Im sozialistischen Algerien der 1980er Jahre war es legitim, sich über importierte Presseerzeugnisse und Parabolantennen zu informieren. Obwohl die inländischen Zeitungen kritischer als die des Ostblocks waren, wurden sie durch das Innenministerium zensiert. Glasnost und Perestroika beschäftigten die Menschen in Nordafrika weit weniger, beflügelten aber auch hier die Demokratiebewegung. Sie konnte sich ohne große Einflussnahme von außen aus den Widersprüchen der eigenen Gesellschaft heraus entwickeln.
Schon im April 1987 wurde eine vorzugsweise von Anwälten durchgesetzte Ligue Algérienne pour les Droits de l’Homme (LADH) legalisiert. Im April 1988 entstand ein informelles Bündnis zahlreicher Journalisten, das Mouvement des Journalistes Algériens (MJA), das sich mit „Zensur und Verboten“ in der Presse und mit solidarischen Aktionen für entlassene oder verhaftete Kollegen befasste. Wichtige Initiatoren des MJA kamen aus dem Moudjahid, dem Blatt der Einheitspartei Front de Libération Nationale (FLN). Das nicht legitimierte MJA fand zunächst keine Versammlungsräume für interessierte Journalisten. Dass man bald den Saal der legalen Berufsgenossenschaft nutzen konnte, zeigte, wie überfällig der Wandel war.
Der Journalist Ahmed Ancer hebt in seinen Erinnerungen hervor, dass das MJA stets seine Autonomie bewahrte. Am 9. und 10. Mai 1988 fand eine Großversammlung statt. Es sei an der Zeit, „die Berufung des Journalisten als mündigen Intellektuellen wiederherzustellen“, hieß es da. Dem stehe entgegen, dass „die Themen von den Direktionen vorgegeben“ würden und oft weitab von dem lägen, was Redakteure für wichtig hielten. Leblose, platte, teilweise improvisierte Artikel seien die Folge. Das Recht des algerischen Volkes auf eine objektive und vollständige Information müsse jederzeit als gültiger Grundsatz respektiert werden. Kritisiert wurde eine „allgemeine Praxis der Zensur und Selbstzensur“. In fast allen Zeitungen herrsche ein Klima „intellektueller Inquisition“. Auch jämmerliche Arbeitsbedingungen würden für Servilität sorgen, sie hätten „mittelmäßige Elemente in Führungspositionen gebracht“. Viele der im Mouvement des Journalistes Organisierten hielten Pressefreiheit und Sozialismus für vereinbar. Es kam erst später heraus, dass einige Journalisten dieses Verbundes mit Mouloud Hamrouche in Kontakt standen, dem Generalsekretär des Präsidenten Chadli Benjedid von der FLN. Diesem war bewusst, dass die begonnene ökonomische Liberalisierung auch das Informationssystem erfassen müsse.
Anfang Oktober 1988 brach eine massive Revolte Jugendlicher aus, die sich gegen mangelnde soziale Perspektiven auflehnten. In Algier wurden Ministerien, Parteibüros und Polizeikommissariate besetzt. Am 10. Oktober gingen Polizei und Armee mit Schusswaffen gegen die jungen Leute vor. Über tausend kamen in Haftzentren und wurden gefoltert. Man sprach von bis zu 500 Toten. Die Presse druckte nur offizielle Kommuniqués nach.
Am 10. Oktober demonstrierten auch zahlreiche Journalisten vor der Großen Post in der Hauptstadt. In einer an Agence France Presse (AFP) übergebenen Erklärung war zu lesen, dass es der algerischen Presse „verboten wurde, objektiv über die Ereignisse zu informieren“ – dies offenbare eine „Missachtung jeder professionellen Ethik und des elementaren Bürgerrechts auf Information“. Die Journalisten verurteilten Polizeigewalt und verlangten, dass man alle Verhafteten freilasse, ohne ihnen etwas angetan zu haben. Weil das nicht geschah, gründete sich ein Nationales Komitee gegen die Folter, was augenscheinlich Eindruck hinterließ. Am 15. Oktober kamen etwa 500 Minderjährige und andere Inhaftierte frei. Am 16. Oktober veröffentlichte die Redaktion des Moudjahid eine Protesterklärung, in der sie angesichts der jüngsten Vorfälle „ein ausgeprägtes Informationsvakuum“ beklagte. Das müssten professionelle Journalisten als Erniedrigung empfinden. Dabei seien viele Berichte am Ort des Geschehens entstanden, aber von den Chefredaktionen brüsk abgelehnt worden.
Nachdem am 22. Oktober ein französischer Fernsehsender Interviews mit freigelassenen Folteropfern ausgestrahlt hatte, gab es für die algerischen Zeitungen kein Halten mehr. Bereits am nächsten Tag zitierten sie ausführlich aus den Berichten der Menschenrechtsliga und des Anti-Folter-Komitees. Die Zivilgesellschaft emanzipierte sich, Stimmen wurden laut, dass gesellschaftliche Konflikte nicht mehr mit Gewalt, sondern allein durch demokratisches Aushandeln zu lösen seien. Nicht nur Journalisten, auch andere Berufsverbände und die Studentenunion wollten nun aus der Vormundschaft der FLN entlassen werden. Von einer politischen Liberalisierung – vor allem der Möglichkeit, Entscheidungsträger abzuwählen – erhoffte man sich Korrekturen einer als chaotisch empfundenen ökonomischen Liberalisierung.
In dieser Situation kam es zu einer Veranstaltung des Menschenrechtsverbandes LADH mit 500 Intellektuellen. Sie verabschiedeten einen Rapport, betitelt „Die Lücken und die Fälschungen der Informationsmedien“, der auch von Moudjahid publiziert wurde. Seit das Blatt objektiv berichtete, stieg die Auflage auf 300.000 Exemplare. Sie konnte schon um acht Uhr morgens vergriffen sein. Am 23. November 1988 erklärte der neue Justizminister Ali Benflis, der zu den Gründern der LAHD gehört hatte, dass er die Staatsanwaltschaft angewiesen habe, „alle Foltervorkommnisse vor Gericht zu bringen und nach Recht und Gesetz zu verhandeln“.
Es bleibt als Fazit dieser bewegten Monate, dass sich die Presse selbst zur objektiven Berichterstattung ermächtigte und so eine innere Demokratisierung befeuerte. Im Februar 1989 wurde durch die neue Verfassung ein plurales politisches System festgeschrieben, doch fehlten zunächst die Gesetze, um die Presse- und Meinungsfreiheit gegen alle Angriffe zu sichern. Im Oktober 1989 dann gab es dazu eine Nationalkonferenz des Mouvement des Journalistes Algériens. Dort wurde beklagt, dass sich die Bürger noch immer eher über ausländische Medien als die eigenen informierten. Der Mangel an Demokratie und „der Mangel an Professionalität“ führten dazu, dass Algerien „stark vom Weltsystem der Information dominiert“ werde.
Ende Dezember 1989 kamen gut 50 Journalisten zu einem Sit-in am Platz Emir Abdelkader ins Zentrum von Algier und entrollten ihre Plakate mit Inschriften wie: „Keine Zensur mehr!“, „Für die freie Ausübung unseres Berufs“, „Gegen Folter und Unterdrückung“ und „Für demokratische Freiheiten“. Das Meeting wurde gewaltsam gesprengt. Allerdings wussten die Mächtigen, dass der Befreiungselan der Medien, dem auch die Bevölkerung viel abgewinnen konnte, nicht mehr auszubremsen war.
Es dauert bis zum 19. März 1990, dass die Regierung die Gründung von privaten Presseverlagen genehmigt und Journalisten, die Staatsmedien den Rücken kehren, sogar eine materielle Starthilfe gewährt. Das am 3. April verabschiedete Pressegesetz autorisiert die Herausgabe von Druckerzeugnissen aller Art ohne Vorzensur des Innenministeriums. Die Regierenden legen es fortan darauf an, die nunmehr legalisierten Kraftfelder, zu denen auch das islamistische zählt, gegeneinander in Stellung zu bringen. Wenn der Zivilgesellschaft freie Kommunikationsorgane zugestanden werden, dann auch mit diesem Kalkül. Andererseits unterscheidet das Anliegen, die nationale Unabhängigkeit im Mediensektor zu verteidigen, Algerien von den Transformationsstaaten Osteuropas, die sich 1990/91 internationalen Medienkonzernen öffnen. In Algier und Oran entsteht eine mächtige private Presse, die nicht daran denkt, den Markt mit externen Pressemagnaten zu teilen.
Bis heute gilt die vor drei Jahrzehnten durchgesetzte Pressefreiheit nur für gedruckte Erzeugnisse. Audiovisuelle Medien benötigen die Autorisierung eines Hohen Informationsrats, was sie eng an die Regierung bindet und notfalls ins Unpolitische drängt.
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