1921: Schwarz-rote Jahre

Zeitgeschichte Kurz vor Mussolinis Machtübernahme gründet sich die Kommunistische Partei Italiens, geführt von Amadeo Bordiga, der in Moskau mit Lenin diskutiert und Stalin ablehnt
Ausgabe 04/2021
KPI-Chef Amadeo Bordiga: 1930 wegen Trotzkismus ausgeschlossen
KPI-Chef Amadeo Bordiga: 1930 wegen Trotzkismus ausgeschlossen

Foto: Fototeca Gilardi/Getty Images

Im Unterschied zu vielen anderen sozialdemokratischen Parteien Europas begrüßten die italienischen Sozialisten den Ersten Weltkrieg nicht mit Hurrapatriotismus. Filippo Turati stand 1914 als einer ihrer Führer für die Losung „Nicht unterstützen und nicht sabotieren“. Für Benito Mussolini, um diese Zeit Direktor des Zentralorgans Avanti!, war das zu schlapp. Er plädierte für eine „relative und operative Neutralität“. Bei seinem journalistischen Debüt verteidigte der Turiner Student Antonio Gramsci (1891 – 1937) diese Auffassung und meinte, sie sporne das Proletariat an, sich über die Machenschaften der Bourgeoisie zu stellen und „die öffentlichen Angelegenheiten selbst in die Hand zu nehmen“. Bald musste Mussolini die Partei verlassen und vertrat in seinem neuen Blatt Il Popolo d’Italia einen offen bellizistischen Kurs.

Gramsci handelte sich nicht nur eine Rüge ein. Obwohl er immer zu den entschiedensten Kriegsgegnern gehört hatte, hing ihm die Unterstützung Mussolinis so stark an, dass er – als am 21. Januar 1921 in Livorno die Kommunistische Partei (KPI) gegründet wurde – nicht für ihr Exekutivkomitee und gerade so für das Zentralkomitee in Frage kam. Keine Rolle spielte, dass er von 1918 bis 1920 in Turin die im historischen Rückblick bedeutendste Rätebewegung des Landes geprägt hatte. Der körperbehinderte, nur sehr leise sprechende Gramsci besaß freilich auch keine Ambition auf ein politisches Spitzenamt.

So wurde ein Mann erster Vorsitzender der KPI, der sich als sein Mentor und Freund betrachtete: Amadeo Bordiga (1889 – 1970), ein charismatischer rigoroser Kriegsgegner und Verächter der bürgerlichen Demokratie. Als Ingenieur hatte er schon 1912 in Neapel einen Karl-Marx-Zirkel geleitet und eine naturwissenschaftlich-positivistische Auffassung von dessen Lehre verfochten. Anders als der philosophisch und historisch gebildete Gramsci, der den manipulativen Einfluss einer bereits mächtigen Massenkultur auf das Proletariat erkannt hatte, hielt Bordiga nichts davon, den Kampf für ökonomische und politische Macht mit einer kulturellen Schulung zu flankieren. Empört über die Passivität proletarischer Führer, die Italiens revolutionäre Zentren nicht vernetzt hatten, verlangte Bordiga bereits 1919 auf einem Kongress, die Sozialistische zur Kommunistischen Partei umzubenennen und die Reformisten auszuschließen. Das Proletariat könne sich nur dann Macht aneignen, „wenn es diese der Minderheit der Kapitalisten im bewaffneten Kampf – in der revolutionären Aktion – entreißt“.

1920 als Teilnehmer am II. Weltkongress der III. Internationale (Komintern) in Moskau, vertrat Bordiga eine stark sektiererische Position, wie sie Lenin in seiner Schrift Der „Linke Radikalismus“, die Kinderkrankheit im Kommunismus kritisierte. Bordiga sah in der KPI eine kleine Kaderpartei, zum revolutionären Staatsstreich bestimmt, um das auch in Italien populäre Sowjetsystem rasch durchzusetzen. Zusammengehen mit „Reformisten und Maximalisten“ lehnte er ab – ein Radikalismus, der sich schneller als in anderen europäischen Ländern als unrealistisch erwies. Zwar gelang es den Ordnungskräften des italienischen Staates nicht, im „Biennio rosso“, den „zwei roten Jahren“ von 1918 bis 1920, die zahlreichen revolutionären Bastionen zu nehmen. Während in Deutschland die Novemberrevolution durch rechte Freischärler abgewürgt wurde, erledigten das in Italien arbeitslose Kriegsheimkehrer, frustrierte Kleinbürger und ehemalige Linke. Diese aus staatlichen Arsenalen bewaffneten Marodeure hatte ein Mann um sich geschart, der von sich behauptete, eine Revolution nach Art der Bolschewiken durchzusetzen: Benito Mussolini.

