Peter Brandt: „Nachzudenken über Auswege aus dem Krieg kann nicht verwerflich sein“
Interview Eine Initiative aus der Mitte der Gesellschaft sei ihr Aufruf „Frieden schaffen! Waffenstillstand und Gemeinsame Sicherheit jetzt!“, schreiben dessen Initiatoren aus SPD und Gewerkschaften – einer von ihnen: der Historiker Peter Brandt
Peter Brandt: „Errungenschaften der Entspannungspolitik komplett zu leugnen, halte ich für abenteuerlich“
Foto: Markus Scholz/picture alliance/dpa
Zahlreiche früher hochrangige Vertreter von SPD und Gewerkschaften haben sich mit einem Appell für Frieden, Waffenstillstand und Verhandlungen im Ukrainekrieg an die Bundesregierung, insbesondere Bundeskanzler Olaf Scholz gewandt – die Initiatoren waren der Historiker Peter Brandt, der ehemalige DGB-Chef Reiner Hoffmann, der Naturfreunde-Bundesvorsitzende und ehemalige Staatssekretär Michael Müller sowie Reiner Braun vom Internationalen Friedensbüro.
Prominent sind die Namen der Unterstützerinnen und Unterstützer – unter anderem Norbert-Walter Borjans, Wolfgang Thierse, Andrea Ypsilanti, Herta Däubler-Gmelin, Katja Ebstein, Hans Eichel, Klaus Dörre, Günter Verheugen und Annelie Buntenbach –, teils heftig war die Kritik an d
rre, Günter Verheugen und Annelie Buntenbach –, teils heftig war die Kritik an dem Abpell; der ehemalige ukrainische Botschafter in Deutschland und heutigen Vize-Außenminister des Landes, Andrij Melnyk, etwa schrieb: „Schert euch zum Teufel mit eurer senilen Idee“.Der Freitag hat mit einem der Initiatoren des Aufrufs „Frieden schaffen!“, dem Historiker Peter Brandt, Sohn des früheren Bundeskanzlers Willy Brandt, über die Argumente der Kritiker gesprochen.der Freitag: Herr Brandt, Ihr Appell richtet sich ja vor allem an die deutsche Bundesregierung. Hat diese so viel Einfluss auf Krieg und Frieden in der Ukraine? Wäre ein Appell an den Kreml, Kiew oder das Weiße Haus nicht sinnvoller?Peter Brandt: Diese Kritik hören wir häufig. Wir wenden uns unter anderem an den Bundeskanzler, weil wir deutsche Staatsbürger sind. Wir können weder auf den russischen noch den ukrainischen Präsidenten direkt einwirken. Wir wenden uns zugleich an die deutsche Öffentlichkeit mit einer Meinungsäußerung. Es war zu lesen, wir forderten den Bundeskanzler zu etwas auf – aber wir haben es vorsichtiger formuliert. Wir wollen ihn ermutigen und einen alternativen Druck aufbauen zu immer neuen Forderungen nur nach Waffen.Aber Deutschland wird ja von der russischen Seite als Unterstützer des „Feindes“, wenn nicht sogar als Feind wahrgenommen. Eignet es sich da überhaupt als Vermittler?Wir meinen nicht, dass Deutschland direkt als Vermittler tätig sein kann. Ihre Bemerkung ist richtig, was die russische Sicht angeht. Unsere Idee ist, dass Deutschland sich zusammen mit Frankreich darum bemüht, dass Staaten des globalen Südens eine Vermittlerrolle übernehmen.Sie sprechen ja im Appell selbst eine Reihe von Ländern an: Brasilien, China, Indien und Indonesien. Sind das geeignete Vermittler?China wird ja wahrgenommen als Verbündeter Russlands. Das ist nicht ganz verkehrt. Andererseits meinte sogar der ukrainische Präsident, man sollte die Vorschläge aus Peking nicht einfach so vom Tisch fegen. Also ist die Einbeziehung Chinas wohl nicht abwegig. All diese Staaten haben sich im Konflikt nicht eindeutig festgelegt. Jenseits der Frage, ob diese Haltung zu billigen ist, können sie so möglicherweise etwas in Gang bringen: einen Waffenstillstand als Vorstufe zu Friedensverhandlungen.