Ich bin allein, er ist nicht da, es ist gut

Quarantäne Allein mit den Kindern: Am Anfang war ich panisch. Jetzt, im Moment, fehlt uns nichts
Ausgabe 13/2020
Wir spielen erst mal drinnen. Und das klappt
Wir spielen erst mal drinnen. Und das klappt

Foto: Imago Images/Photothek

„Lasst mich in Ruhe bitte, ich muss was schreiben“, sage ich den Kindern, dabei arbeite ich gar nicht. Ich müsste tatsächlich was schreiben, aber ich sitze einfach am Rechner rum und surfe im Netz. Ich nenne es: „sich inspirieren lassen“. Die Kinder gehen nach nebenan und schalten den Fernseher ein. Das heißt, auch sie lassen sich inspirieren. Manchmal muss man einfach mal eine Pause machen. Es ist Tag fünf, seitdem die Kitas und Schulen geschlossen sind. Ich habe überall Muskelkater. Arme, Beine, Bauch, alles tut ein bisschen weh. Und auch im Rücken zieht es. Das kommt vom ständigen Aufräumen, Herumlaufen, Wegsortieren, Einkäufe schleppen.

Am Anfang war auch ich panisch und habe uns Vorräte angelegt. Am Anfang war es schlimm. Mein Konto leerte sich schnell, ich musste mir Geld leihen, sicherheitshalber. Außerdem fühlte ich mich verlassen. Der Kindsvater und ich sind schon lange getrennt, aber ausgerechnet jetzt ist er nicht in der Stadt. Wir hatten uns die Betreuung der Kinder im wöchentlichen Wechsel geteilt und ab jetzt würde ich auf unbestimmte Zeit mit den Kindern allein sein. Allein mit den Kindern und der Verantwortung. In meiner Panik fühlte ich mich dem Druck nicht gewachsen. Aber in diesen Zeiten will ich auch eigentlich gar nicht, dass die Kinder wochenweise bei ihrem Vater sind, weil ich nicht weiß, wie ernst er das Konzept der sozialen Distanz nimmt. Ich hätte keine Lust, mich deswegen mit ihm zu streiten. Also ist es sogar besser, dass er gerade nicht in der Nähe ist.

Ich bin also ab jetzt auf unbestimmte Zeit allein für die Kinder zuständig. Tag und Nacht, von früh bis spät. Abends telefoniere ich mit Freunden, aber die Kinder müssen noch lernen, mich dabei in Ruhe zu lassen. Ich kann mit dem Telefonieren nicht warten, bis sie im Bett sind. Weil wir nicht mehr um halb sieben aufstehen müssen, leben wir jetzt endlich mal in unserem Biorhythmus. Das heißt, die Kinder gehen halb zwölf ins Bett und ich noch viel später. Die Schule schickt Lehrpläne per Mail. Aber wir sind noch zu gar nichts gekommen.

Ich muss schreiben, ich habe Aufträge. Endlich zahlt sich meine Berufswahl mal aus. Dazu kommt das Einkaufen, der tägliche Spaziergang, die Haushaltsführung. Alle Tätigkeiten gehen ineinander über. Ich tippe einen Satz und schneide danach der Kleinen ein Auge aus einer Illustrierten für eine Collage aus, ich koche und mache mir dabei Notizen, ich schalte den Staubsauger aus, weil die Große mich nach der Bedeutung eines Wortes fragt, auf das sie beim Lesen gestoßen ist. Ich bin heilfroh, in keiner Beziehung mehr zu sein. Wenn mein Ex und ich jetzt zusammengesperrt wären, gäbe es Streit. Er säße am Rechner und täte, als gäbe es uns nicht, Hausarbeit und Kinderbetreuung würden (wie jetzt) allein an mir hängen.

Jetzt macht mir das nichts aus, aber wenn er da wäre, dann würde ich mich deswegen ständig ungerecht behandelt fühlen und er würde mich beschwichtigen und genervt sein und trotzdem nicht mehr machen und dann würden wir uns streiten und die Kinder würden das mitbekommen und die Stimmung wäre ausweglos schlecht. Aber so ist alles okay. Ich habe viel zu tun, aber alles ist zu schaffen. Es ist eine ständige Mühsal, die Wohnung bei laufendem Betrieb in Ordnung zu halten. Die Tage sind voll bis zum Rand, die To-do-Listen endlos und jeden Tag kommt etwas dazu. Aber das macht gar nichts. Wir haben Zeit. Auch die Kinder spüren das. Ich habe nicht das Gefühl, dass ihnen im Moment etwas fehlt. Sie bauen sich gigantische Welten, verwenden nach und nach ihr gesamtes Spielzeug. Im Moment fehlt uns nichts. Für mich gilt: Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben, und das ist auch gut so.

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