich der Verwertungs-Westen technologisch die Zähne ausbeißen.
In der Tat sehe ich russophobe Tendenzen in den USA, die man aber nicht verallgemeinern darf - es gibt dort auch andere Stimmen wie die Russlandexpertin Natalie Baldwin, die sehr gute, fundierte Analysen ohne Feindbilddenken macht und die ich bei einem Interview persönlich kennenlernen durfte. Spiegelbildlich verhält es sich in Russland mit den USA - das Bewusstsein einer Feindschaft ist sehr ausgeprägt unter politische denkenden Menschen, gerade Regierungsanhängern oder -funktionären. Experten mahnen aber zur Mäßigung und sachlichen Kooperation, auch regierungsnahe. Diese Stimmen wollte ich transportieren. Denn in beiden Ländern und auch bei uns wäre es gut, wenn fachkundige, mäßigende Stimmen den Scharfmachern der ständigen Konfrontation die Lufthoheit im inneren Diskurs nehmen würden.
Ich verstehe Sie schon richtig. Natuerlich, "Experten" machen (meist) gute Analysen etc. die aber in aller Regel bei polit. Entscheidungen kaum eine Rolle spielen. Ich weiss nicht, ob Sie andere Erfahrungen gemacht habe.
Ich weiss auch nicht, woher Ihre Erfahrungen stammen. Meine sind aus dem letzten Jahren des Kalten Krieges, als Experten zuerst nicht gehoert wurden, dann laestig waren und schliesslich weggeschickt wurden.
Ich glaube diese Funktion von Experten hat sich nicht veraendert, weder im Osten nocht im Westen und darum halte mich lieber an Realpolitik. (Kann ich mir leisten bin ja nicht mehr im Experten-"Geschaeft".)
Trotzdem begruesse ich Ihre Analyse, weil sie die ueblichen Einseitigkeiten der Medien konfrontiert.
also, anfang der 70er ging es um "hetze" gegen wen?
rußland? putin?
Nicht nur die regierenden in den USA sind gefährlich. Hier haben wir so absolute Vasallen wie Heiko Maas, AKK, Rötgen und Co. Die Grünen samt den Edelfedern, Marionetta oder Klebern sollte man auch nicht vergessen.
Es ist nicht Aufgabe von Experten, politische Entscheidungen zu treffen. Es ist natürlich die Aufgabe von Politikern, vor Entscheidungen Experten zu befragen :-) In der Tat zweifle ich nicht nur bei der Außenpolitik selbst daran, ob das im nötigen Umfang gemacht wird - in Russland haben dennoch regierungsnahe Experten (leider nur die) schon auch Einfluss auf die politischen Entscheidungen und werden konsultiert.Meine Erfahrungen mit Experten kommen aus meiner journalistischen Tätigkeit der letzten Jahre, wo ich viele russische Experten für diverse Politikbereich und viele mitteleuropäische Russlandexperten persönlich kennenlernen durfte. Ich habe damals mit Julia Dudnik, eine glänzende Interviewerin und Analystin, einige Jahre das Politmagazin Russland.direct gemacht. Das war sehr interessant.