Warum Nawalny wieder nach Russland will

Moskau Alexej Nawalny fliegt am Sonntag zurück in die russische Hauptstadt, obwohl ihm eine sofortige Verhaftung droht. Doch das ist bei ihm nicht wirklich überraschend.

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Warum Nawalny wieder nach Russland will

Foto: Evgeny Feldman/Wikimedia (CC SA 4.0)

Ein umfangreiches Presseecho löste der russische Oppositionelle Alexei Nawalny in deutschen wie in russischen Medien aus, als er feste Rückkehrpläne nach Russland mit Flugdatum an diesem Sonntag verkündete. Ein Thema dabei war die große Gefahr einer unmittelbaren Verhaftung, einige Beobachter glauben sogar an eine längerfristige Inhaftierung des Oppositionellen. Dennoch ist der Reisetermin nur eine konsequente Fortsetzung von Nawalnys Verhalten in der Vergangenheit.

Nawalny eignet sich nicht als Exil-Dissident

Nawalny hatte schon früher während seines Aufenthalts in Deutschland mehrfach festgestellt, dass er nicht dauerhaft außerhalb Russlands bleiben will. Die andere mögliche Alternative, etwa in Berlin Asyl zu beantragen und sich wie Chodorkowski oder Kasparow der russischen Exilopposition anzuschließen, kam für ihn nie in Betracht, obwohl ihm einige Vertreter oppositioneller Gruppen sogar dazu geraten hatten. Das liegt nicht nur daran, dass er finanziell im Ausland nicht ganz so auf Rosen gebettet wäre wie etwa Ex-Oligarch Chodorkowski in seiner Schweizer Villa. Mit Dauer-Vortragsreisen zu Events von transatlantischen oder grünen Thinktanks verbunden mit ein paar Publikationen hätte er durchaus ein ausreichendes monetäres Auskommen haben können.

Doch Nawalny eignet sich von seinem Charakter nicht für die Rolle des Anti-Putin-Erzählers auf westlichen Konferenzen und Buchmessen, denn sein politischer Einfluss in Russland selbst wäre mit wachsender Exilzeit zwangsläufig mehr und mehr verloren gegangen. Und genau jener Einfluss ist es, worauf seit Jahren sein ganzes Streben gerichtet ist.

Seine Karriere als „Hauptfeind des Kreml“ wäre bei einer Fortsetzung seines Auslandsaufenthalts zu Ende gewesen, urteilt dazu die russische Zeitung Nesawisimaja Gaseta und sieht dies als seine Hauptmotivation der aktuellen Rückkehr. Er sieht sich als legitimen Führer der einzig wahren Opposition in Russland und wird darin vom großen Erfolg seiner Social Media Kampagnen unterstützt, wie den etwa knapp fünf Millionen Followern seines YouTube-Channels. Nawalny braucht keine Konferenzatmosphäre, er braucht das große Publikum.

Nawalnys Kampf um politische Macht

Zu alldem passt seine offizielle Rückkehrbegründung, dass er die Bemühungen seiner Weggefährten bei der Vorbereitung zur Wahl der Staatsduma unterstützen wolle. Doch das ist nur ein Teil der Wahrheit. Nawalny braucht Aktivität zur Steigerung seines Einflusses vor Ort - dafür arbeitet er nicht nur, dafür lebt er. Auch wenn seine Chancen auf eine echte Machtposition in Russland nicht groß sind. Kein Umfrageinstitut sieht seine Bewegung aktuell auf dem Weg ins Parlament, auch in der zersplitterten liberalen Opposition werden anderen Parteien wie der traditionsreichen Jabloko größere Chancen zugerechnet.

Selbst der Kreml sieht Nawalny trotz seiner radikal gegen die Regierung gerichteten Positionen laut einer dortigen Quelle der renommierten Zeitung Kommersant nicht als echte politische Bedrohung und verweist hierzu auf seine marginalen Umfragewerte. Tatsächlich hat es Nawalny trotz seiner Opferrolle im mutmaßlichen Vergiftungsfall bisher nicht geschafft, seine echte Prominenz in eine größere Beliebtheit bei der breiten russischen Bevölkerung umzumünzen.

