Verliert Russland seine Freunde in der EU?

Tschechien-Konflikt Moskau und Prag befinden sich in schwerwiegenden Auseinandersetzungen - auch die „Russlandversteher“ in der EU wie die Slowakei und Ungarn stehen auf tschechischer Seite.

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Die Beziehungen zwischen Russland und Tschechien sind auf dem tiefsten Punkt der neueren Geschichte beurteilte die russische Zeitung Kommersant in dieser Woche den aktuellen Streit zwischen den beiden Staaten, der bereits zu zahlreichen Diplomatenausweisungen geführt hat. Diese werden möglicherweise bis an die Betriebsfähigkeit der beiden Botschaften fortgesetzt. Auch Wirtschaftssanktionen, wie ein russischer Importstop für tschechisches Bier oder ein Ausschluss russischer Anbieter bei tschechischen Atomkraftprojekten sind im Gespräch.

Der Streit um die Munitionsexplosion

Die Ursache ist eine Explosion in einem tschechischen Munitionsdepot 2014 mit Todesopfern, wegen der die tschechische Polizei nun nach zwei mutmaßlichen russischen Agenten fahndet. Ob die beiden wirklich schuldig sind, ob es - wie von tschechischer Seite vermutet wird - eine Verstrickung der Russischen Botschaft im eigenen Land tatsächlich gibt, ist für die fatalen Folgen dieser Eskalation nicht entscheidend. Belastbare und endgültige Ermittlungsergebnisse werden wohl erst in weiter Zukunft vorliegen und dann wahrscheinlich zwischen Russland und Tschechien umstritten bleiben. Es gibt auch durchaus Lücken in der tschechischen Anklage - etwa wurde ein russischer Diplomat in Prag nach der Tat, in der er verstrickt gewesen sein soll, noch sieben Jahre weiter beschäftigt, anstatt ihn diskret nach Moskau zurück zu beordern.

Entscheidend ist aber aktuell, dass in Tschechien breite Teile von Politik und Bevölkerung an eine russische Verstrickung glauben und deswegen die harten Maßnahmen ihrer Regierung, die dann ein ebensolches Echo in Moskau ausgelöst haben, unterstützen. Der Grund dafür ist vielleicht ein plausibles Motiv, das Russland für die Explosion, die damals als Unfall eingestuft wurde, hätte. Es lagerten dort Waffen eines bulgarischen Händlers, von dem vermutet wird, dass er einen regen Handel mit der Ukraine treibt - Moskaus aktuellem Erzfeind.

So gibt es in Tschechien nur wenige mahnende Stimmen, die Kritik am aktuellen Diplomatenkrieg äußern, der ja immerhin stattfindet, bevor eine russische Beteiligung an den Vorfällen 2014 bewiesen wurde - nur aufgrund von Indizien. Bedenken kommen von den tschechischen Kommunisten oder dem früheren tschechischen Präsidenten Waclaw Klaus, der der eigenen Regierung vorwirft voreilig zu handeln, um sich bei den USA und der NATO beliebt zu machen. Eine Ansicht, die in Russland ein breiteres Echo findet als in Tschechien selbst. Der russische Politologe Iwan Preobraschensky spricht gegenüber dem Medienportal RBK von einem breiten antirussischen Konsens in der Tschechischen Republik.

EU-"Russlandversteher" solidarisieren sich mit Tschechen

Für Moskau ist das Zerwürfnis mit Prag in doppelter Hinsicht fatal. Tschechien gehörte innerhalb der EU in der Vergangenheit nicht zu den Staaten, die ein expliziter Scharfmacher im Dauerkonflikt zwischen dem Westen und Russland waren. Beispielsweise hatte das von Covid-19 gebeutelte Land ebenso wie die Slowakei und Ungarn schon lange vor der zögerlichen europäischen Zulassung oder entsprechenden Diskussionen in Deutschland den russischen Impfstoff Sputnik V bestellt. Es ist kein Zufall, dass gerade diese drei Staaten in der östlichen EU vom Ruf eher zu den „Russlandverstehern“ gehören - ganz im Gegensatz zu Polen oder den baltischen Staaten.

Nun hat aber auch die Slowakei aus Verbundenheit mit Tschechien russische Diplomaten ausgewiesen. Als weiteren Grund gibt sie an, dass diese ebenfalls im Verdacht stünden, nicht nur als Diplomaten im Land zu sein - ebenso wie die verdächtigten Russen im Nachbarland. Auch Ungarn erklärte in einem gemeinsamen Außenministerpapier mit der Slowakei und Polen seine Solidarität mit den Tschechen. Der Zusammenhalt dieser sogenannten Visegrad-Staaten untereinander ist hier stärker als die teilweise bisher guten Beziehungen zu Moskau und so wird der Kreml bei einer weiteren Eskalation der Lage innerhalb der EU kaum noch Fürsprecher finden.

Freude bei Kritikern - Leid bei Bürgern

Im Gegensatz sind gerade Russlandkritiker aller Couleur in Europa und Übersee bemüht, ihre Unterstützung für Prag und ihre Verurteilung Russlands zu bekunden und damit den schweren Konflikt für ihre eigene Agenda zu nutzen. Die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen haben schon eigene Diplomatenausweisungen bezüglich der russischen Vertretungen in ihren Ländern angekündigt. Mit weiteren Maßnahmen ist nach einer bereits angekündigten Sitzung des NATO-Rats auf tschechische Initiative zu rechnen. Sollte Russland wirklich durch übermäßige Agententätigkeiten - dass es eine solche generell in beiden Richtungen gibt ist wohl unbestritten - zu dieser Situation beigetragen haben, wäre das im wahrsten Sinne des Wortes ein geopolitisches Eigentor gewesen.

Leidtragenden der Entwicklung sind eine ganze Reihe von Russen und Tschechen. Denn wenn die Diplomatenausweisungen an die Substanz des Botschaftsbetriebs gehen, kann das bis zum Stop der Visavergabe und der Betreuung der eigenen Staatsbürger gehen. Iwan Preobraschensky denkt, das wird die mehreren Zehntausend in Tschechien lebenden Russen in eine schwierige Situation bringen, ebenso wie eine annähernd ebenso große Zahl von Tschechen, die trotz der Coronabeschränkungen aktuell jährlich nach Russland reisen. Tschechien und dort gerade die westböhmische Bäderlandschaft ist unter vermögenderen Russen ein beliebtes Ziel für Reisen, Immobilienbesitz und einen Nebenwohnsitz mit mildem Winterklima. Zumindest in der Vergangenheit - die Zukunft der russisch-tschechischen Beziehungen erscheint auch ganz außerhalb der Politik ungewiss.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Roland Bathon

Journalist und Politblogger über Russland und Osteuropa /// www.journalismus.ru

Roland Bathon

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