Erzählungen aus der Zukunft V

Arbeit neu denken! Im neuen Sonderheft des Philosophiemagazins "Hohe Luft" lohnen drei Texte des Chefredakteurs Thomas Vašek insbesondere der Lektüre

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Erzählungen aus der Zukunft V

Foto: Breve Storia del Cinema/Flickr (Public Domain 1.0)

I. „Befreit die Roboter“

Endete Dietmar Daths Maschinenwinter. Wissen, Technik, Sozialismus. Eine Streitschrift (2008) mit den Sätzen: „Die Menschen müssen ihre Maschinen befreien, damit die sich revanchieren können.“1, so findet sich der Imperativ bei Thomas Vašek, Chefredakteur des Philosophiemagazins Hohe Luft, gleich in der Überschrift.

Der Text eröffnet mit dem Verweis auf die Arbeitenden in der Antike, die Sklaven, welche allein „Arbeit“ im eigentlichen Sinne , also als Vorgang der Natur, verrichteten und so der naturhaften privaten Sphäre (im Gegensatz zur öffentlichen Polis) zugeordnet waren und dabei oft als Schreiber oder Erzieher einer hohen Bildungsgrad aufwiesen, wie auch ich anhand Arendt an anderer Stelle dargelegt habe.2


Mit dem Vergleich zu unseren heutigen KI und Robotern entrolltet Va
šek sodann seine These: „Digitale Technologien sind die Sklaven unserer Zeit. Sie übernehmen immer mehr Tätigkeiten, die Intelligenz erfordern. [...] Unsere digitalen Technologien bereiten uns Unbehagen, so lautet meine These, weil wir uns in ihnen nicht wiedererkennen. [...] Der Konflikt erwächst nicht daraus, dass die Maschinen klüger werden als wir. Das Problem ist, dass wir sie als Dinge behandeln, wie einst die Herren ihre Sklaven.“3 Indem der Autor die uns von Hegel gegebene Herr/Knecht-Allegorie auf das 21. Jahrhundert anwendet und aufzeigt, dass wir als die Herren profitieren, während unsere Knechte, die Roboter, die Welt bearbeiten, wird die Suboptimalität sichtbar: der schon bei Hegel beschriebene Kampf um Anerkennung, der zunächst fehlende Anerkennung ist.


Es folgt bei weiter dialektischer Lesart: „Wie wir die Maschinen als Dinge behandeln, so behandeln die Maschinen uns: Sie berechnen unser Verhalten, sie werten unsere Daten aus, sie überwachen uns.“ 4 Stehen bei Hegel Herr und Knecht in einem interdependenten Verhältnis, so ist heute eine Welt denkbar, die auf den Herrn, den Menschen, verzichtet: Produktion und Ökonomie funktionieren bekanntlich zunehmend ohne ihn; zu einem Ende des Menschen braucht es also nicht einmal Dystopien einer Superintelligenz, die den Menschen als Störfaktor berechnet und eliminiert, sondern prinzipiell läuft die Maschinerie auch mit einfachen Algorithmen.

Das ist freilich nicht Vašeks Schluss, sondern stellt dieser vielmehr im Hegel’schen Sinne das Abzielen auf Anerkennung vor. Das beinhaltet folgende Gedanken:

Die intelligenten Akteure auf diesem Planeten sind KI, Roboter und Menschen, als Inforgs (informelle Organismen) teilen sie sich diese Welt.

Bis dato ist der Mensch nicht nur Herr der KI, sondern ebenso wie jene Sklave des digitalen Kapitalismus.

Die Lösung ist somit Koexistenz, gegenseitige Anerkennung und gemeinsame Umstrukturierung des Systems.

So schließt Va
šek seinen Text mit den Worten: „Karl Marx hat aus Hegels Dialektik bekanntlich den Schluss gezogen, dass sich die Knechte durch ihre Arbeit von ihrem Joch befreien. Ein ähnlicher Gedanke ließe sich zur Zukunft der digitalen Welt wagen. Erst müssen sich die Sklaven durch ihre eigene Leistung emanzipieren. Dann können wir Menschen sie auch als gleichberechtigte Partner anerkennen. Erst dann ist Freiheit für alle möglich und damit eine bessere Welt, die Fortschritt für alle bringt. Dann können wir alle der Logik des digitalen Kapitalismus ein Stück weit entrinnen. Eines Tages könnte es möglich sein, dass Menschen und Maschinen sich gegenseitig anerkennen als „Inforgs“ oder was auch immer.“5

