Nach Muskelspiel: Eiszeit oder Normalisierung

USA-Russland Es gibt kleine Entspannungszeichen zwischen Washington und Moskau. Fortschritte scheitern aus russischer Sicht am Selbstbild der USA – Scharfmacher haben beide Seiten

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2011 gab es noch einen Händedruck zwischen Joe Biden und Wladimir Putin. Auf einen Minimalkonsens wird man sich auch jetzt wieder einigen müssen
2011 gab es noch einen Händedruck zwischen Joe Biden und Wladimir Putin. Auf einen Minimalkonsens wird man sich auch jetzt wieder einigen müssen

Foto: Imago/ITAR-TASS

Die Wellen schlugen in Russland hoch, nachdem US-Präsident Joe Biden in einem Interview die Frage nach Putins Bezeichnung als Killer mit „ja“ beantwortet hatte. Die russische Führung betrachtete diesen heftigen Angriff als Möglichkeit, die eigene Bevölkerung von innenpolitischer Unzufriedenheit aufgrund ständig sinkender Realeinkommen abzulenken – durch den beliebten Schulterschluss gegen den amerikanischen Gegner, der in Russland Tradition hat. So überboten sich diverse Regierungsfunktionäre mit heftigen Antworten gen Washington, bis hin zur Unterstellung einer Senilität des US-Staatsoberhauptes.

Kleine Zeichen für etwas mehr Frieden

Der russische Botschafter in den USA weilt wegen der Auseinandersetzung noch zurückgerufen aus Washington in Moskau, während es doch erste Anzeichen dafür gibt, dass sich der Rauch dieser heftigen Auseinandersetzung etwas lichtet. So kam es nicht zu einer spiegelbildlichen Abberufung des US-Botschafters in Moskau und dieser erklärte ausdrücklich, aktuell keine Reisepläne zu haben. Mehr noch: Er verkündete, sich vor Ort gerne mit seinem russischen, für die Vereinigten Staaten zuständigen Kollegen zum Austausch treffen zu wollen – als wäre nichts Böses geschehen. Auch bei mehreren folgenden Biden-Pressekonferenzen gab es keine Angriffe in Richtung Russland, so dass Kreml-Sprecher Peskow vorsichtig optimistisch feststellte, dass es in den USA offenbar einen Rückgang im Bezug auf russophobe Anfälle gebe.

Tatsächlich gab es für Biden bei seinem ungeschickten Putin-Angriff kaum noch Porzellan, das er dadurch hätte zerschlagen können – die schlechte Beziehung zwischen Moskau und Washington wurden nur vorübergehend auf ein noch niedrigeres Niveau gebracht. Unter russischen Experten herrscht Einigkeit, dass Hoffnungen auf eine Verbesserung des gegenseitigen Verhältnisses, die man 2016 nach Trumps Amtsantritt in Moskaus politischer Elite vorübergehend hatte, sich schon während dessen Amtszeit zerschlagen hatten und Grund für Optimismus schon vor Bidens Amtsantritt nicht bestand. So meint Walery Garbusow, Direktor des USA-Instituts der Russischen Akademie der Wissenschaften, dass Trump entgegen erklärter Absichten weiter auf Obamas Sanktionspolitik aufbaute und sich hierdurch eine weitere Entfremdung Russlands vom Westen ergab. Dagegen agierte er im Bereich der Rüstungskontrolle konsequent aktiv gegen die Interessen Russlands – erst unter Biden konnte der am 05. Februar 2021 auslaufende START3-Rüstungskontrollvertrag verlängert werden.

Dieser Vertragsverlängerung bringt jedoch – auch nach dem Ende des Biden-Putin-Killer-Zwischenfalls – nur wenig Hoffnung auf viel neue amerikanisch-russische Kooperation über ein absolutes Minimum hinaus. Dieses Minimum besteht aus gemeinsamen Interessen, bei denen die russische Zeitung Kommersant die Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen, die strategische Stabilität und eine tatsächliche Stabilität in Afghanistan oder der Arktis nennt. Hier steckt der Teufel bei Gesprächen zwischen Partnern, die sich nicht verstehen, aber häufig im Detail. So wollen alle eine Regelung für strategische Stabilität im Weltall – ob dabei ein allgemeines Verbot für Weltraumwaffen Bestandteil sein soll, da gehen die Meinungen zwischen Washington, Moskau und Peking auseinander.

Russland kritisiert Selbstverständnis der USA

Ein allgemeines Dauerproblem, das viele russische Experten für Geopolitik beim amerikanischen Gegenüber sehen, ist das Selbstverständnis der USA. Fjodor Lukjanow, Chefredakteur der Zeitschrift Russia in Global Affairs, erkennt in Washington das Selbstverständnis als einzigartige Weltmacht, mit der jeder Staat quasi gezwungen sei zu interagieren. Hier unterschätzten die Vereinigten Staaten das Ausmaß der Veränderungen im globalen System, meint Lukjanow und es sei fraglich ob es zur Beruhigung der Lage ausreichend sei, wenn Biden im Rahmen dieser Einstellung nur seine Taktik gegenüber seinem Vorgänger ändere, indem er beispielsweise grobe Angriffe auf eigene Verbündete unterlässt.

Basis dieses nicht nur von Russland wahrgenommenen Selbstbildes der USA ist die tiefe Überzeugung, dass Amerika das Bollwerk der „freien Welt“ und die Heimat des Liberalismus ist. Dieses Bild habe in der Welt jedoch Schaden genommen, nicht nur durch Trump, glaubt der armenische Amerikanist Areg Galjastan in einer Analyse für den Russischen Rat für Auswärtige Politik. Auch der große Einfluss wirtschaftlicher Lobbygruppen in Amerika, die Abhängigkeit von US-Politikern durch große Geldgeber und die Machtkonzentration in kleinen Eliten kratzen am Image der selbsternannten Freiheitsmacht. Deswegen sind gerade die Staaten ohne traditionell gute Beziehungen zur USA – wie Russland – nicht mehr bereit, sich an ein von dort vorgegebenes und selbst nicht eingehaltenes Wertesystem zu halten.

Garbusow empfiehlt dennoch der eigenen Regierung, Provokationen nicht zu erliegen und gegenüber den Vereinigten Staaten in ausgewählten Bereichen über die Minimal-Kooperation hinaus kompromissbereit zu sein. Ansonsten drohe in all der Anspannung ein vollständiger Zusammenbruch der Beziehungen zwischen Russland und den USA. Auch in Moskau gibt es natürlich ganz andere Stimmen zum Verhältnis zu Washington, denen mehr Öl im Feuer mit dem Westen sehr recht wäre. Das gilt gerade in den Kreisen der Regierungsbürokratie, die Bidens Ausfall dankend für eigene, antiamerikanische Attacken aufgenommen haben. Gemäßigte Stimmen können sich dort wie anderswo nur durchsetzen, wenn die Spitzen der internationalen Politik sich beim Versprühen von Gift mehr in Zurückhaltung üben, als in den letzten Jahren.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Roland Bathon

Journalist und Politblogger über Russland und Osteuropa /// www.journalismus.ru

Roland Bathon

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