„Sind Sie nicht auch ein wenig Egoist?“, fragt eine junge Frau einen jungen Mann, der sich beklagt, dass seine Braut den Lehrerberuf auch als Ehefrau ausüben wolle. Die Szene entstammt dem Roman Junges Herz muss wandern, den die 25-jährige Elfriede Brüning 1935 in Gestapo-Untersuchungshaft schrieb. So tarnte sie sich in den Verhören als harmlose Unterhaltungsschriftstellerin, die nur zufällig in eine illegale Versammlung des Bundes proletarisch-revolutionärer Schriftsteller geraten sei. Obwohl ihr nicht geglaubt wurde, kam sie 1936 im Vorfeld der Olympischen Spiele frei. Ihr Roman wurde sogar publiziert, obwohl die berufliche Arbeit von Ehefrauen der NS-Geschlechterpolitik widersprach. Nicht parteigebundene Verlage druckten gern Texte ohne Blut-und-Boden-Mythos.
Dass Männer etwas gegen die Berufstätigkeit ihrer Frauen haben, ist auch in der frühen DDR ein Thema. Brüning kommt 1955 in ihrem Roman Regine Haberkorn darauf zurück. Um ein elegantes Schlafzimmer kaufen zu können, erlaubt ein Arbeiter zähneknirschend, dass seine Frau eine Zeit lang arbeiten geht. Nach dem Erwerb der Möbel will sie nicht wieder Hausfrau sein. Der Mann hingegen möchte sein häusliches Idyll zurück, anstatt sich das Essen selbst aufwärmen zu müssen. Weder Sorgen um den oft auf sich allein gestellten Sohn noch Affären des Ehemanns mit anderen Frauen lassen Regine an ihrem Entschluss zweifeln. Im Betrieb macht sie sich Gedanken um nötige Modernisierungen, auch deutet sich an, dass sie ebenfalls einen neuen Partner finden könnte.
Der Verlag des Freien Deutschen Gewerkschaftsbunds (FDGB) hat das Manuskript angenommen und in seinem Blatt Tribüne als Fortsetzungsserie gedruckt. Diese stößt auf begeisterte Leserreaktionen, nicht zuletzt von Männern. Werktätige aus dem Braunkohlewerk Nachterstedt regen an, für die Haberkorn-Geschichte einen Literaturpreis des FDGB auszuloben.
Als dann das Buch erscheint, führt das in der Zeitung Neues Deutschland (ND) zur vernichtenden Kritik einer aufstrebenden Kulturpolitikerin. Marianne Lange moniert, dass keine idealtypischen sozialistischen Arbeiter gezeigt würden, stattdessen ein kleinbürgerliches Milieu vorherrsche, das von einem „kleinbürgerlichen Standpunkt aus“ geschildert werde. Brüning bediene sich „nur der zeitgemäßen Kulisse eines volkseigenen Betriebes, um einen ganz privaten Ehekonflikt abzuhandeln, der (…) ebenso gut zu einer anderen Zeit und in einem anderen sozialen Milieu hätte handeln können“. Beseelt vom Schutzreflex gegenüber dem männlichen Patriarchat, moniert Lange, dass ein Arbeiter von einer frischgebackenen Arbeiterin „bekämpft und überwunden“ werde.
Kommt es in der DDR zu kulturpolitischen Kontroversen über Literatur, wird in der Regel allein die offizielle Position publiziert – die der inkriminierten Autoren bestenfalls indirekt vermittelt. Umso verwunderlicher, dass in den stalinistischen 1950er Jahren eine lebhafte Diskussion um Regine Haberkorn entbrennt. Brüning kann im Neuen Deutschland die behauptete Überzeitlichkeit des Ehekonflikts abschmettern – schließlich gibt es um diese Zeit nur wenige Länder, in denen, wie in der DDR, Frauen ohne Erlaubnis ihrer Männer berufstätig sein können. Der ND-Autor Willi Lewin bekräftigt, dass die Titelheldin „Eigenschaften der besten und fortschrittlichsten Frau zeigt, sich aber gleichzeitig jede mit ihr identifizieren kann“. Der Roman habe eine bewegende Handlung.
