Russland: Helfen Sanktionen Menschenrechten?

Sanktionskrieg Mit Sanktionen will man seit Jahren die russische Regierungspolitik ändern. Die Botschaft kommt auch bei russischen Experten nicht an und vor Ort erreicht wird nichts.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Man weiß nicht genau, wie viele Sanktionsrunden es zwischen dem Westen - vor allem den USA und der EU - auf der einen und Russland auf der anderen Seite schon gab. Die Inhaftierung des Oppositionellen Nawalny löst gerade die neuste Sanktionswelle aus. Ihm drohen durch Umwandlung einer früheren Bewährungsstrafe aktuell dreieinhalb weitere Jahre Haft, nachdem er schon zu zweieinhalb Jahren Straflager verurteilt wurde.

Russland hat schon angekündigt, auf diese Welle mit Gegensanktionen zu reagieren. Ziele der westlichen Sanktionen sind nach dortiger Auskunft, eine konstruktivere Politik in Konflikten zu erzwingen - das betrifft Themen wie den Ukrainekonflikt ebenso wie das Thema Menschenrechte, das oft auf der Sanktionsagenda als Rechtfertigung steht. Sind Sanktionen hier ein geeignetes Mittel? Zweifel daran müssen erlaubt sein, haben sich ja in den letzten zehn Jahren, seit man verstärkt dieses Instrument nutzt, Konflikte und Kritik zwischen dem Westen und Russland eher aufgeschaukelt und nicht etwa vermindert. Und es ist stets der Westen, von dem der Sanktionsreigen ausgeht, da Russland hier meist spiegelbildlich und nicht eigeninitiativ agiert.

Wie Sanktionen in Russland ankommen

Wichtig ist dabei, wie Sanktionen in Russland ankommen und was sie bewirken - nicht im Kopf von Hardlinern, die in einer geschlossenen, antiwestlichen Gedankenwelt leben, sondern bei gesprächsbereiteren gemäßigten Politikern und sie beratenden Experten, deren Einlenken bei kontroversen Themen man ja in Washington und Brüssel erreichen will.

Russische Experten sehen aktuelle Sanktionsanstrengungen gegen ihr Land vor allem als Versuch eines neuen Schulterschlusses zwischen den USA und der EU nach den ernsthaften Störungen des transatlantischen Miteinander in der Ära Trump. Erfolgreich zur Verbesserung der Menschenrechtssituation werden sie nach ihrer Meinung jedoch nicht sein. Etwa Andrej Kortunow, Vorsitzender des Russischen Rates für Auswärtige Politik und trotz seiner Regierungsnähe nicht immer unkritisch gegenüber dem Kurs des Kreml, hält die Sanktionen im Bezug auf die Menschenrechtslage sogar für kontraproduktiv. Russland werde - wie China - seinen Kurs im Bezug auf Demonstrationen wie in Chabarowsk eher verschärfen, schon um zu zeigen, dass man keine Einmischung der USA in innere Angelegenheiten Russlands toleriere.

Der Vorwurf der Doppelmoral

Angesichts der Rassenunruhen in jüngerer Zeit sei die USA für Staaten wie Russland und China als Modell für Menschenrechtspraktiken nicht sehr gut geeignet, meint Kortunow. Dazu kommt, dass Druck für mehr Menschenrechte stets nur gegenüber Staaten aufgebaut werde, die keine Verbündeten des Westens seien. Bei Saudi Arabien oder der Türkei sehe man hingegen von solchem Druck ab, so dass der Vorwurf der Doppelmoral nahe liege. Ob hier der Westen einen glaubwürdigen ideologischen Kreuzzug für die Menschenrechte führen könne, hält Kortunow für fraglich.

Dennoch ist eine geschlossenere „Westfront“ USA-EU für Russland ein außenpolitisches Problem. Moskau dürfte es in Zukunft schwieriger haben, Widersprüche zwischen den Verbündeten auszunutzen, meint dazu Dmitri Trenin vom Moskauer Carnegie-Zentrum. Doch auch er glaubt, dass Russland in der Lage ist, dem amerikanischen Druck standzuhalten, wenn die USA - wie aktuell erwartet - an einem konfrontativen Ansatz gegenüber Moskau festhält. Sein Kollege Iwan Timofejew führt in einer Studie diese Fähigkeit Russlands auch noch detaillierter aus.Das Land reagiert mit einer weiteren Entdollarisierung der Wirtschaft und natürlich einer verstärkten Zusammenarbeit mit China, die zwar nicht risikofrei im Bezug auf die Verstärkung von Abhängigkeiten ist, aber alternativlos, sollte der ständige Schlagabtausch mit dem Westen arbeiten.

Nicht einmal eine Möglichkeit

So haben russische Experten auf ihrer Agenda alle möglichen Reaktionen ihres Landes auf den Sanktionskrieg - aber wirklich keiner beschäftigt sich ernsthaft mit der Möglichkeit, Russland werde seine Innen- oder Außenpolitik wegen der Sanktionen westlichen Wünschen anpassen. Denn es ist eigentlich klar, dass das vorgebliche Ziel des westlichen Sanktionshypes - eine Politikänderung im Kreml - in den folgenden Jahren ebenso wenig erreicht wird wie in den letzten Jahren. Hier darf man schon ernsthaft fragen, ob hier nicht Symbolpolitik betrieben wird - diese oder jene russische Entscheidung möchte oder kann man nicht tolerieren, also denkt man sich zum puren „Zeichen setzen“ neue Sanktionen aus. Im Wissen darum, dass dadurch weder Nawalny frei kommt noch weniger Demonstranten verhaftet werden.

Was kann eine Alternative zu Sanktionen sein? Viele Sanktionsgegner verweisen hier auf die Notwendigkeit eines Dialogs, doch tatsächlich wird über den Dialog zwischen Russland und dem Westen mehr in Absichtserklärungen gesprochen, als solcher tatsächlich auf offizieller Ebene geführt. Und die Frage ist berechtigt, ob etwa die restriktive Politik der russischen Führung gegenüber wirklicher Opposition im Wege des Dialogs effektiver beeinflusst werden kann, als mit den aktuell praktizierten Zwangsmaßnahmen.

Aber hier stellt sich tatsächlich die Frage, ob solche innenrussischen Misstände nicht zwangsläufig innerhalb Russlands beseitigt werden müssen - und der Westen nutzt über seine russischsprachigen Medien sehr großen Einfluss, um die für ihn richtigen moralischen Vorstellungen in den innenrussischen Diskurs einzubringen. Tatsächlich wird sich in Russland dann etwas ändern, wenn die innenrussischen Kräfteverhältnisse ändern - und dass das auch in autoritären Staaten möglich ist, beweisen zahlreiche gestürzte Diktatoren. Durch Sanktionen und moralisierende Zeigefinger von außen ist keiner von ihnen gefallen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Roland Bathon

Journalist und Politblogger über Russland und Osteuropa /// www.journalismus.ru

Roland Bathon

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden