Angestrengt unverkrampft

Podcast Sibylle Berg und Matze Hielscher wollen in „WG Wesensfremd“ ihre Gegensätze ausspielen. Klappt nur so halb
Ausgabe 33/2020
Alle hören Podcasts, ständig. Notwendig ist das nicht. Aber es macht eben auch vieles schöner
Alle hören Podcasts, ständig. Notwendig ist das nicht. Aber es macht eben auch vieles schöner

Foto: Science Photo Library/Imago Images

Seit einiger Zeit hören alle Podcasts: beim Joggen, Arbeiten, Einschlafen, Autofahren, Putzen. Der Podcast verhält sich zu diesen Tätigkeiten wie das Gläschen eisgekühlter Rosé zum Sonnenuntergang am Strand: Es geht auch ohne, aber mit ist es besser.

Egal, ob harte oder weiche Themen, ob ungelöste Kriminalfälle, Herzschmerz, Quantenphysik, Zeitgeschichte, Virologie: Für fast jede Nische gibt es mittlerweile einen Podcast. Der Markt wächst und wächst. Jeder hört sie, jeder macht sie. Wer was zu sagen hat oder was sagen will, braucht nicht mehr das Okay von Radio- oder Fernsehredaktionen, sondern kann zu Hause seinen eigenen Podcast aufzeichnen und ihn hochladen. Was Anfang der 2000er Jahre das Bloggen war, ist heute eben das Audioblogging, also das Podcasten. Wer berühmter ist, kann sich von Plattformen wie Audible, Spotify, iTunes produzieren oder vermarkten lassen. Sie treten auch selbst als Produzenten in Erscheinung, peilen mit prominenten Zugpferden zielgruppengerecht neues Publikum an.

Running Gag über Youporn

Bei Audible beispielsweise gibt es seit kurzem das Format Jubel & Krawall. Dort bespricht die Autorin und Zeitmagazin-Kolumnistin Sophie Passmann mit ihrem stellvertretenden Chefredakteur Matthias Kalle „neue Serien, alte Bands, gute Bücher und schlechte Comedy“. Oder, anderes Beispiel, die Mutter aller Podcasts und Auslöser des deutschen Podcast-Booms, Fest und flauschig mit Jan Böhmermann und Olli Schulz bei Spotify. Auf der dänischen Audio-Plattform Podimo, seit Januar diesen Jahres in Berlin ansässig, startete am 3. August exklusiv WG Wesensfremd. Hier reden nun Matze Hielscher, Blogger (Mit Vergnügen) und Podcaster (Hotel Matze), und die meinungsstarke Schriftstellerin Sibylle Berg miteinander. Die beiden kennen sich bereits von Hielschers Corona-Podcast, Hotel Quarantäne. „Aus der kompletten Unverträglichkeit unserer Charaktere entstanden wunderbare Gespräche, geprägt von tiefem beiderseitigen Unverständnis. Da muss die Welt teilhaben“, wird Berg in der Pressemitteilung zitiert. Berg und Hielscher, das ist tatsächlich eine seltsame Kombi. Der Angepasste und die Außenseiterin, der Blogger und die Literatin. Was sollten diese beiden sich zu sagen haben?

Hielscher und Berg mögen einander sympathisch sein, sind sich aber (nomen est omen) zu fremd, um daraus Funken schlagen zu können. Immer wieder entlädt sich die Anspannung der beiden in nervösem Lachen. Sibylle Berg steigt steil ein: Sie hätte keine Zeit, Podcasts zu hören, dazu sei sie zu beschäftigt, und joggen würde sie auch nicht gehen. Hielscher reagiert erstaunt, dabei kann man sich Berg, auch ohne ihr je begegnet zu sein, nur schwer beim Podcast-Hören vorstellen. Oder wollte sie Hielscher nur provozieren, der ja beinahe hauptberuflich Podcaster ist? Der Dialog gipfelt in Bergs gereizter Behauptung, dass ihre Banker auf dem Weg zu ihr eher Youporn hören würden. Aus dem Youporn-Joke wird ein schwitziger Running Gag. Das Konzept der Gegensätze – Hielscher brav, Berg krass – geht nicht auf, weil sie beide trotz aller Unterschiede gleich verklemmt sind. Die überspielte Unsicherheit macht das Zuhören anstrengend.

Später geht es noch um was. Um „Jugend“. Nun ruft Hielscher „ganz spontan“ die Lochis an. (Die Lochis sind Youtube- Stars, seit sie 16 waren, und mittlerweile 21 Jahre alt.) Sie beantworten profimäßig Hielschers Fragen zu ihrem Lebensgefühl und wirken dabei reifer und selbstsicherer als Berg und Hielscher zusammen. Die „junge Generation“ habe „einen unheimlichen Drive“ und sie seien Optimisten, denn „die Welt hat viele Krisen gehabt und bisher alle gemeistert“.

Dann passiert es. In der WG Wesenfremd wird es endlich authentisch. Auf Hielschers schüchtern gestellte Frage, ob die Lochis ihn oder Berg für alt halten, antwortet der eine Lochi: „Nein, alt seid ihr für uns nicht. Ihr seid für uns erwachsene Menschen. Und du bist für uns ’n Mann.“ Danach ist Hielschers Krampf weg, seine Stimme warm vor Glück: „Das hat noch nie jemand zu mir gesagt.“ Vielleicht ist er jetzt entspannter, wenn er mit Berg die nächste Folge aufnimmt. Damit man sich beim Anhören nicht mehr fragen muss: „Wie lange geht das denn noch?“, sondern: „Huch, schon vorbei?“

Info

WG Wesensfremd Sibylle Berg, Matze Hielscher Podimo, 14-täglich

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