Schützenhilfe im Westen leistet der Spiegel. In dem nicht gezeichneten Artikel „Eine Kollegin geht voran“ heißt es, dass sich Regine in dem Entschluss, arbeiten zu gehen, nicht von westlichen Frauen unterscheide. Schließlich sei es ihr um ein Konsumziel gegangen. Dann aber werde ihr die Arbeit „zum gesellschaftlichen Bedürfnis. (…) Triumphierend stellt die angegriffene Autorin Brüning ihren Kritikern die Frage: ‚Hätte auch im Kapitalismus eine Frau wie Regine aus ähnlichen Gründen ihre Ehe aufs Spiel gesetzt?‘“
Dass die DDR den männlichen Arbeitern noch den Komfort der patriarchalen Ehe erhalten will, zeigt sich auch, als die DEFA eine Filmsynopse zum Haberkorn-Roman ablehnt. Es stimme zwar, dass ein Mann seiner Frau in der DDR nicht mehr verbieten könne, arbeiten zu gehen. Ein Film müsse jedoch zeigen, wie eine Frau sowohl die Arbeit im Betrieb als auch ihre Verpflichtung als Ehefrau und Mutter bewältigen könne. Hohe Wellen schlägt die in der Berliner Zeitung von der jungen Germanistin Ursula Püschel eröffnete Debatte. Auch für sie hat ein Ehekonflikt in einem Produktionsroman keinen Platz. Dass nicht nur der Mann fremdgeht, sondern ein Meister Regine Rosen schenkt, bezeichnet sie als „Kitsch, der aus einem Courths-Mahler-Roman entnommen sein“ könnte. Autor Rudolf Hirsch widerspricht: „Was ist Kitsch, weise Kritikerin? (…) Heiratet in diesem Buch der edle Direktor des volkseigenen Betriebes das Mädchen, das durch die Machenschaften böser Agenten seinen Verbesserungsvorschlag nicht durchsetzen konnte?“ Brüning habe „solchen Kitsch und Käse nicht geschrieben, sie hat eine mit kleinbürgerlichen Vorstellungen behaftete Arbeiterehe dargestellt“. Die Autorin Margarete Schmidt meint, sie sei dem Fortschritt zugewandt, freue sich aber über geschenkte Rosen „mehr als über einen Band Politökonomie, den kaufe ich mir selbst“.
Der Schriftsteller Karl Mundstock fordert, dass die Literaturkritik aufhören müsse, „Scharfrichter zu sein an der neuen deutschen Literatur“. Sein Kollege Ludwig Turek wirft ein, das Buch erreiche neue Leserschichten, die mit hochkulturellen Werken nicht ansprechbar seien.
Für den Anfang 1956 geplanten Schriftstellerkongress wird Brüning weiterhin von der Arbeiterschaft gestärkt. Aus dem Bibliotheksrat der Rostocker Warnowwerft ist zu hören, dass Regine Haberkorn „eines der meistgelesenen Bücher“ sei. „Besonders unsere werktätigen Frauen interessieren sich sehr dafür, die bei uns vorhandenen zwölf Exemplare sind ständig ausgeliehen.“ Es sei diskutiert worden, ob die verheiratete Frau arbeiten solle und ob Ehebruch verzeihlich sei. Die Frauen seien dankbar, dass das Buch die Mängel der Pionierorganisation hinsichtlich der Kinderbetreuung zur Sprache bringe. Man sei zu dem Schluss gekommen, dass Regine mit Beruf, Haushalt, Qualifizierung, Frauenausschuss und Elternbeirat überlastet war. Bemängelt wird, dass in dem Buch nur „schlechte oder scheiternde“ Ehen vorkämen. Die Leserinnen der Warnowwerft erwarteten wohl doch etwas mehr Seele. Auf dem Schriftstellerkongress wird Brüning von Anna Seghers verteidigt, die erklärt: „Ehe und Liebe, Sorge um Kinder, Geburt und Krankheit sind nicht unwesentlich, weil sie altbekannt sind.“ Die Literatur müsse zeigen, „wie die für alle Menschen in allen Zeiten typischen Vorkommnisse sich entwickeln, wenn sie sich mit dem Typischen unserer Gesellschaft verbinden“. Seghers und Stefan Heym wenden sich gegen eine Abwertung unterhaltender Literatur.
Die Kontroverse um Regine Haberkorn zeigt, dass der Weg von Frauen in die Arbeitswelt nicht nur wirtschaftlich notwendig ist, sondern auch emanzipatorische Prozesse unterstützt, besonders in Schichten früher unterprivilegierter, sich nun qualifizierender Frauen. Weil Arbeiterfrauen in der BRD weitgehend zu Hause bleiben, entsteht dort kein ähnliches Bedürfnis nach solcher Literatur.
Der vom FDGB vergebene Literaturpreis geht dann allerdings nicht an Elfriede Brüning, da in der Vergabekommission – so die Überlieferung – nur eine Frau saß, die vergeblich dafür warb, das Buch Regine Haberkorn auszuzeichnen. Es sei von so vielen Betrieben vorgeschlagen worden. Brüning erhält den Preis erst 28 Jahre später für ein Buch, das die Vereinbarkeit von Beruf und Familie als noch immer prekär darstellt. Deshalb kann Partnerinnen auch im Westen erscheinen und zur Devisenquelle für die DDR werden, in den 1980er Jahren ein entscheidendes Qualitätsmerkmal.
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