Starschnitt

VOM ABGANG DES AURATISCHEN INDIVIDUUMS Zwei Bände zum Star-Phänomen

Ich habe eine Frage. Mit dem "Star von morgen" - meinen Sie da Freitag? Denn wenn Sie einfach morgen meinen - also, Freitag ist kein guter Tag für mich, ich habe all diese Verabredungen. Können wir's vielleicht auf Samstag verlegen?" Als Christine Lahti das 1987 im Interview sagte, war sie ein hoffnungsvolles Talent, ein Star ist sie vorgestern und gestern nicht geworden, und inzwischen ist sie beim Fernsehen verpflichtet, einmal wöchentlich Chicago Hope, immerhin. Aber es sind, wenn man so den Dictionary of Film Quotations nach Inspirationen durchblättert, meistens die aus dem zweiten Glied, die die vernünftigsten Sätze über das Phänomen des Stars von sich geben - das Dubiose, Vage, Unkalkulierbare daran hat Lahti jedenfalls auf den Punkt gebracht. Denn darüber, was einen Star zu einem Star macht, und wer überhaupt so genannt werden darf, ist trotz einer ganzen Anzahl mehr oder minder akademischer Studien und emphatischer Deutungsversuche wenig Ab schließendes, Verbindliches zu sagen. Werden Stars produziert wie Filme oder Platten? Machen Sie sich selbst dazu? Werden sie vom Publikum bestellt? Braucht es irgendetwas Besonderes, um ein Star zu werden? Eine bestimmte Gewichtsklasse, Körpergröße, Beinlänge, Augenfarbe? Braucht es vielleicht sogar Talent? Das offenbar nicht. Nehmen wir zum Beispiel einen Star der Stunde. Der ist fünfundzwanzig Jahre alt und sieht aus wie siebzehn, hat Haare, denen mein Friseur sofort mit Wella Haarlack Extra Strong aufhelfen würde, und wenn er die Augen schmal macht, um diesen ins Weite schweifenden, supervirilen John-Wayne-Blick zu erzeugen, möchte man ihm am liebsten eine Brille verordnen. Keiner der Zeitschriften, die in den letzten Wochen sein Bild auf dem Titel hatten - und es gibt kaum eine, die nicht... -, ist es gelungen, das Geheimnis von Leonardo Di Caprio zu ergründen. Was möglicherweise daran liegt, dass es keins gibt. So wie es auch bei Mickey Rooney schwerfällt zu glauben, dass er als Pubertierender in den Dreißigern und Vierzigern ein Star war, dessen Name massenhaft Tickets verkaufte und Filme amortisierte. Oder bei Bing Crosby, Betty Grable, Alan Ladd, Edward G. Robinson, Greer Garson.

Zu deren Zeiten allerdings gab es noch etwas, das heute im Verschwinden begriffen scheint: einen gewissen Konsens darüber, was einen Star ausmacht, und eine anerkannte, kodifizierte Form des Publikumsverhaltens, die man als star gazing bezeichnet hat. Die Erscheinung des Stars ist, auch wenn es manche gerne anders hätten und die Autoren des akademischen Sammelbandes Der Star alles tun, um den USA auch noch diese Kulturleistung streitig zu machen, zuerst eine amerikanische - sie hat natürlich etwas mit Hollywood zu tun, mit seiner Filmindustrie und mit Fanmagazinen wie Photoplay, die in den zwanziger Jahren an einer Art mythischem kinematographischem Metatext zu arbeiten begannen, an Homestories, Interviews und Fotoserien, den Legenden hinter den Leinwandlegenden. Keiner hätte damals daran gezweifelt, dass ein Star ein Filmstar ist: "More stars than there are in heaven", lautete das Motto von MGM, und Paramount fügte dem Himmel im berühmten Logo immer dann einen Stern hinzu, wenn es einen neuen Star kreiert oder verpflichtet hatte (eine Praxis, die irgendwann aufgegeben wurde, weil es zuviele wurden). Noch meine Eltern gingen ins Kino, wenn ein Film mit Alan Ladd oder Gary Cooper angekündigt war - nicht, weil das Werk sich um Serienkiller oder Kindesmisshandlung oder Schiffsuntergänge gedreht hätte, auch nicht, weil ein "auteur" die Hand im Spiel hatte.

