Putinpartei im Rekord-Stimmungstief

Russland Eine Umfrage sieht die Putinpartei „Einiges Russland“ von der Unterstützung der Russen auf einem Fünfjahrestief. Was ist die Ursache und profitiert davon die Opposition?

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Die Meinungsforscher des Lewadazentrums sehen die Putinpartei „Einiges Russland“ aktuell auf einem Rekordtief – nur noch 27 % der Russen unterstützen die Partei. Laut der Moskauer Nesawisimaja Gaseta ist das das niedrigste Rating seit fünf Jahren. Hier spiegelt sich laut der Zeitung eine größere Unzufriedenheit der Russen mit ihrem Establishment und ein wachsendes Misstrauen mit den offiziellen Machtstrukturen wider. Für die Partei, die bei den Dumawahlen 2016 noch über 50 % der Stimmen errang, ist das in der Tat ein besorgniserregendes Ergebnis – denn die nächste russische Parlamentswahl steht schon im September 2021 an und eine aktuell komfortable Zweidrittelmehrheit im Parlament ist in Gefahr.

Übereinstimmender Trend zeigt Überdruss

Nun gilt das Lewadazentrum als oppositionsnah – doch die Erhebungen des Instituts genießen dennoch großes Renommee. Die Beobachtung eines Rückgangs der Popularität der Putinisten, gerade im letzten halben Jahr, deckt sich zudem mit dem Beobachten regierungsnaher Institute, etwa den staatseigenen Meinungsforschern von WZIOM. Sie geben „Einiges Russland“ in ihrer letzten Erhebung ebenfalls nur noch 29,4 % an Zustimmung, was einem Rückgang von sechs Prozent gegenüber Werten im Juni 2020 bedeutet.

Tatsächlich haben viele Russen die übermächtige Stellung der Partei und hinter ihr stehenden Gruppen in der Politik satt. Offiziell bezeichnet sie sich als konservativ, was insoweit stimmt, als dass ihr Ziel die Zementierung des aktuellen politischen Systems in Russland ist: Einer Herrschaft der Verwaltungsbürokratie, einem geschlossenen Establishment, wo die wichtigen Leute aus dem einen Bereich, seien es in Staatsunternehmen, Präsidialverwaltung oder Geheimdienste auch alle übrigen Bereiche wie die Politik oder Justiz dominieren. Dadurch werden die Hauptbegünstigten etwa des russischen Korruptionsproblems gleichzeitig zu denjenigen, die es bekämpfen sollen.

Machtapparat ist keine Wellnessoase

Dabei muss man sich diese Herrschaftsschicht nicht als gemütliche Wellnessoase für leitende Beamte vorstellen. Vielmehr ist sie eine Gemengelage aus vielen rivalisierenden Gruppen, die um Einfluss ringen, aber ebenso engagiert darauf schauen, dass ihre Dominanz insgesamt erhalten bleibt. Immer wieder gibt es auch offiziell aufgedeckte Korruptionsskandale, wie aktuell um den „Einiges Russland“-Parlamentsabgeordneten und Ex-Vizegouverneur Sergej Soptschuk. Dieser wurde angeklagt, umfangreiche Beweismittel für illegale Geschäfte, die ihm etwa 500 Millionen Euro brachten, Beiseite geschafft zu haben. Doch nie ist man sich sicher, ob diese oder jene Aufdeckung eines Skandals rund um ein Mitglied des Machtapparats nicht doch nur eine Folge des internen Machtkampfes ist, den hier jemand gegen seine Rivalen verloren hat. Denn dann kann die vorher verschlossene Akte der Missetaten als Waffe genutzt werden.

Putin selbst steht über alldem nach Meinung führender russischer Kremlkenner wie Ekaterina Schulmann oder Michail Sygar weniger wie ein Zar, sondern eher wie ein Symbol und Schiedsrichter, der darauf achtet, dass keiner der Bestandteile des Machtblocks zu dominant wird, sich aber aus den Tiefen der Tagespolitik eher zurückgezogen hat. Nicht umsonst ist er selbst kein Mitglied von „Einiges Russland“, obwohl er an der Formung der Partei als politische Stütze des Machtsystems natürlich ursprünglich Anteil hatte. Hinter ihm verstecken sich im Apparat zahlreiche Bürokraten ohne ein vergleichbares Charisma, die im System trotz all seiner Rivalitäten ein gutes Auskommen haben. Doch selbst viele Anhänger des Präsidenten sehen das hinter ihm stehende Establishment zunehmend kritisch.

Machtpartei ist bei Machtsicherung kreativ

Hier ist es die Frage, ob die Opposition die Schwäche des Establishments bei den kommenden Wahlen nutzen kann. Natürlich wird sie bei der Wahlwerbung benachteiligt – praktisch in ganz Russland gelten die Mächtigen in Verwaltung, Politik und den Rundfunkmedien ja als Stützen der Systempartei. Auch ist man bei der Bekämpfung echter Regierungsgegner durchaus kreativ. So gibt es in der Staatsduma die Partei „Gerechtes Russland“, die schon seit der Gründung den Ruf besitzt, ein Projekt des Kremls zu sein, das „echten“ Oppositionellen Stimmen abjagt. Als sie im Zuge der Systemkrise nun ebenfalls an Zustimmung verlor, arrangierte das Establishment für „Gerechtes Russland“ eine Fusion mit zwei anderen Parteien, um dem Projekt wieder Auftrieb zu verleihen.

Auch werden nun mehr Sitze im Parlament als bei früheren Wahlen über ein Mehrheitswahlrecht vergeben, was natürlich große Parteien wie „Einiges Russland“ zuungunsten kleinerer Vereinigungen - praktisch aller übrigen Kräfte - stärkt. Um die Wahlchancen zu maximieren, kreierte die Putinpartei sogar eine interne Liste aller Kandidaten mit einer zweifelhaften Wiederwahl, deren erneute Aufstellung vermieden werden soll. Auch hier zeigt sich, dass die Zugehörigkeit zum Machtestablishment keine automatische Karriere für Einzelpersonen garantiert - das Kollektiv achtet vor allem auf die Erhaltung des insgesamten Macht.

Außerparlamentarische Opposition uneins

Doch nicht nur die Winkelzüge der Mächtigen hemmen die aktuell außerparlamentarische Opposition, die laut WZIOM momentan von etwa 13 % der Bevölkerung unterstützt wird. Dieser Anteil würde bequem reichen um eine neue Oppositionspartei im Herbst in die Staatsduma zu bringen. Tatsächlich gibt es jedoch eine ganze Menge von oppositionellen Kleinparteien von sozialistisch über sozial- bis wirtschaftsliberal, die sich diese Zustimmung teilen und jede für sich die auch in Russland gültige Fünfprozenthürde eher verfehlt.

Auch Nawalny ist mitnichten ein anerkannter Anführer dieses gesamten Blocks und steht selbst unter Kritik, erst jüngst durch den Vorsitzenden der traditionsreichen linksliberalen Partei Jabloko, die als eine der wenigen Kräfte dort immerhin schon einmal in der Staatsduma saß. Ob hier über Absprachen eine Stärkung der gemeinsamen Macht organisiert werden kann, ist bei weitem noch nicht sicher, denn die Uneinigkeit ist groß. Hier müsste wohl trotz aller Rivalitäten, vergleichbar zum Block der Macht, ein gemeinsames Projekt zur Steigerung des eigenen Einflusses geschaffen werden.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Roland Bathon

Journalist und Politblogger über Russland und Osteuropa /// www.journalismus.ru

Roland Bathon

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