So muss nach seinem Selbstverständnis sein Kampf verstärkt weiter gehen, wenn er sein Ziel einer größeren Machtbasis in Russland noch erreichen will und nicht geschwächt aus dem Exil. Sein Ziel bei der Rückkehr sei, seine besondere Bedeutung für die russische Politik nochmals zu demonstrieren, analysiert der russische Politologe Boris Mezuev Nawalnys jetzigen Rückflug für die Moskauer Zeitung Komsomolskaja Prawda. Andere Pressestimmen in Russland denken ähnlich. Gerade wenn es um Nawalny jetzt medienwirksame juristische Auseinandersetzungen mit dem russischen Staat gibt, hofft er darauf, darüber seine Popularität und Führung innerhalb der außerparlamentarischen Opposition zu stärken.

Aber hat er denn keine Angst, dass seine Rückreise für längere Zeit in einem russischen Gefängnis endet? Das werden bei der Verbreitung der Rückkehrnachricht viele Leser der zahlreichen Berichte gedacht haben. Es kann durchaus sein, dass Nawalny selbst dieses Risiko als nicht so groß einschätzt wie andere. So glaubt der russische Jurist Ilya Remeslo sogar, dass Nawalny sich seiner eigenen Unverwundbarkeit aufgrund seiner Prominenz sicher sei. Mit Sicherheit würde eine Inhaftierung das politische Klima zwischen dem Westen und Russland weiter verschlechtern und Nawalny könnte darauf bauen, dass seine Gegner deswegen zwar die Macht haben, ihn längere Zeit hinter Gittern zu bringen, aber nicht den Willen.

Welchen Plan verfolgt der Kreml?

Wie ist der Wille der Mächtigen in Russland im Umgang mit Nawalny? Schätzt er seine Lage richtig ein? Die Moskauer Expertin Tatjana Stanowaja vom dortigen Carnegiezentrum sieht hier kein einheitliches Meinungsbild. So betrachte die Gruppe der sogenannten Silowiki, Hardliner in der Nähe des Machtzentrums aus dem Umfeld der Geheimdienste, Nawalny tatsächlich als Verbrecher, dessen richtiger Aufenthaltsort auf Dauer eine Haftanstalt sei.

Doch es gäbe noch andere Gruppen im Umfeld des Kreml. Etwa ruhigere Verwalter, deren Streben eher auf einen ungestörten Frieden im Land ausgerichtet sei, damit Putin in dessen Zentrum ungestört durchregieren könne. Ihnen wäre es lieber gewesen, Nawalny wäre im Ausland geblieben und sie seien an einem schlagzeilenträchtigen Konflikt zwischen dem Oppositionellen und staatlichen Vertretern nicht interessiert.

Andere wiederum nahe an der Macht fürchteten Nawalny gar nicht, hätten aber Angst vor Fehlern der untergeordneten Behörden im Kampf gegen ihn und harten wirtschaftlichen Konsequenzen, wenn Nawalny durch solche Fehler persönlich Schaden nähme. Wer sich von diesen Gruppen durchsetze, entscheidet laut Stanowaja vor allem Putin persönlich - er würde die Freigabe des einen oder anderen Modells zur Lösung des Nawalny-Problems erteilen, das der Apparat dann umsetze. Er spielt hier eine Rolle, die andere Experten für die russische Innenpolitik allgemein bei ihm sehen: Die eines ausgleichenden Moderators und Entscheiders zwischen verschiedenen Interessengruppen im Umfeld der Kreml-Macht, die nicht nur aus ihm selbst besteht - und die beim Thema Nawalny zerstritten ist.

Es bleibt also spannend, was passiert, wenn wirklich ein Flugzeug mit Nawalny darin auf dem Moskauer Flughafen Wnukowo landet. Selbst eine vorübergehende Verhaftung sollte nicht als Vorentscheidung gedeutet werden, denn eine Reihe von Stimmen in Russland selbst rechnet mit einer kurzfristigen Haft wegen der Prüfung der gegen den Politiker bestehenden Bewährungsauflagen, die schnell wieder enden können. Der Nawalny-Krimi geht weiter, unabhängig davon ob er seine Lebensziel, die Gewinnung von politischer Macht in Russland, erreicht.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Roland Bathon

Journalist und Politblogger über Russland und Osteuropa /// www.journalismus.ru

Roland Bathon

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