Befremdet

Islam In deutschen Moscheen wird freitags nicht Hass, aber Abgrenzung gepredigt
Ausgabe 14/2017

Dass die Radikalisierung muslimischer Jugendlicher oft durch „Hassprediger“ erfolgt, ist ein Allgemeinplatz, dem der TV-Journalist Constantin Schreiber nachgespürt hat. Im letzten Jahr besuchte Schreiber unangemeldet, aber als nichtmuslimischer Besucher erkennbar, Freitagspredigten in zwölf sunnitischen und einer schiitischen Moschee in Berlin, Hamburg, Karlsruhe und Potsdam. Er wollte wissen, inwieweit Moscheen „politische Zonen“ sind, wie die Imame über Deutschland sprechen und ob sie einen Beitrag zur Integration leisten. Das ernüchterte Fazit und die aus dem Arabischen und Türkischen übersetzten Predigten liegen jetzt mit Inside Islam: Was in Deutschlands Moscheen gepredigt wird vor. Aus den Recherchen ist überdies eine dreiteilige TV-Reihe entstanden. Der Moscheereport läuft montags um 21.15 Uhr auf Tagesschau24, (oder kann über die Mediathek abgerufen werden).

Um zu verdeutlichen, inwieweit die Freitagspredigten auf aktuelle politische Ereignisse eingehen, fasste Schreiber diese jeweils vor der Wiedergabe der Predigten zusammen. Verstörend ist: Aktuelle Bezüge kommen kaum oder nur vernebelt vor. Viele Predigten wirken wie aus der Zeit gefallen, einen Beitrag zur Integration von Muslimen leisten sie nicht. Immerhin betonen die Imame kontinuierlich, dass Muslime hiesiges Recht befolgen und, wenn sie deutsche Staatsbürger sind, vom Wahlrecht Gebrauch machen sollen.

Koran und Sunne

Die Freitagsprediger führen einen Kulturkampf, der das Denken und Fühlen ihrer Zuhörerschaft engstens an einen konservativen Islam bindet. Für die Sunniten sind der Koran und die Sunna relevant, die vom Propheten überlieferten außerkoranischen Sprüche und Handlungen, für die Schiiten der Koran und die Überlieferungen der „Weisheit der Familie des Propheten“, womit das Wirken von dessen direkten Nachkommen gemeint ist, die von den Omaijaden massakriert wurden. Anderen kulturellen Einflüssen sollen Muslime strikt aus dem Weg gehen.

In arabisch-sunnitischen Moscheen werden die Muslime ganz in die archaische Welt des frühen Islam versetzt und zum Beispiel die Regeln der Armensteuer anhand damaliger Reichtümer wie Datteln, Oliven und Kamelen erläutert. Extremer Dogmatismus offenbart sich darin, dass einerseits die Verweigerung der Armensteuer mit der Hölle bestraft würde, andererseits der Prophet von modernen Maschinen nicht gesprochen habe und deshalb heute auf diese auch keine Armensteuer erhoben werden könne. Wohl aber seien freiwillige Spenden willkommen.

In türkisch-sunnitischen Moscheen, die vom türkischen Staat finanziert und instruiert werden, wird deutlicher politisiert, indem die Predigt beispielsweise gegen die PKK und die Gülen-Anhänger Stellung nimmt. Auf Geschehnisse in Deutschland wird auch hier wenig eingegangen. Der Anschlag von Anis Amri auf den Berliner Weihnachtsmarkt wird nur indirekt und auf abstruse Weise angesprochen: In einem Staat, in dem die Scharia herrscht, könnten Mörder mit dem Tod bestraft werden. Da man aber in einem solchen Staat nicht lebe, obliege die Bestrafung von Mord nur Gott allein. Die Zuhörer sollen schlussfolgern, dass Amris Absicht, muslimische Opfer westlicher Interventionen hier in Deutschland zu rächen, illegitim war.