Abgesehen davon, dass ich mich für die Möglichkeiten ausspreche, mit der Digitalisierung auch zugleich den Postkapitalismus einzuleiten (Stichworte Entmonopolisierung, Einkommen für die Multitude, Anstreben der Nullgrenzkosten), gefällt mir dieses Schlusswort äußerst gut. Denn es zielt auf den schon mehrfach von mir thematisiserten Gedanken der Kooperation & Synthese zwischen Mensch und Maschine an, den die bessere Science Fiction so hervorragend antizipiert,6 der dieser Tage ganz prosaisch durch die Übertragung humaner Muskeln auf Roboter-Konstruktionen erweitert wurde,7 und der durch die queere Cyberfeministin Donna Haraway den linken Diskurs bereits seit den 1980ern nachhaltig prägt, die in ihrem A Cyborg Manifesto (1984) die Verquickung zwischen Mensch und Maschine als primäres Mittel nicht nur zur Auflösung der klassenpolitischen Herr/Knecht-Problematik wähnt, sondern der Dualismen per se, seien sie durch Geschlecht, Rasse oder sonstwas kostruiert:

Daher besteht die Cyborg-Politik auf dem Rauschen und auf der Verschmutzung und bejubelt die illegitime Verschmelzung von Tier und Maschine. Solche Verbindungen machen den Mann und die Frau problematisch, sie untergraben die Struktur des Begehrens, die imaginierte Macht, die Sprache und Gender hervorgebracht hat und unterlaufen damit die Strukturen und die Reproduktionsweisen westlicher Identität, Natur und Kultur, Spiegel und Auge, Knecht und Herr, Körper und Geist.“8


II. „Droht uns die digitale Entfremdung?“


In einem zweiten Artikel geht Vašek auf die in den Mainstream-Medien oft geschürte Angst ein, dass die Digitalisierung den Mensch nutzlos mache, dass die (so warnte der britische, kapitalistische Ökonom John M. Keynes bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts) „technologische Arbeitslosigkeit“ grassieren werde. Ich selbst habe dem in meinen vorigen Aufsätzen zu den Erzählungen aus der Zukunft (vgl. auf meiner Autorenseite) insbesondere entgegengesetzt, dass utopische Narrationen, die Realität zu werden trachten, hier Abhilfe schaffen können: Denken wir uns eine Welt ohne Arbeit, in der die Multitude dennoch zureichend materiell versorgt wird und sich selbst Lebenssinn schafft, so ist die (kapitalistische) Formulierung Areitslosigkeit obsolet geworden (denn sie macht nur in einer Arbeitsgesellschaft Sinn). Vašek schließt in ganz ähnlichem Sinne mit dem Verweis auf die Zeit, die wir durch die Digitalisierung gewinnen und selbst sinnvoll nutzen können.


Doch der Reihe nach. Zunächst wird aufgezeigt, dass Digitalisierung die „Automatisierung des Geistes“ ist, die mit krankheitsdignostizierenden Robotern, Übersetzungsalgorithmen und dialogfähigen Maschinen längst Realität geworden ist. Weiter werden Kritiker einer maschinisierten Welt aufgerufen, die eine Entfremdung durch ein maschinengesteuertes, selbst maschinenartiges Leben fürchten. Diese Befürchtung ist im digitalen Zeitalter wie folgt ausgemalt: „[...] besteht die „digitale Entfremdung“ wesentlich darin, dass wir unsere eigene Tätigkeit nicht unter kognitiver Kontrolle haben: Nicht wir nutzen die Programme, sondern die Programme nutzen uns.“9

Wie auch schon in dem zuvor vorgestellten Artikel, ist die Lösung freilich die Auflösung des Dualismus': „[...] müssen wir allerdings die Vorstellung überwinden, dass Mensch und Computeralgorithmen in einem Gegensatz stehen [...]. Wenn Algorithmen für den Menschen denken und entscheiden, so ist das keine Herabsetzung des menschlichen Geistes, sondern eine Erweiterung. Zugleich liegt liegt in der Digitalisierung die große Chance, über den Wert für unser Leben neu nachzudenken. [...] Von der Menschheitsleistung der digitalen Revolution sollten alle Menschen profitieren, und zwar nicht nur in Form von mehr Konsum oder einer „Automatisierungsdividende“ [...] sondern in Form von mehr Zeit.“10

Es sei ergänzt, dass der Entfremdungsbegriff schon von jeher problemtisch war. Die Entfremdung kann es schlicht nicht geben, denn es gibt freilich keinen natürlichen Ur-Zustand der menschlichen Umwelt, von dem der Mensch sich entfremden könnte. Die moderne Anthropologie versteht den Menschen stattdessen als offenes, anpassungsfähiges Wesen. Auch an die Koexistenz mit anderen Intelligenzen und an ein sinnhaftes, statt stur arbeitendes, Leben wird der Homo sapiens sapiens (oder der Post-Homo sapiens sapiens, wer weiß?) sich folglich anpassen.