Das klassische star gazing - ein Erbe, das die Popszene noch ein Weilchen gepflegt hat, denken wir nur an den Bravo-Starschnitt - ist mit dem Fernsehen allmählich aus der Mode gekommen. Wo plötzlich, nach Warhol, jeder für einen Tag - sagen wir Samstag, wenn's Ihnen passt - ein Star sein kann, kommt der Begriff am Ende auf den Hund... oder so. "Bei uns im Studio: eine Katze, eine Eidechse und ein Fleck brauner Flüssigkeit", parodierten die "Pythons" Ende der Sechziger den vom Fernsehen verursachten Abgang des auratischen Individuums. Heute dokumentiert ihn der bereits erwähnte Band über Den Star, dessen Personenverzeichnis allein eine heillose Desorientierung zu verraten scheint: Gloria Swanson und Rudolph Valentino kommen seltsamerweise nicht vor, wohl aber Rudolf Scharping (vier Nennungen!), Rembrandt (wegen der Selbstbildnisse - eine frühe Star-Geste?), Peter Alexander, Jörg Kachelmann und, tatsächlich, der ehemalige Postminister Wolfgang Bötsch (der freilich, wie sich im Fortgang der Recherche enthüllt, in der Wahrnehmung von deutschen "Starpolitikern" nur einen miesen zwanzigsten Platz erreicht).

Wer dem Star-Appeal dieser Figuren mühelos widerstehen kann und - um noch einen fragwürdigen Kandidaten zu nennen - Guildo Horn auch nicht braucht, der wird vielleicht mit dem wunderschönen, im Kunstverlag Scalo erschienenen Fotoband Stars, Stars, Stars... off the screen glücklich. Der Band liefert eine Retrospektive auf das Werk des ehemaligen Piloten und Musikers Edward Quinn, der in den Fünfzigern an der Cote d'Azur die Fotografie entdeckte und das Leben der happy few, der Filmstars vor allem, weniger dokumentierte, denn stimmungsvoll in Szene setzte. Quinn war ein "Paparazzo" als das Wort noch keinen fatalen Beigeschmack hatte - ein Wegelagerer, der Sophia Loren auch schon mal im Hotelzimmer auflauerte, aber einer mit Stil. Charles Chaplin mit Familie und Entourage, Audrey Hepburn im smarten Freizeitdress, Elizabeth Taylor als Mutter, Romy Schneider und Alain Delon frischverliebt: Quinns Aufnahmen geben dem Betrachter die Illusion, er habe am Privatleben der Schönen und Reichen teil; die Grenze zur Dekonstruktion oder gar Denunziation überschreiten sie nie. Wirklich intim sind die Fotos nicht, weil sie Intimstes enthüllen, sondern weil sie so entspannt daherkommen: Es scheint, als wäre es damals, in der letzten großen Jahren des Kinos, ein Leichtes gewesen, ein Star zu sein. Und es war leicht, einen zu erkennen. Kirk Douglas jedenfalls kriegt bei Quinn diesen schweifenden, magischen schmale-Augen-Blick mühelos hin, dabei ist er bloß damit beschäftigt, eine Zigarette anzuzünden. So dass sich beim Betrachter unwillkürlich dieser kleine Stoßseufzer löst, der am Ende, im Rückblick, allemal den Star vom Nicht-Star scheidet: "They don't make them like this anymore."

Edward Quinn: Stars, Stars, Stars... off the screen. Scalo Verlag, Zürich 1996, 336 Seiten, 128,- DM

Werner Faulstich, Helmut Korte (Hg.): Der Star. Geschichte, Rezeption, Bedeutung. Wilhelm Fink Verlag, München 1997, 222 Seiten, 48,- DM

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