Annexionsangebote

Israel Beim Gipfel in Jerusalem ist die Zwei-Staaten-Lösung nicht weiter von Interesse
Ausgabe 41/2018
Anwohner protestieren in der Nähe der Siedlung Khan-al-Ahmar gegen die geplante Zwangsräumung
Anwohner protestieren in der Nähe der Siedlung Khan-al-Ahmar gegen die geplante Zwangsräumung

Foto: Ahmad Gharabli/AFP/Getty Images

Ganz außen vor blieb beim turnusmäßigen Treffen zwischen Kanzlerin Merkel und Premierminister Netanjahu deutsche Kritik an der israelischen Siedlungspolitik nicht. Merkel hatte sich ausbedungen, dass die im Mai vom Obersten Gericht Israels für Recht befundene und auf den 30. September festgelegte Räumung des Beduinendorfs Khan-al-Ahmar weder vor noch während der Konsultationen stattfinden solle. Was prompt zugesagt wurde. Am 30. September hatten Tausende – sowohl israelische Friedensaktivisten als auch Angehörige ausländischer Botschaften – in der Nähe von Khan-al-Ahmar gegen die vorgesehene Zwangsräumung protestiert. Am 2. Oktober fluteten Bewohner der nahe gelegenen jüdischen Siedlung Kfar Adumin die Beduinensiedlung mit Abwässern.

Weshalb so viel Gewese um eine schäbige, nur aus armseligen Wellblechhütten bestehende Ortschaft, in der knapp 180 Menschen samt ihren Tieren leben? Warum nicht? Immerhin ist Khan-al-Ahmar schon bei einer Volkszählung von 1931 als Beduinenstützpunkt erwähnt worden. Historische Fotos belegen, dass es dort zu jener Zeit eine ummauerte Schutzzone für die Nomaden gab. Damit die heutigen Bewohner eine Schule für ihre Kinder errichten konnten, hat die Europäische Union finanziellen Beistand geleistet. Das geschah, so israelische Gerichte, ohne Baugenehmigung, war also illegal. Gesagt werden muss, dass Beduinen in diesem Gebiet generell keine Erlaubnis für neue Gebäude erhalten – die Region soll der jüdischen Bevölkerung vorbehalten bleiben.

Die Palästinenser haben die Vertreibung als Unrecht angeprangert, sie ein „Kriegsverbrechen“ und „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ genannt. Diesem Aufbegehren angeschlossen haben sich die Vereinten Nationen, die Liga für Menschenrechte und Amnesty International. Sie taten dies unter Verweis auf die strategische Lage der Siedlung. Diese liegt zwischen Ostjerusalem wie dem Osten der Westbank und verbindet deren Norden und Süden. Würde Khan-al-Ahmar verschwinden, wäre das ein weiterer Schlag gegen die von den meisten Staaten, inklusive Deutschland und Israel, offiziell noch immer favorisierte Zwei-Staaten-Lösung. Ein kommunizierendes, existenzfähiges Staatsgebiet der Palästinenser in der Westbank hätte sich erledigt.

Den Bewohnern von Khan-al-Ahmar wurden neue Behausungen an einem anderen Ort zugesagt. Dahinter steckt eine Politik, die den Palästinensern verspricht, ihre Lebensumstände zu verbessern, sofern sie sich Verfügungen der israelischen Regierung beugen. Dazu gehören nicht zuletzt die mit dem Nationalitätengesetz legalisierten Zwangsumsiedlungen. Eine andere Facette jener Politik wird mit dem Angebot offenbar, den Bildungsetat in Ostjerusalem zu erhöhen, wenn in dortigen Schulen mit israelischen Lehrbüchern unterrichtet wird. Eine faktische Annexion sowie das Assimilationsangebot an die Palästinenser der Westbank als Bürger zweiter Klasse sind klar zu erkennen.

Immer illusorischer

Mustafa Barguthi, Generalsekretär der säkular ausgerichteten Palästinensischen Nationalen Initiative, die Teil der PLO ist, hat kürzlich als Gast der Friedrich-Ebert- Stiftung in Berlin auf die Bedeutung der Räumung von Khan-al-Ahmar aufmerksam gemacht. Dadurch werde eine Zwei-Staaten-Lösung immer illusorischer. Weil man das nicht leugnen könne, sei die PLO mittlerweile bereit, neben der bisherigen Variante ebenso über eine Ein-Staaten-Lösung zu verhandeln. Eines jedoch, so Barguthi, sei niemals verhandelbar: die Festschreibung eines Zustands, bei dem Juden und Palästinenser nicht gleichberechtigt seien.

Am 4. Oktober 2018 wurde unter Anwesenheit etlicher deutscher Minister beim Gipfel im King David Hotel von Jerusalem vereinbart, bei Technologie und Innovation enger zu kooperieren. „Wir sind zwei außerordentliche Volkswirtschaften“, so Benjamin Netanjahu. Werden die Wirtschaftsbeziehungen zwischen beiden Staaten enger, heißt das auch, in Berlin wird auf jeglichen Druck hinsichtlich der Zwei-Staaten-Lösung verzichtet. Ob das gleichfalls für den Versuch gilt, das Atomabkommen mit Iran zu retten, das die Regierung Netanjahu ebenso ablehnt wie ein faires Arrangement mit den Palästinensern, steht in den Sternen.

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