Es klingt paradox, Algerien erlebte trotz des Bürgerkriegs in den 1990er Jahren ein Ausmaß an Pressefreiheit, wie zuvor und danach nicht mehr. Die gegen islamistische Gotteskrieger kämpfenden Militärs, die das Land faktisch führten, hatten verstanden, dass die Republik nur zu retten war mit einer politisch dynamischen und auf unabhängige Kommunikation bedachten Zivilgesellschaft. Repressionen gegen Journalisten gab es nur, wenn sie Informationen veröffentlichten, die militärischer Geheimhaltung unterlagen.
Dann aber wurde in der von Präsident Abdelaziz Bouteflika geprägten Zeit der Tatbestand „Persönlichkeitsbeleidigung“erfunden, um Journalisten juristisch belangen zu können. Die Medien lernten damit umzugehen, zumal der Staatschef, gesundheitlich schwer angeschlagen, die über ihn veröffentlichten Karikaturen kaum noch wahrnahm. Und was Bouteflika nicht verbot, konnten andere Politiker schlecht ahnden.
Im Vorfeld eines fünften Mandats für diesen Präsidenten lief die unabhängige Presse, mittlerweile ergänzt durch private Videokanäle, zu Hochform auf. Sie war es, die im Februar 2019 die Bevölkerung zum „Hirak“ ermutigte, was bedeutete, jeden Freitag im ganzen Land friedlich zu demonstrieren. Obwohl Bouteflika bald abdankte, wurden die Protestmärsche fortgesetzt. Es ging nicht nur um den obersten Repräsentanten der führenden Clans, die vom neoliberalen Umbau der Wirtschaft profitierten, sondern um mehr Bürgerrechte – bis die Corona-Pandemie dem ein bedauerliches Ende setzte.
Kleptokratie unter Kontrolle
Obwohl der „gesegnete Hirak“ in der Präambel der vom neuen Präsidenten Abdelmadjid Tebboune auf den Weg gebrachten Verfassung stand, fühlten sich die „Hirakisten“ zusehends betrogen. Zwar kam es zu Prozessen, bei denen ehemalige Politiker – auch Ministerpräsidenten und Wirtschaftsmagnaten zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt wurden. Aber Institutionen, die mehr Transparenz und Bürgerbeteiligung ermöglichten, entstanden nicht. Schlimmer, viele Aktivisten des Hirak kamen in Haft, ein besonders spektakulärer Fall war der von Rachid Nekkaz, ein in Frankreich geborener Unternehmer, der seine französische Staatsbürgerschaft aufgab, um 2014 und 2019 als Präsidentschaftskandidat antreten zu können.
Als Wahlkämpfer war er zu Fuß unterwegs, was ihm viel Popularität verschaffte. Er wollte nicht nur die Kleptokratie unter Kontrolle bringen, auch die mit ihr durch Korruption verfilzten ausländischen Gesellschaften sollten sich nicht mehr an den Ressourcen des Landes bereichern. Die fundamentale Rolle der Armee stellte Nekkaz nicht infrage, verlangte aber, dass sie sich auf ihren Verfassungsauftrag beschränke. Im „Hirak“ trat er gegen das Verbot der kabylischen Flagge auf und provozierte, indem er metaphorisch zum „Abschuss“ von Abgeordneten aufrief, die für ein neues Bodenschatzgesetz stimmten. Ausgeschlossen von der Präsidentenwahl, plädierte er für deren Boykott. Auch der ihn unterstützende Journalist Khaled Drareni wurde verhaftet. Von 90 Anwälten kostenlos verteidigt, kamen beide nach vielen Monaten frei.
Drareni nahm die Moderation der Internetplattform Le Petit Café du Grand Maghreb wieder auf, einem wichtigen Medium zivilgesellschaftlicher Kommunikation. Ihr Direktor Ihsan El Kadi führte noch kritische Debatten mit Wirtschaftsexperten und Politikern, nachdem er im März 2022 u. a. angeklagt wurde, Kontakte zu „kabylischen Terroristen“ zu pflegen.Das wurde fallengelassen, verurteilt wurde er im Februar trotzdem, weil die Plattform Gelder aus dem Ausland erhielt. El Kadis Rolle übernahm daraufhin Amira Bouraoui, eine prominente Aktivistin des „Hirak“. Als auch ihr Verhaftung drohte, floh sie mit dem Pass ihrer Mutter nach Tunesien und von dort nach Frankreich. Le Petit Café du Grand Maghreb wurde geschlossen.
Gezähmte Redaktionen
Bei der Zeitung Liberté,einem Flaggschiff des kritischen Journalismus, war das nicht nötig, da sich Ende 2022 ein Konkurs nicht mehr abwenden ließ. Dem konnte El Watan entgehen. Einen lang verweigerten Kredit bekam die verschlankte Redaktion, indem sie sich zu einer deutlich zahmeren Berichterstattung drängen ließ. Immerhin rief das Blatt am 3. Mai, dem Internationalen Tag der Pressefreiheit, zur Solidarität mit Journalisten in Haft auf – mit Mouloud Mouloudj, Merzoug Touati, Hassan Bouras, Ihsan El Kadi, Said Boudour, Djamila Loukil. Andere, darunter Drareni, warten auf Gerichtstermine.
Das Instrument zum Verschnitt der Pressefreiheit ist die Agence Nationale d`Édition et de Publicité (ANEP), die über Anzeigen aus dem größten, dem staatlichen Wirtschaftssektors entscheidet. Dass die ANEP staatsnahe Medien bevorzugt, liegt auf der Hand. Doch dürfte sie sich dessen bewusst sein, dass Journalismus in Algerien schon während des Einparteiensystem der Staatspartei FLN nicht domestiziert werden konnte. Dass zwei ehemalige ANEP-Direktoren kürzlich wegen Korruption verhaftet wurden, zeigt, dass man nicht angreifbar sein will.
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