Dieselbe Predigt warnt ausdrücklich sowohl vor der „Weihnachtsgefahr“ als auch vor dem Mitfeiern an Silvester. Im Hof einer türkisch-schiitischen Moschee hängt dagegen ein Transparent mit einem Koranvers, der festhält, dass Jesus für den Islam ein rechtgeleiteter Prophet ist. Hauptsächlich geht es auch in dieser Moschee um Abgrenzung: Demokratie, Humanismus, Laizismus und Liberalismus seien ebenso unislamisch wie der saudische Wahhabismus und der Salafismus.

Beim Versuch, von deutschen Behörden zuverlässige Angaben über Zahl und Einschätzung von Moscheen zu erhalten, stößt Schreiber nur auf Vermutungen. Dennoch nehmen die Moscheen wohl an, unter Beobachtung zu stehen und vermeiden strafbare Volten in den Predigten. Die Radikalisierung von Attentätern erfolgt also nicht auf diesem Wege. Schneiders Reportage zeigt, dass die am Freitagmittag abgehaltenen Predigten nicht nur in großzügigen Sakralbauten, sondern auch in Hinterhofmoscheen, die oft schwer auffindbar sind, stark besucht werden, oft von über tausend Menschen, darunter auch Kinder, die zu dieser Zeit in der Schule sein müssten. Die Freitagspredigten werden offenbar nicht nur zur frommer Einkehr genutzt, sondern auch um Bekannte zu treffen oder kennenzulernen. Besonders in türkischen Moscheen, wo die vielen arabischen Zitate unverständlich sind, wird auch geschwatzt oder mit dem Handy gespielt. Die erstaunlich vielen jungen Erwachsenen sind nicht nur Flüchtlinge, die seit dem Sommer 2015 nach Deutschland kamen, darunter Syrer, die überrascht waren von der konservativen Ausrichtung, sondern auch Angehörige der zweiten und dritten Generation hier lebender Muslime. Die Eltern waren manchmal keine Moscheegänger mehr. In der Eyüp-Sultan-Moschee in Leipzig wurden nicht nur die Eltern ermahnt, ihre Kinder zu guten Muslimen zu erziehen, sondern auch Jugendliche aufgefordert, ihre Eltern zur Rechenschaft zu ziehen, wenn sie sich zu wenig für ihre muslimische Erziehung eingesetzt hatten.

De-Integration auf Arabisch

Der starke Zulauf der Moscheen verweist auch darauf, dass Muslimen und Musliminnen von unserer Seite zu wenig attraktive Angebote in den Bereichen von Bildung und Kultur gemacht werden.

Als Jugendlicher verbrachte Constantin Schreiber längere Zeit in Syrien, wo er fließend Arabisch lernte. 2006 arbeitete er als Reporter für eine libanesische Zeitung. Seit 2012 berichtet Schreiber aus dem Mittleren und Nahen Osten. 2016 wurde er für die Moderation der deutsch-arabischen Sendung Marhaba – Ankommen in Deutschland mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet. In der Reihe erklärt er auf Arabisch mit deutschen Untertiteln hiesige Gesetze, Weltanschauungen und Bräuche. Mit seinem beunruhigten Report hat Schreiber einen wichtige Debatte über die problematische Seite des Islam angestoßen: seine Abschottung von der westlichen Welt.

Info

Inside Islam: Was in Deutschlands Moscheen gepredigt wird Constantin Schreiber Ullstein 2017, 256 S., 18 €

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Verändern Sie mit guten Argumenten die Welt. Testen Sie den Freitag in Ihrem bevorzugten Format — kostenlos.

Print

Die wichtigsten Seiten zum Weltgeschehen auf Papier: Holen Sie sich den Freitag jede Woche nach Hause.

Jetzt kostenlos testen

Digital

Ohne Limits auf dem Gerät Ihrer Wahl: Entdecken Sie Freitag+ auf unserer Website und lesen Sie jede Ausgabe als E-Paper.

Jetzt kostenlos testen

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden