Türkisches Öl ins Feuer

Bergkarabach Während Moskau noch Wert auf eine neutrale Vermittlerrolle legt, greift Ankara in den Krieg um Karabach direkt ein – warum?

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Die Türkei hat bei den begonnenen kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Armenien und Aserbaidschan in den letzten Tagen negativ von sich reden gemacht. Meldungen über direkte türkische Eingriffe häufen sich. So berichten die US-Onlinezeitung Daily Beast und die der dortigen Opposition nahestehende Syrische Beobachtungsstelle übereinstimmend, die Türkei importiere aktiv islamistische Kämpfer von Syrien nach Aserbaidschan für Kampfeinsätze. Diese, teilweise ehemalige IS-Einheiten, würden nun gegen Armenien eingesetzt. Solche Berichte sind glaubwürdig, da die Türkei derartige Gruppen auch in Syrien selbst eingesetzt hatte, um etwa die kurdische Herrschaft über den Grenzkanton Afrin zu zerschlagen, der nun fest unter protürkischer Kontrolle steht.

Das passt zusammen mit armenischen Meldungen, wonach türkische Kampfjets aktiv in die Gefechte eingreifen würden und auch ein armenisches Flugzeug über dortigem Territorium abgeschossen hätten – ein Umstand, den Ankara aktiv bestreitet. Zugeben könnte man einen solchen Angriff jedoch nicht ohne massive internationale Kritik, wenn nicht Isolation. Berichte gibt es weiter über türkische Militärberater im aserbaischanischen Heer und türkischen Einheiten auf aserbaidschanischem Boden, etwa beim Nahostportal Al Monitor. Doch auch ohne diese Eingriffe ist die Türkei das einzige Land, das eine der Parteien direkt unterstützt ohne die Forderung, die Gewalt zu stoppen, wie es die oppositionelle russische Onlinezeitung Meduza ausdrückt.

Hierzu passt das kürzliche Statement des türkischen Außenministers Çavuşoğlu, Aserbaidschan sowohl am Verhandlungstisch als auch auf dem Schlachtfeld unterstützen zu wollen. Auf diesem toben sehr heftige Kämpfe, nicht nur mit Kleinwaffen. Die russische Nesawisimaja Gaseta spricht vom Einsatz „supermächtiger“ Waffen wie großkalibriger Artillerie oder TOS-1-Raketenwerfern, die wegen ihrer massiven Wirkung in Russland zur Reserve des obersten Kommandos zählen.

Nicht nur Meduza beobachtet in Russland das Verhalten der Türkei im Konflikt sehr kritisch. Kremlsprecher Peskov kritisierte Çavuşoğlus Äußerung umgehend als Öl ins Feuer der Kämpfe. „Alle Aussagen über militärische Unterstützung oder militärische Aktivitäten tragen definitiv zur Ausbreitung des Feuers bei“, erklärte er in Moskau. Er forderte die Türkei auf, stattdessen mäßigend auf Aserbaidschan einzuwirken.

Noch immer befindet sich Moskau nach eigenem Selbstverständnis – anders als in deutschen Schlagzeilen vom Stellvertreterkrieg – in einer reinen Vermittlerrolle zwischen den Kontrahenten. Peskow forderte demzufolge beide Seiten erneut zur Einstellung der Kämpfe auf. Leider war jedoch die bisherige Vermittlerrolle Russlands nicht besonders effektiv – sie brachte seit 25 Jahren keine spürbaren Fortschritte in den eingefrorenen Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan. Moskau schien mit dem Einfrieren des Konflikts zufrieden und wacht nur beim Aufflammen größerer Kämpfe aus seiner diesbezüglichen Apathie auf.

Ein Beistandspakt mit Armenien im Rahmen des Vertrags über kollektive Sicherheit garantiert russischen Schutz Armeniens nur im Falle einer externen Aggression gegen dessen Staatsgebiet – und zu dem gehört das umstrittene Bergkarabach nach russischem Selbstverständnis nicht. Aserbaidschan war übrigens ursprünglich ebenfalls Vertragspartner, hat die Mitgliedschaft jedoch am Ende der 90er Jahre nicht mehr verlängert. Gefährlich ist es im Bezug auf diesen Vertrag, dass es auch Meldungen über Artilleriegefechte aus der unzweifelhaft armenischen Region Vardenis zwischen Armenien und Aserbaidschan gibt.

Russland spielte trotz der Verbundenheit mit Armenien im Bezug auf Aserbaidschan lange die Rolle eines wichtigen Partners. Es gibt eine umfassende Zusammenarbeit bei der Strafverfolgung, zur Terrorbekämpfung, in Wirtschaft und Militärtechnik, wobei gerade letztere Armenien missfällt. Als Vermittler im Bezug auf Bergkarabach war Russland von Aserbaidschan lange Zeit akzeptiert, etwa bei direkten armenisch-aserbaidschanischen Verhandlungen in Moskau 2008, deren Ziel die politische Beilegung des Konflikts zwischen beiden Ländern war. In Aserbaidschan lebt eine russische Minderheit aus der Sowjetzeit, Ziel der aggressiven türkischen Politik sei es, Russland als Hauptpartner Aserbaidschans zu ersetzen analysiert dementsprechend Meduza das Geschehen. Weiter könnte Karabach ein Faustpfand für andere geopolitisches Gerangel mit Russland werden, etwa in Syrien oder Libyen. Das ist eine Vermutung, die Meduza übrigens mit dem Nahostportal Al Monitor teilt.

Vom weiteren Verhalten Ankaras wird es abhängen, wie sich Moskau im Bezug auf den möglichen beginnenden Krieg verhält. Es wird so lange wie möglich einen neutralen Status wahren – sich jedoch dann einmischen, wenn die armenische Seite durch direkte türkische Gewalt in ernste Bedrängnis gerät.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Roland Bathon

Journalist und Politblogger über Russland und Osteuropa /// www.journalismus.ru

Roland Bathon

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