Zum künstlerischen Durchbruch, der Bertolt Brecht 1928 mit der Dreigroschenoper zuteilwurde, und den „unermesslichen“ Tantiemen, die er fortan einkassiert haben soll, wabert viel Unseriöses durch die Gerüchteküche. Unbeachtet bleibt, dass er die darauffolgenden Versuche mit Lehrstücken bis hin zur Inszenierung der Mutter zu erheblichen Teilen selber finanzierte. Zudem schickte der arisierte Bloch-Erben-Verlag dem 1933 exilierten Brecht keine Tantiemen mehr. Auf Druck des NS-Regimes wagten es größere skandinavische Bühnen zur gleichen Zeit nicht wie gehabt, seine Dramen aufzuführen. Die unter Mitarbeit von Margarete Steffin und Ruth Berlau entstandenen Exilstücke kamen nicht unter Vertrag und blieben ungedruckt.
Dass die Familie und die beiden Geliebten nicht hungerten, war der Solidarität von damals erfolgreicheren Künstlern zu verdanken. Die dänische Autorin Karin Michaelis finanzierte das „Haus unterm Strohdach“ und der Schriftsteller Lion Feuchtwanger stellte Brecht sein sowjetisches Konto zur Verfügung, damit die Gruppe 1941 durch die Sowjetunion reisen und die USA erreichen konnte. Letzteres hat den vom KGB als „Trotzkist“ geführten Brecht vielleicht das Leben gerettet: Stalin wollte seinen berühmten Unterstützer Feuchtwanger sicher nicht brüskieren. Bis Ende der 1930er Jahre waren in Moskau nur kleinere Texte Brechts publiziert worden. Als ihn Freunde während des Zwischenaufenthalts fragten, ob er ihnen sein Stück Furcht und Elend des Dritten Reiches zum Druck überlasse, lehnte er das mit Verweis auf den Hitler-Stalin-Pakt ab.
Eine gesicherte finanzielle Situation stellte sich erst mit einer Rückkehr nach Ostberlin ein. Ab 1949 auf der Bühne des Deutschen Theaters, ab März 1954 im eigenen Haus, konnte Brecht seine Exilstücke mittels der dafür entwickelten dramatischen Ästhetik inszenieren. Während das Berliner Ensemble (BE) sofort zum Olymp deutscher Theaterkunst wurde, setzte im Westen ein weitgehender Brecht-Boykott ein. Nur Harry Buckwitz wagte es, in Frankfurt am Main alljährlich ein Brecht-Stück zu präsentieren.
Zu wirklichem Weltruhm kam Brecht mit der Teilnahme seines Ensembles an einem dreiwöchigen internationalen Theaterfestival 1954 in Paris. Helene Weigel spielte vier Mal im Théâtre Sarah Bernhardt ihre in Berlin schon zur Legende gewordene Rolle in Mutter Courage und ihre Kinder. Der Erfolg war umso bemerkenswerter, weil die ästhetisierte Armut der Ausstattung in eklatantem Gegensatz zum Glamour der konkurrierenden Aufführungen stand. Davon schockiert zeigte sich der Kritiker Robert Kemp in Le Monde: „Mit der Weigel hebt das Stück niemals vom Boden ab. Sie hat keine Flügel. Sie kriecht im Morast der Armut, der raffgierigen Lüsternheit, der Niedrigkeit. Aber auch das ist ergreifend, bestrickend.“
Zehn Jahre nach Kriegsende nahm das Pariser Publikum die aus Deutschland kommende Antikriegsbotschaft nicht weniger begeistert auf als das Publikum in Warschau, wo es kurz zuvor ein Gastspiel gegeben hatte. Am Abend der ersten Vorstellung gab es 26 Vorhänge. Die Zuschauer trampelten, wollten auch Brecht sehen. Menschen, die für die folgenden Aufführungen keine Karten mehr bekommen hatten, versuchten über Feuerleitern ins Theater zu gelangen. Hinter der Bühne warteten Freundinnen der Weigel aus den USA auf sie, wo sie keinen einzigen Theaterauftritt gehabt hatte. Martha Feuchtwanger hörte, wie sie zu einer Bekannten aus der Zeit des Exils sagte: „So siehst du, dass ich auch was anderes kann als Gugelhupf backen.“
Hinsichtlich des Spiels der Weigel schrieb Clara Malraux, dass ihre Bewegungen und Gesten – „die jedes Mal den ganzen Körper in Bewegung brachten, Gesten, die in Wahrheit Haltungen waren, wovon jede logisch aus der anderen entsprang“ – an japanische Marionetten erinnerten. Auch bei diesen hätte das Ziehen eines einzigen Fadens Rückwirkungen auf die gesamte Körperdynamik. Die geschiedene Frau des damaligen französischen Kulturministers hatte erkannt, dass sich Helene Weigel im Exil intensiv mit der gestischen Körpersprache des asiatischen Theaters befasst hatte. Darüber sprach sie freilich nie, es blieb ihr gehütetes Berufsgeheimnis, das sie von allen anderen Schauspielerinnen unterschied und zugleich den globalen Universalismus des Brecht-Theaters unterstrich. Die Schauspielerin Therese Giehse hatte es jedoch erkannt und neckte die Freundin öfter als „alte Chineserin“.