III. „Befreit die Arbeit!“


Lasse ich den Artikel Vašeks, der Freiheit, Gleichheit, Gute Arbeit lautet und Prinzipien für die neugedachte Noch- und Weniger-Arbeit aufzustellen sucht , hier unthematisiert (schon das Schlusswort der Triade scheint mir doch bei Arbeitsideologen wie den klassischen Lohnabhängigkeitsverfechtern von FDP, SPD über Linkspartei bis zu den Gewerkschaften besser aufgehoben), so möchte ich seinen Text zum BGE hingegen kurz referieren. Großartig hebt der Text mit einer pathosgeladenen Beschwörung der utopischen Notwendigkeit an:

„Europa braucht eine neue Vision, eine zukunftsweisende Idee, die den Menschen wieder Hoffnung gibt, eine Idee, für die sie sich begeistern können. Eine möglichst konkrete Vision muss es sein,. Eine einfache Idee, die jeder nachvollziehen kann, die nahe am Menschen ist. Kein technokratisches Konstrukt. Ein möglichst offenes Modell, keine dogmatische Heilslehre, die scheinbar alle Antworten bietet, sondern ein Ansatz, der das Fragen offenhält, das Suchen ‒ eine Idee, die Sicherheit und Freiheit miteinander verbindet.“11

Diese realitätsnahe Utopie (es sei daran erinnert, dass Utopien immer reale Gegebenheiten optimieren) ist freilich das ausreichende Einkommen für Jede*n, welches ohne Kleingedrucktes auskommt und stattdessen individuell und postideologisch einsetzbar ist, möglicherweise die „einzig adäquate Antwort auf das Roboterzeitalter“ ( Vašek).

Neben der (man muss es immer wieder schreiben) der Klarstellung, dass die Grundsicherung niemandem das Arbeiten verbietet, sondern vielmehr bessere Jobverhältnisse geriert, hebt sich der Text vor allem durch ein Thematisieren der Gerechtigkeitsfrage hervor, was ich mit einigen eigenen Gedanken garnieren möchte:


Wer auf eine Reziprozität des Prinzips Leistung für Gegenleistung besteht, hat freilich Probleme mit der Idee der Bedingungslosigkeit. Nun wird anderen Kindern des linken und/oder dekonstruktivistischen Diskurses dieses normative Prinzip sowieso nicht überstülpen zu sein, wer aber dennoch darin befangen bleibt, erhält von Vašek eine schöne Entgegnung: „Wir können uns schließlich fragen, ob wir unser derzeitiges Arbeitseinkommen wirklich in voller Höhe mit unserer Leistung „verdienen“. Tatsächlich profitieren wir von allen möglichen Faktoren, von unserem familiären Hintergrund bis zur Weltregion, in der wir zufällig aufgewachsen sind.“12

Ungerecht soll das BGE manchen auch deshalb erscheinen, weil am Ende doch nicht jede*r das Gleiche hat, wenn man die Gleichung BGE + existierendes Vermögen + Nebenverdienst durch „Arbeit“ aufstellt. Zum Einen wäre selbst bei einer simplen Gültigkeit der Gleichung immer noch ein Gerechtigkeitszuwachs zum bisherigen System auszumachen, welches manchen nur etwas unter dem Existenzminimum gibt. Zum Anderen wird die systemumwälzende Grundmotivation des emanzipatorischen Grundeinkommens verkannt, es finanziert sich ja gerade von den oberen Zehntausend her (sei es durch eine angemessene Vermögens-, Grund-, Maschinen- oder Finanztransaktionssteuer).

