Wer ist Roman Protasewitsch?

Minsk Durch seine Verhaftung aus einem umgeleiteten Flugzeug kam ein belarussischer Oppositioneller in die Schlagzeilen, den zuvor nur Insider der dortigen Politik kannten

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Seine Verhaftung über die erzwungene Landung eines RyanAir-Flugs in Minsk war die Breaking News des Wochenendes: Der vorher im Exil lebende Weißrusse Roman Protasewitsch ist eine Persönlichkeit, für den es im deutschsprachigen Raum viele Solidaritätsbekundungen gibt. Großen deutschen Medien oder Vereinigungen wie den „Reportern ohne Grenzen“ gilt er als politischer Verfolgter. Kleineren Alternativmedien, die auch der russischen Regierungspolitik näher stehen, suggerieren, er sei Teil einer Art „fünften Kolonne“ des Westens gewesen und folgen damit der Darstellung weißrussischer Offizieller. Wer ist Protrasewitsch abseits aller Polarisierung?

Oppositionell schon in der Schulzeit

Protasewitsch, heute mitte zwanzig, war in Belarus schon seit seinen Teenagertagen politisch aktiv - mit 15 nahm er an ersten oppositionellen Demos gegen Lukaschenko teil. Er ist der Sohn eines pensionierten Armeeoffiziers und einer früheren Lehrerin an einer Militärakademie. Seine Mutter musste wegen dem Engagement ihres Sohnes ihre langjährige Stellung beim Staat aufgeben, sein Vater wurde aus dem gleichen Grund degradiert. Beide unterstützen seine oppositionellen Aktionen auch öffentlich. Protasewitsch selbst verlor wegen seiner Aktivitäten nach der Schule ein Stipendium für Hochbegabte.

Der junge Mann versuchte daraufhin dennoch Journalist zu werden und flog in Minsk von der Universität. Ohne Studienabschluss arbeitete ab 2018 als Korrespondent und Fotograf für das weißrussische Programm des polnischen Rundfunkkonzerns Euroradio und den US-Regierungssender Radio Liberty. Genau diese Tätigkeiten nutzen weißrussische Offizielle als Beleg, um Protasewitsch als vom Ausland gesteuert darzustellen. 2019 reiste er nach Polen aus, wo er politisches Asyl beantragte.

Tätigkeit bei Oppositions-Sprachrohr NEXTA

Sein bekanntestes journalistisches Engagement war kurz darauf sein Einstieg bei den Telegramkanälen NEXTA und NEXTA live, obwohl er dort nur bis September 2020 tätig war. Die Kanäle berichteten beide in dem Sozialen Netzwerk zu dieser Zeit sehr umfassend über die Oppositionsaktionen in Belarus - Protasewitsch unterstützte von Polen aus die Opposition und hatte zahlreiche Zulieferer von Nachrichten und Aufnahmen aus Belarus selbst, oft Privatpersonen, die an den Protesten teilnahmen.

NEXTA galt auch in Russland als die wichtigste Quelle über oppositionelle Aktivität im Nachbarland. Die Tochter NEXTA live ist laut der russischen Onlinezeitung lenta.ru zur Zeit der Proteste der größte Telegram-Channel in russischer Sprache.Die Bedeutung der Channel, gegründet vom ebenfalls im Exil lebenden Journalisten Stepan Putilo, ist dadurch enorm und sie verfügen mit diversen Tochterprojekten über etwa zwei Millionen Abonnenten.

Strafrechtliche Verfolgung durch Belarus

Kurz nach seiner NEXTA-Zeit kam Protasewitsch auf die Fahndungsliste der weißrussischen Behörden. Wegen dem weißrussischen Haftbefehl hatte das Land von Polen im November 2020 erfolglos seine Auslieferung beantragt. Beide werden von der Staatsmacht in Belarus offen als „Terroristen“ und „Extremisten“ bezeichnet. Der wesentliche Hintergrund ist, dass NEXTA auch Treffpunkte der Opposition mit verbreitete oder von den Sicherheitskräften durchgesickerte Informationen. Für die Behörden machte sich der Kanal so zum Koordinator der Demonstrationen, er selbst bestreitet das und sieht seine Rolle als Berichterstatter. Protasewitsch verließ NEXTA wegen Meinungsverschiedenheiten in der Redaktion.

Nach seinem Weggang übernahm Protasewitsch den ebenfalls oppositionellen Telegramm-Channel „Brain Belarus“, von dem er Administrator war. Seine Zeit dort währte nur kurz, denn wenige Monate später wurde er in Folge der Umleitung seines Fluges Athen-Vilnius nach Minsk verhaftet - laut russischen Presseberichten gemeinsam mit seiner 23jährigen russischen Freundin Sofia Sapega, die ebenfalls im Flugzeug gewesen sei. Was dieser vorgeworfen wird, ist nicht bekannt, das russische Außenministerium beantragt zu ihr laut verschiedenen russischen Medien bereits konsularischen Zugang. Zuvor hatte der Oppositionelle bereits berichtet, dass er offenbar in Athen verfolgt worden wäre.

Was Protasewitsch droht

Wegen seinen Engagement für Nexta muss Protasewitsch in Minsk mit einer langjährigen Haftstrafe rechnen. Der Vorwurf der staatlichen Stellen ist die Organisation von Massenunruhen im Land - NEXTA war das wichtigste Sprachrohr der Oppositionsbewegung. Dass Protasewitsch die Todesstrafe drohe, geht auf einen eigenen Ausspruch von ihm bei der Verhaftung zurück, der zahlreich in der internationalen Presse wiedergegeben wurde. Er entspricht jedoch laut der russischen Zeitung Kommersant nicht dem belorussischen Recht.

Das aktuell per Video von einem regierungsnahen Telegram-Kanal ausgestrahlte Geständnis von Protasewitsch hat natürlich wenig Aussagekraft, da es mit hoher Wahrscheinlichkeit unter Zwang entstanden ist und sich Protasewitsch vor seiner Verhaftung stets kämpferisch gab. Er befindet sich momentan in einem Minsker Untersuchungsgefängnis. Dass es solche öffentlichen Geständnisse online nach einer Inhaftierung gibt, ist in Weißrussland nichts neues. Bereits im Februar war ein Administrator mehrere oppositioneller Telegram-Kanäle inhaftiert worden und kurz danach setzte das Innenministerium ein ähnliches Geständnisvideo von diesem bei YouTune in die Welt. Auch von der danach ebenfalls aus Belarus ausgereisten Präsidentschaftskandidaten Swetlana Tichanowskaja gibt es ähnliche Aufnahmen, die im Beisein von Vertretern der Sicherheitskräfte gedreht wurden.

Eingebetteter Medieninhalt

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Geschrieben von

Roland Bathon

Journalist und Politblogger über Russland und Osteuropa /// www.journalismus.ru

Roland Bathon

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