Weckruf aus dem Winterschlaf

Bildungsstreik Die Proteste der Studenten haben einen heißen Herbst beschert. Seit Weihnachten herrscht Ruhe. Der Univerband der Linkspartei diskutiert, wie es weitergehen soll

Einsam hängt das letzte Banner an der Umzäunung der Humboldt-Universität zu Berlin. „Hier läuft was verkehrt“, steht dort in großen Lettern geschrieben. Ein Erinnerungsstück an die studentische Protestbewegung 2009. Obwohl das neue Jahr erst wenige Tage alt ist, scheint der Bildungsstreik weit weg. Hektisch rennen die Studierenden an dem schlaffen Transparent vorbei. Der Januar bedeutet für sie Klausuren, mündliche Prüfungen und Abschlussarbeiten. Für Diskussionen oder gar Besetzungen von Hörsälen bleibt da keine Zeit.

Ist es nur ein kurzer Winterschlaf oder ist die Protestbewegung ins Koma gefallen? Dieser Frage werden Studenten und Wissenschaftler auf dem Bundeskongress von dem Sozialistisch-demokratischer Studierendenverband der Linkspartei (Linke.SDS) an diesem Wochenende in Bochum nachgehen. Glaubt man ihrer im Internet veröffentlichten Erklärung war der Herbst „richtig heiß“. Auch für das Jahr 2010 zeigt sich der Studierendenverband zuversichtlich, dass die dünne Schneeschicht auf dem Banner bald schmelzen wird.

Dazu müssen zuerst Erfolge und Rückschläge der vergangenen Proteste analysiert werden. Positiv zu bewerten sei laut Linke.SDS die große Beteiligung an den Demonstrationen. Demnach seien im Juni und November Hunderttausende auf die Straße gegangen. Dazu kamen die Besetzungen von über 50 Hörsälen in deutschen Hochschulen. Diese öffentliche Präsenz habe bewirkt, dass „niemand mehr die Bachelor-und Masterstudiengänge verteidigt“, so der Verband. Die Politik habe die Kritik nicht mehr ignorieren können. Endlich sei es zu Gesprächsangeboten seitens lokaler Politiker gekommen, nachdem jahrelang Bildungspolitik ohne Mitbestimmung der Studierenden gemacht wurde.

Für Peter Grottian sind die Gespräche allerdings zu einseitig verlaufen. Der emeritierte Professor für Politikwissenschaften und Teilnehmer an dem Bundeskongress bemängelte in einem internen Schreiben, dass die Kritik der Studierenden in erster Linie auf subjektive Probleme wie Studiengebühren, Zeitdruck und Anwesenheitspflicht gerichtet war. Die „weltweite Ökonomisierung der Bildung“ wurde nicht diskutiert, so der Wissenschaftler. Hinterfragt werden müsse „die zunehmende wirtschaftliche Verwertbarkeit der Bildung“. Zudem habe die Hauptlast der Streiks auf den Schultern der Studenten gelegen. Bildung beginnt jedoch im Kindergarten. Eine bessere Vernetzung außeruniversitärer Kreise sei daher dringend erforderlich. Dies habe sich besonders bei der internationalen Verbreitung der Proteste gezeigt. Der Bildungsstreik blieb letztlich ein deutsches Phänomen. In Italien, Frankreich, Griechenland und Spanien zeigten sich kaum Reaktionen.

Zeichen stehen günstig

Auf dem Bochumer Kongress wollen die Studenten daher über neue Wege für die kommenden Jahre diskutieren. Die Zeichen dafür stehen günstig. Durch die Verkürzung der gymnasialen Schullaufbahn von neun auf acht Jahre in den Jahren 2011 bis 2013 werden doppelte Abiturjahrgänge an die Hochschulen geschickt. Mit hunderttausenden neuen Studenten wird sich der Konflikt weiter zuspitzen.

Bis dahin muss eine „stärkere Vernetzung“ erreicht werden, so der Verband. Nicht nur unter Studierenden, sondern besonders in Verbindung mit Dozenten und Professoren. Statt „bloßer Solidarisierung“ müssten die Lehrbeauftragten gemeinsam mit den Studenten protestieren. Auch die Zusammenarbeit mit Gewerkschaften müsse ausgebaut werden. Als Beispiel sei hier der von Verdi organisierte erste Warnstreik des Berliner Studentenwerks im November 2009 zu nennen. Letztlich müssten sich aber alle Kräfte auf die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am 8. Mai konzentrieren. Mit „unübersehbaren Großdemonstrationen“ müsse im Vorfeld Stimmung gemacht werden, um endlich die Studiengebühren im bevölkerungsreichsten Bundesland zu kippen. Gelänge hier eine Wende, könnte ein Dominoeffekt entstehen und die anderen Bundesländer mit Studiengebühren würden unter Druck geraten.

Noch weht das Banner an der Humboldt-Universität allein im Schneegestöber. Erst der Frühling wird zeigen, ob die Streikenden in Berlin, NRW und anderswo dann wieder aus der Winterstarre erwachen. Bis dahin werden die Studenten und ihr Verband noch viele Prüfungen bewältigen müssen.

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