Statt den schnöden Zahlen verweist Vašek hier aber auf einen inhaltlich bedeutsamen Punkt: „Die Frage ist allerdings, ob wir Fragen der ökonomischen Gleichheit nicht überbewerten. „Unter moralischen Gesichtspunkten ist es nicht wichtig, dass jeder das Gleiche hat“, schreibt der amerikanische Philosoph Harry Frankfurt in seinem provokanten Essay „Ungleichheit“: „Wichtig ist, dass jeder genug hat.“13

Ich würde sogar soweit gehen und sagen, dass relative Gerechtigkeit dann realisiert ist, wenn Grundversorgung plus kleiner Luxus gewährleistet sind. Ob jemand teure Autos fährt (obwohl man in der Stadt gar keines braucht) oder in einer Villa residiert (wo ich auch in meiner Einzimmerwohnung gut schlafe) sorgt aufgrund seiner Unsinnigkeit doch höchstens für Amüsement und liegt sonst völlig außerhalb des Interesses. Wer dennoch unter sinnfreien und ohne Not auftretenden Neid-Komplexen leidet, sollte sich m.E. helfen lassen; u.U genügt schon ein Blick in den guten alten Nietzsche (insb. in sein Zur Genealogie der Moral. Eine Streitsschrift von 1887) und seinen zahlreichen Ausführungen zur Destruktivität von einer aufs Ressentiment gegründeten Ideologie, Politik oder Lebensphilosophie.

Und sollte es jemanden doch (wieso auch immer) kümmern, ist dies wiederum ein Signal zur Notwendigkeit der Selbstreflektion: „Sind wir bereit zu akzeptieren, dass andere einfach nur faul sind oder „am Strand von Malibu surfen“, während wir selbst weiter arbeiten? Bei einem bedingungslosen Grundeinkommen ist kein „Missbrauch“ möglich. Jeder kann damit tun, was er will.“14

Der Text endet schließlich mit dem selben (angebrachten) Pathos, mit dem er begonnen hat:

„Wir sollten den europäischen Bürgern ein Grundeinkommen schenken, als eine Art Vertrauensvorschuss der Gemeinschaft an das Individuum. Ein Grundeinkommen könnte der gemeinsame sichere Grund sein, auf dem Vielfalt gedeihen kann. Es wird Zeit für ein gesellschaftspolitisches Experiment, das neue Perspektiven eröffnet. Wir sollten es wagen.“15

Dem ist nichts hinzuzufügen.

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Nachbemerkung: Trotz meiner zahlreichen Spoiler lohnt m.E. noch immer ein Blick in das knapp 100seitige Heft "Hohe Luft kompakt. Arbeit neu denken!", das viele Facetten und Möglichkeiten des 21. Jahrhunderts aufzeigt; besonders ans Herz legen möchte ich etwaigen Leser*innen noch folgende Texte:
Die Ypsiloner kommen (von Greta Lührs), zur Generation Y (geboren etwa zwischen 1980 und 2000), die die Arbeitswelt revolutionieren wird; und Das Werk des Lebens (von Tobias Hürter) zur verantwortungsvollen Selbstdefinition jenseits des Leistungsprinzips.

Eingebetteter Medieninhalt

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1 Zit. nach: Dietmar Dath, ‘Maschinenwinter. Wissen, Technik, Sozialismus. Eine Streitschrift’, Frankfurt am Main 2008, S. 131.

2 Vgl. https://www.freitag.de/autoren/rwagner/erzaehlungen-aus-der-zukunft-iv.

3 Zit. nach: Thomas Vašek, ‘Befreit die Roboter’, S. 16-19; in: Hohe Luft kompakt, Sonderheft 1/2018, S. 16.

4 Zit. nach: ebd., S. 17.

5 Zit. nach: ebd., S. 19.

6 Vgl. https://www.freitag.de/autoren/rwagner/erzaehlungen-aus-der-zukunft-i.

7 Vgl. https://news.nationalgeographic.com/2018/05/robotic-living-muscle-tissue-science/.

8 Donna Haraway, ‘A Cyborg Manifesto’, 1984, dt. 1985; zit. nach (dort auch komplettes Manifest): http://www.medientheorie.com/doc/haraway_manifesto.pdf.

9 Zit. nach: Thomas Vašek, ‘Droht uns die digitale Entfremdung?’, S. 38-42.; in: Hohe Luft kompakt, Sonderheft 1/2018, S. 41.

10 Zit. nach: ebd., S. 41f.

11 Zit. nach: Thomas Vašek, ‘Befreit die Arbeit!’, S. 50-56; in: Hohe Luft kompakt, Sonderheft 1/2018, S. 51.

12 Zit. nach: ebd., S. 54.

13 Zit. nach: ebd., S. 55.

14 Zit. nach: ebd., S. 55.

15 Zit. nach: ebd., S. 56.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Dr. Roland Wagner

... promovierte mit einer interdisziplinären Schrift, lebt in Frankfurt/Main, arbeitet seit 2018 in einer Beratungsstelle für Geflüchtete.

Dr. Roland Wagner

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