Alexandra Kollontai: Als die Sowjetunion vor 100 Jahren das Patriarchat kurz abschaffte

Zeitgeschichte In einem Erzählband bricht die Bolschewikin Alexandra Kollontai 1924 mit der Illusion, dass Emanzipation mehr Liebesglück garantiert
Exklusiv für Abonnent:innen | Ausgabe 23/2022
Sexuelles Experimentieren für Jung und Alt: Alexandra Kollontai (1920)
Sexuelles Experimentieren für Jung und Alt: Alexandra Kollontai (1920)

Foto: Itar-Tass/Imago Images

Rätselhaft ist, weshalb gerade die russische Intelligenz im 19. Jahrhundert eine starke literarische Kritik der patriarchalen Ehe entwickelte. Ein Phänomen, das sich nicht darauf beschränkte, Sexualität von traditioneller Moral zu befreien. Das berühmteste Zeugnis lieferte 1863 der auf persönlichen Erfahrungen beruhende Roman Was tun von Nikolai Gawrilowitsch Tschernyschewski. Ein Kultbuch, dessen Titel Wladimir Iljitsch Lenin 1902 für eine politische Schrift übernahm. Tschernyschewski hatte klargestellt, die Frau müsse nicht nur das patriarchale Joch loswerden, sondern zugleich in die „vita activa“ eintreten. Nur als geistig und materiell selbstständige Person könne sie ein selbstbestimmtes erotisches Leben führen, da