Geblendet von seinen Phrasen, mordeten die Hundertschaften der Schwarzhemden Anfang der 1920er Jahre zahllose Linke, brandschatzten Partei- und Gewerkschaftsbüros wie die Redaktionen sozialistischer und kommunistischer Blätter. Mit dem von der linken Bewegung abgekupferten Konzept eines „Marschs auf Rom“ erzwang Mussolini 1922 schließlich, dass ihm der König die Regierung übertrug. Nun setzte regelrechter Staatsterror gegen die verbliebenen demokratischen Strukturen ein, gänzlich schleifen konnte Mussolini sie erst 1926. So hatte die KPI in diesen Jahren von vornherein einen gefährlichen, halblegalen Status, was zu konspirativen Strukturen und der Weigerung führte, die noch vorhandenen Möglichkeiten, etwa das Parlament, als Tribüne zu nutzen.

Anders als Bordiga hatte Gramsci schon 1920 den Faschismus als neue totalitäre Form der bürgerlichen Herrschaft erkannt. Er beschrieb ihn als „schreckliche Reaktion der besitzenden Klasse und der Regierungskaste“. Keine Form von Gewalt werde gescheut, „um das industrielle und landwirtschaftliche Proletariat zu serviler Arbeit zu zwingen. Unweigerlich wird man die Organe des Klassenkampfs der Arbeiterklasse (die Sozialistische Partei) zu zerstören suchen und die Organe des ökonomischen Widerstands (die Gewerkschaften und Kooperativen) in das Räderwerk des bürgerlichen Staats integrieren.“ Die um ihn entstandene Gruppe, zu der auch der spätere Parteichef Palmiro Togliatti (1893 – 1964) zählte, lotete Bündnisoptionen aus und plädierte auf dem zweiten KPI-Parteitag 1922 vergeblich für die Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften, was der Einheitsfrontpolitik der Komintern entsprochen hätte.

Antonio Gramsci wurde in deren Exekutivkomitee (EKKI) nach Moskau entsandt, wo er mit Lenin das Phänomen des Faschismus diskutierte und schlussfolgerte, dass die revolutionäre Welle in Westeuropa verebbt sei und eine langfristige Strategie nötig werde. Als Bordiga 1923 verhaftet wurde, setzte die III. Internationale Gramsci kommissarisch als KPI-Chef ein. Da auch gegen ihn ein Haftbefehl vorlag, begab er sich im November zunächst nach Wien, um von dort zu veranlassen, dass die Partei doch an Parlamentswahlen teilnahm. Weil das den Prinzipien des aus der Haft entlassenen Bordiga widersprach, verweigerte dieser sich der Bitte aus Moskau, seine Führungsposition wieder einzunehmen, konnte aber ungeachtet dessen auf Parteikonferenzen weiter Mehrheiten hinter sich bringen.

Unter dem Schutz eines im Veneto erlangten Mandats kehrte Gramsci im April 1924 nach Italien zurück und wurde Fraktionsführer im Parlament. Als sich das aus Protest gegen die Ermordung des sozialistischen Abgeordneten Matteotti zu einem Gegenparlament erklärte, das über Monate keine Aktivitäten entfaltete, kehrte die KPI als einzige Partei ins Abgeordnetenhaus zurück – Gramsci wollte dieses Forum nicht den Faschisten überlassen. Aber erst auf dem 1926 aus Sicherheitsgründen im französischen Lyon stattfindenden Parteikongress, an dem auch Bordiga teilnahm, wurde Gramsci mit seiner Idee von einer breiten Bündnispolitik zum Vorsitzenden gewählt.

Bordiga hatte 1925 Trotzki verteidigt und in Moskau Stalin ins Gesicht gesagt, er verrate die Weltrevolution. Gramsci hielt diese aus objektiven Gründen „für ausgesetzt“, aber auch er sah den Konflikt mit der KPdSU. Kurz bevor Gramsci in Italien wegen eines „Komplotts gegen den Staat“ zu 20 Jahren Haft verurteilt wurde, verfasste er den berühmt gewordenen Appell an die sowjetische Partei: Man solle den Streit mit demokratischen Mitteln führen, „Einheit und Disziplin“ ließen sich nicht mechanisch erzwingen.

Diese Überzeugung einte die beiden ersten Führer der KPI, die während ihrer Verbannung auf die Insel Ustica gemeinsam und einträchtig Kurse für Mitgefangene abhielten. Gramsci unterrichtete Geschichte und Literatur, Bordiga Naturwissenschaften. 1930 wegen Trotzkismus aus der Partei verbannt, war er fortan Brückenbauingenieur in Formia. Als Gramsci 1933 in das dortige Gefängnis verlegt wurde, versorgte er ihn mit Lebensmitteln. Nach dem Zweiten Weltkrieg dann unterhielt Bordiga eine eigene Internationalistische Kommunistische Partei, der jedoch die Massenbasis der als Erbe Antonio Gramscis agierenden KPI fehlen sollte.

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