„Wir fordern nicht, dass die Ukraine kapituliert“Ihr Appell enthält in der Tat die Forderung nach einem sofortigen Waffenstillstand. Hier hört man oft, die russische Seite könnte einen solchen nutzen, um sich besser aufzustellen und dann erneut loszuschlagen.Dieses Argument könnte man gegen jeden Waffenstillstand in jedem Krieg vorbringen. Ich höre solche Entgegnungen oft: Entweder Russland sei an einem Waffenstillstand nicht interessiert oder ein Waffenstillstand könnte Russland nutzen. Man kann nie ausschließen, dass eine Waffenpause oder ein Frieden nicht dauerhaft ist, Verträge gebrochen werden. Deshalb müssen manche Dinge im Vorfeld geklärt werden, damit das nicht geschieht. Es gibt einfach keine Alternative, wenn man zu einem Frieden kommen will, außer der von der Ukraine offiziell vertretenen Variante eines kompletten Sieges.Wäre dieser für die angegriffene Ukraine nicht wünschenswert?Wenn er überhaupt realistisch ist, was ich bezweifle, würde dieser Weg mit schwersten Opfern für die Menschen in der Ukraine erkauft werden. Im Appell wird aber übrigens nicht gefordert, dass die Ukraine kapituliert. Es wird auch nicht gefordert, westliche Waffenlieferungen einfach einzustellen. So etwas hätten viele gar nicht unterschrieben, die jetzt dabei sind. Nachzudenken über Auswege aus dem Krieg, kann aber nicht verwerflich sein.Gerade der Ausbruch des Krieges wird von Kritikern einem „Versagen“ der klassischen Ostpolitik der SPD angelastet, einem quasi zu russlandfreundlichen Kurs.Man muss unterscheiden zwischen der Entspannungspolitik bis 1990 und danach. Die klassische Entspannungspolitik hat nicht alleine zum Umbruch von 1989/90 geführt, aber sie war eine nicht wegzudenkende Voraussetzung. Auch anfängliche Kritiker wie Helmut Kohl haben sie ab 1982/83 im Wesentlichen fortgesetzt. Anders verhält es sich danach mit dem, was der Begriff „Wandel durch Handel“ beschreibt. Der Handel spielt bei der Entspannung eine Rolle, ist aber nicht der Kern des Ganzen. Das war mehr die Linie der Kabinette Merkel und keine spezifisch sozialdemokratische. Man kann das alles kritisch diskutieren. Aber Errungenschaften der Entspannungspolitik komplett zu leugnen, halte ich für abenteuerlich.„Rolf Mützenich hat positiv reagiert“Könnte sich die SPD denn mit Friedensbemühungen überhaupt gegen ihre Koalitionspartner durchsetzen? Etwa die grüne Außenministerin Annalena Baerbock ist ja eine glühende Verfechterin des Kriegsendes nur durch einen militärischen Sieg?Ich halte es für denkbar und wünschenswert, dass die SPD als Partei deutlichere Signale sendet und Anstrengungen unternimmt als im ersten Kriegsjahr. Es war ein Jahr großer Verunsicherung, das kann ich nachvollziehen. Es gibt auf unseren Appell immerhin auch positive Reaktionen wie von Rolf Mützenich, der inhaltlich weitergegangen ist, als ich dachte. Er kann so etwas als Fraktionsvorsitzender gar nicht unterschreiben.Bedeutet das, die aktuell aktiven SPD-Genossen haben Angst vor der Front aus Politik und Presse, die jede Verhandlung mit Russland ablehnen?Ich möchte nicht behaupten, dass derzeit aktive Politiker vor Angst schlottern. Aber wir haben natürlich in den Medien mehrheitlich ein Klima, wo man viel riskiert, wenn man sich gegen den Mainstream positioniert. Nehmen wir beispielsweise einmal rein fiktiv einen Verkehrspolitiker, der gute sachliche Arbeit machen will. Soll er sich diese jetzt erschweren, indem er sich auf einem kontroversen Feld positioniert, wo er kein Experte ist? Diejenigen, die nicht mehr im Amt sind, müssen solche Befürchtungen nicht haben.Die Vertrauensbasis zwischen Russland und der Ukraine mit dem Westen ist ja nachhaltig zerstört. Ist das nicht ein großes Problem für jede Vereinbarung?Ja, absolut. Aber hier ist vielleicht die Erfahrung des alten Kalten Krieges nützlich. Damals haben beide Seiten lange dem Gegner jedes Übel zugetraut. Der Wendepunkt war erst eine extrem gefährliche Situation, die Kuba-Krise vom Oktober 1962, als ein Atomkrieg real drohte. Da haben die führenden Staatsmänner beider Weltmächte einen kühlen Kopf behalten. Das war der Vorlauf zur Entspannungspolitik, zur Rüstungskontrolle. Es funktionierte, weil es ein gemeinsames Interesse gab, das auch heute gilt: Physisch zu überleben.
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