Französische Kritiker und Intellektuelle, für die damals das existenzialistische Theater maßgebend war, diskutierten eifrig über die Aufführungen in Paris. Das BE gewann den ersten Preis für das beste Stück und die beste Aufführung. Damit war auch der Bann in Westdeutschland gebrochen. Bis zum Mauerbau 1961, der einen neuen Brecht-Boykott nach sich zog, wurden seine Stücke dort an vielen Bühnen gespielt. Für Brecht muss die Anerkennung, die er in Paris gefunden hatte, eine tiefe Genugtuung gewesen sein. Frankreich war vor der Emigration sein bevorzugtes Reiseland. Er hatte es auch als Exilland anvisiert, folgte aber schließlich der Weigel nach Dänemark, die dort günstigere Lebensverhältnisse ausfindig gemacht hatte.
Nicht nur am Pariser Gastspiel beteiligte Mitglieder des Ensembles wollen beobachtet haben, dass Brecht und Weigel in der Freude über den gemeinsamen Triumph wie ein Liebespaar wirkten. Tochter Barbara erinnerte sich an einen Spaziergang, den die Eltern auf der mit Auto und Chauffeur unternommenen Rückreise während einer Fahrpause im Schwarzwald unternahmen: „Es war ganz offensichtlich, was da im Wald passiert war, als sie zurückkamen. Fand ich merkwürdig, dass ältere Leute so etwas noch tun.“
In der DDR, wo Teile der Kulturbürokratie Brechts Ästhetik noch für „formalistisch“ hielten, wurde der Pariser Erfolg nur mit Kurzmeldungen kommuniziert. Am 14. August beklagte sich Brecht bei der Wochenpost, die zur Verfügung gestellte Fotos und Artikel aus Frankreich als nicht mehr aktuell abgelehnt hatte. Noch immer brächten aber „französische, skandinavische und westdeutsche Blätter Berichte über das Gastspiel des Berliner Ensembles zum Pariser Festival. (…) Es ist unmöglich, dass Sie einen solchen kulturellen Erfolg der DDR einfach unter den Tisch fallen lassen.“ Die französischen Kritiken wurden erst ein Jahr später übersetzt.
Das gespannte Verhältnis, das zwischen dem stark geförderten Brecht und der Kulturbürokratie bestand, beruhte auf deren Abhängigkeit von den ästhetischen Dogmen der Sowjetunion, wo Brechts Werk nach wie vor kaum verlegt und nicht inszeniert wurde. Als ihm am 18. Dezember 1954, gut eineinhalb Jahre nach Stalins Tod und ein reichliches Jahr vor dem XX. KPdSU-Parteitag der Stalin-Friedenspreis verliehen wurde, war er für den Kreml zweite Wahl: Thomas Mann hatte abgelehnt. Anerkannt wurde auch weniger sein Œuvre als vielmehr sein Engagement gegen die erneute Kriegsaufrüstung mit konventionellen und atomaren Waffen. Doch war die Preisverleihung ein Zeichen von beginnender Entstalinisierung. Die Mitarbeiterin Käthe Rülicke erinnerte sich, dass die Atmosphäre im Moskauer Swerdlow-Saal „heiter“ war. „Über die Gesichter der Anwesenden, hauptsächlich Künstler, ging ein Lächeln, als Nikolai Ochlopkow zum Rednerpult trat und zu Brecht sprach – wusste doch jeder, dass zwanzig Jahre zuvor sein Theater während einer Brecht-Inszenierung geschlossen worden war.“
An der Zeremonie nahmen auch Bernhard Reich und Asja Lācis teil, die Brecht während seiner Durchreise 1941 getroffen hatte und später etliche Jahre in Stalins Lager verbannt waren. Mit dem Germanisten Ilja Fradkin und Reich besprach Brecht Möglichkeiten, die Übersetzung seiner Stücke und deren Aufführung in der Sowjetunion in Gang zu bringen. Die Herausgabe von Übersetzungen erlebte er nicht mehr, und zu einem Gastspiel des Berliner Ensembles kam es erst 1957 – ein Jahr nach seinem Tod im August 1956.
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