Aufteilung der Kampfzone

Nahost Immer mehr Länder werden von Dschihadisten in ihrer Existenz bedroht. Davon könnten aber die Vereinigten Staaten profitieren
Ausgabe 25/2014

Es gibt viele Menschen, die nicht verstehen können, weshalb das militärische Eingreifen des Westens, das doch angeblich nur auf demokratische und rechtsstaatliche Verhältnisse zielt, immer wieder das genaue Gegenteil hervorbringt – wie jetzt im Irak. Eine Erklärung dafür kann man bereits beim italienischen Staatsphilosophen Niccolò dei Machiavelli (1469 – 1527)nachlesen. Er warnt den Fürsten davor, eine moderne Republik zu errichten und sich dabei auf temporäre „Hilfstruppen“ zu verlassen, die nicht dasselbe Ziel verfolgen. Man werde, so Machiavelli, früher oder später die Kontrolle über sie verlieren. Sie würden sich gegen den Fürsten erheben, ihm schwere Rückschläge zufügen und schlimmstenfalls alles zunichte machen, was scheinbar erreicht wurde

Als Beispiel steht uns schon seit Jahrzehnten das schreckliche Beispiel Afghanistans vor Augen. Dem Irak ist es nach dem Abzug der letzten US-Truppen vor knapp drei Jahren nicht besser ergangen. Dass die westlichen Blütenträume nicht in Erfüllung gehen, liegt auch an der in der Öffentlichkeit immer noch zu wenig beachteten Rolle, die Saudi-Arabien und neuerdings auch das Scheichtum Katar spielen. Wahrscheinlich fühlen sich beide Mächte bereits als Hauptakteure auf den Schlachtfeldern in Nahost. In ihrem Verständnis dürfte der Westen zur Hilfstruppe bei ihrem Griff nach der Hegemonie im islamischen Raum geschrumpft sein. Man braucht den Westen zwar noch als Zulieferer von Waffen. Aber im Kampf gegen das säkulare Syrien und den schiitisch geführten Irak soll er nur noch Zuschauer sein. Denn was kann ein einziger Flugzeugträger ausrichten, den das Pentagon ins östliche Mittelmeer schickt, gegen die geschätzten 10.000 bis 15.000 sunnitischen Dschihadisten der ISIL, der vor Bagdad stehenden Streitmacht für einen Islamischen Staat im Irak und in der Levante, wozu Syrien, der Libanon, Jordanien, aber auch Palästina und Israel sowie Teile Ägyptens gerechnet werden? Zwar kann die USS George H. W. Bush als Basis für den Start von Bombenflugzeugen dienen. Aber die ISIL wird sich besonders in den Städten hinter vielen menschlichen Schutzschilden verschanzen.

Das unselige Spiel mit den „Hilfstruppen“ zwingt den Westen zu immer neuen Allianzen, die man als Normalbürger nur schwer nachvollziehen kann. Schon wird öffentlich verkündet, dass Irans Präsident Hassan Rouhani auf einen Schulterschluss mit den USA zählen kann, wenn ein sunnitischer Gottesstaat im Irak nicht mehr anders abgewendet werden kann. Womöglich werden die Amerikaner bald sogar auf Syriens Staatschef Baschar al-Assad zugehen.

Aber ist der Fürst denn wirklich so dumm? Haben sich die Vereinigten Staaten tatsächlich bewusst in eine solche Situation hineinmanövriert? Könnte es nicht sein, dass das eigentliche Ziel nicht Frieden und Demokratie sind, sondern einfach nur die Zerschlagung wenig willfähriger Großstaaten im arabischen Raum? Die amerikanische Kurdenpolitik lässt das schon lange vermuten. Und schließlich kommt man an Rohstoffe besser heran, wenn man darüber nur mit Stammesfürsten verhandeln muss. Ganz ähnlich denken auch die Franzosen, die in Mali eine ebenso doppelbödige Politik verfolgen. Offiziell diente ihre Intervention im Januar 2013 dazu, die territoriale Integrität des dortigen Nationalstaates zu retten und islamistische Eroberer zurückzudrängen. In Wirklichkeit unterstützt Frankreich auch das Volk der Tuareg in seinem Bemühen um Selbstbestimmung und einen Separatstaat. Schon jetzt ist klar: Solange für die Lizenz zum Abbau solcher Bodenschätze wie Uran in Bamako nachgefragt wird, bleiben diese Ressourcen wohlverwahrt im Leib von Mutter Erde. Gefördert werden kann im Norden Malis nur mit Einverständnis der Tuareg.

An dieser Stelle lässt sich auch ein Bogen zur Ukraine schlagen. An deren Aufteilung scheint Washington ebenso ein Interesse zu haben wie Moskau. Also erscheint es keineswegs abwegig, diesen Konflikt als Stellvertreterkrieg zwischen imperialistischen Staaten zu sehen. Angesichts des auch hier anschwellenden Blutvergießens kann man nur noch beten: Völker – hört endlich die Signale. Und verweigert das angeblich letzte Gefecht!

Hört vor allem nicht auf den deutschen Bundespräsidenten Joachim Gauck, der in urprotestantischer Tradition des „Augsburger Bekenntnisses“ von Philipp Melanchthon aus dem Jahr 1530 das deutsche Volk zu den Waffen gerufen hat. Im Evangelischen Gesangbuch heißt es da im Artikel 15 unter anderem, „daß alle Obrigkeit in der Welt und geordnete Regimente und Gesetze gute Ordnung, von Gott geschaffen und eingesetzt sind, und daß Christen mögen in Obrigkeit, Fürsten- und Richter-Amt ohne Sünde sein, nach kaiserlichen, und anderen üblichen Rechten Urteil und Recht sprechen, Übeltäter mit dem Schwert strafen, rechte Kriege führen, streiten, kaufen und verkaufen, auferlegte Eide tun, Eigenes haben, ehelich sein ...“

Demnach stehen sich christlicher und islamischer Fundamentalismus näher als der Normalmensch vielleicht denkt, und wir können ohne Weiteres an der Seite von Islamisten in den Krieg ziehen. Will heißen: an der Seite der bereits großzügig mit Waffen belieferten Saudi-Arabien und Katar. Wenn auch keiner mehr sagen kann, wozu das gut sein soll. Wohlgemerkt: Wir können. Aber wir müssen nicht.

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