Insecuritate

Buchmesse Spezial Bei Ursula Wiegele lebt die Diktatur in den Menschen weiter
Ausgabe 11/2019

Es gehört vielleicht Mut dazu, sich schreibend ins andere Geschlecht hineinzuversetzen, noch dazu in einen Mann aus einem anderen Land mit einer anderen Sprache. Ursula Wiegele schreibt über einen Rumänen in Italien. Ende der 1980er-Jahre tritt Bogdan als regimekritischer Hamlet im Nationaltheater Temeschwar auf, danach muss er fliehen.

Durch ein sommerliches, überhitztes Italien treibt Bogdan. Von irgendwann zu irgendwann. Der Schauspieler hält sich inzwischen als Fernsehshowmaster über Wasser, er wird bezahlt von einem rumänischen Oligarchen, der früher bei der Securitate tätig war, dessen Karriere auch nach dem Regimesturz weiterging. Bogdan braucht Geld, er muss Kreditraten und Alimente bezahlen, dafür erniedrigt er sich zusätzlich bei anderen Spielchen: Vor versteckter Kamera spielt er Szenen aus Fellini-Filmen nach. Die Anweisungen und Aufträge erhält er per SMS oder im Briefkuvert.

An freien Tage besichtigt Bogdan Sehenswürdigkeiten und Museen. Obwohl er doch schon ein Weilchen im Lande ist und das Wichtigste kennen müsste, befasst er sich mit Kirchen, der Spanischen Treppe in Rom, schönen Aussichtspunkten. Er wird von niemandem erkannt, obschon er doch einige Jahre im Fernsehen gearbeitet hat.

Die Frage ist bald, was ist hier wahr, was ist falsch, was geschieht wirklich, sind das Traumata, was ist erträumt? Die Handlung ruckt vor und zurück. Mal springt sie einen Tag ins Gestern, dann wieder mehrere Jahre, in die Kindheit oder in die Vergangenheit Bogdans als Schauspieler im Rumänien unter Ceaușescu. Dass wir uns in der Gegenwart befinden, wird erst nach und nach offenbar, durch die Präsenz der Smartphones und Tablets in der Geschichte. Aber was ist das für eine Geschichte?

Neuer Versuch: Ein rumänischer Schauspieler, der beim italienischen Fernsehen gelandet ist, spielt für eine Show mit versteckten Kameras Szenen aus Fellini-Filmen nach. Aber während dieser Drehs scheint es keine Kameras zu geben. Er ist allein unterwegs, ohne Team und die Szenen die er drehen soll, haben keine Pointe. Wer würde im Fernsehen sehen wollen, wie einer Engelsfiguren verkauft? Oder wie einer im Park auf einem Baum sitzt und ruft: „Ich will eine Frau!“ Wer würde, erstens: Die Reminiszenzen erkennen und zweitens: zu welchem Zweck? Wo wäre da der Unterhaltungswert? Wo wäre da der Streich? Ist auch das eine zusätzliche Ebene? Bogdan selbst vermutet, dass ihm Fallen gestellt werden. Aber warum und wozu? Irgendwann in diesem Roman, während dieser Reise von irgendwo nach irgendwann, bekommt man den Verdacht, dass es sich bei den Geschehnissen um Täuschungen handeln könnte.

Dass es nicht um die Handlung geht, sondern um eine Meditation über die Auflösung der Grenzen von innen und außen. Was machen Diktaturen mit menschlichen Seelen? Was bleibt von einem übrig, der verkleidet aus der Heimat fliehen musste? Kann so jemand vertrauen, darf er vertrauen, auch wenn schon alles vorbei ist? Ist es wirklich vorbei, oder wird er immer noch bedroht? Das Regime ist gestürzt, aber manch einer, der früher bei der Securitate war, zieht heute andere Strippen. Die Vergangenheit lässt sich nicht abstreifen, sie wirkt fort im allgegenwärtigen Misstrauen.

Ursula Wiegele, die Autorin, stammt aus Klagenfurt, Kärntens Hauptstadt. Kärnten, die Heimat von Peter Handke, Klagenfurt, Heimstätte des Bachmannpreises. Ein wuchtiges literarisches Erbe muss bei ihr Spuren hinterlassen haben. Die österreichische Sprachmelodie hat sich in den Roman hineingeschrieben und zeugt von einer großen literarischen Ambition.

Was bleibt von einem übrig, der verkleidet aus derHeimat fliehen musste?

Info

Was Augen hat und Ohren Ursula Wiegele Otto Müller Verlag 2019, 180 S., 22 €

Ruth Herzberg liest alle zwei Wochen bei „Schuld und Bühne“, dem Berliner Live-Talk mit Jacinta Nandi und Clint Lukas

Wie Tati

Geboren und aufgewachsen in Rumänien, lebt und arbeitet die Illustratorin und Grafikdesignerin Andreea Dobrin Dinu heute in Hamburg. In ihrem Studio Summerkid entstehen die lustigen Zeichnungen, bei deren Betrachtung man stets ein gewitztes Detail findet, das stutzig macht, das Szenen des Alltags auf den Kopf stellt.

Die Künstlerin sagt, die Bilder sollen den Betrachter an den joie de vivre erinnern, den wir vielleicht noch aus den Sommern erinnern, als wir Kinder waren. Und tatsächlich, ihr Humor erinnert an lustige Ferien mit Monsieur Hulot.

Dinu studierte Grafikdesign in Bukarest, Illustration und Typographie in Leipzig. Im Jahr 2018 erhielt sie den britischen World Illustration Award Talent.

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