Blinder Fleck

Erinnerungskultur An die Gewalt, die mit dem Ende der Novemberrevolution vor 100 Jahren einherging, wird kaum erinnert – dafür gibt es Gründe
Ausgabe 01/2019
Ein Versuch der Revolution, der blutig endete
Ein Versuch der Revolution, der blutig endete

Foto: Hulton Archive/Getty Images

Die größte Dummheit der Revolutionäre war es, dass sie uns alle am Leben ließen. Komme ich mal wieder zur Macht, dann gibt’s kein Pardon“, schrieb Erich Ludendorff, Generalquartiermeister Wilhelms II., an seine Frau. „Mit ruhigem Gewissen würde ich Ebert, Scheidemann und Genossen aufknüpfen ...!“ Tatsächlich begann die Novemberrevolution vor 100 Jahren fast gewaltfrei. Die kriegsmüden Soldaten meinten, dass Befehlsverweigerung und das Abreißen der Rangzeichen, wobei manche Offiziere freilich verprügelt werden mussten, genüge. Der Kaiser war gestürzt, die Sozialdemokraten regierten, doch lag in großen und vielen kleinen Städten die Macht bei Arbeiter- und Soldatenräten. Verhaftet wurde kein Beamter, kurz nach dem 9. November 1918 waren alle wieder an ihrem Platz. Die Räte kamen allenfalls vorbei, um etwas zu kontrollieren. Da sie die ausgehungerte Mehrheit in den Städten hinter sich wussten, glaubten sie sich unbesiegbar.

Das schien der 24. Dezember 1918 zu bestätigen, als die im Berliner Schloss und Marstall residierende Volksmarinedivision – angefeuert von Tausenden, aus den Arbeitervierteln zuströmenden Zivilisten – einen ersten schweren Angriff abschmetterte. Es gab 300 Tote.

Ebert und Scheidemann mussten gar nicht aufgeknüpft werden. Zu viele der Revolutionäre ahnten nicht, dass sie mit der Obersten Heeresleitung kollaborierten. Zunächst gelang es nicht, das alte kaiserliche Heer gegen die Revolution in Stellung zu bringen, da zu viele der Frontsoldaten befehlswidrig zu ihren Familien zurückkehrten. An Sammelpunkten vor Berlin warb man daher Freiwillige und mobilisierte reguläre Truppen, während Ebert in Scheinverhandlungen mit den revolutionären Organen Zeit gewann. Unter seinem Befehl wurden in Berlin bis zum 12. Januar 1919 von den Räten besetzte Gebäude zurückerobert und Arbeiterviertel durchgekämmt, wobei Hunderte erschossen, teilweise gelyncht wurden. Im Unterschied zu den Bolschewiki besaßen die deutschen Revolutionäre keine durch illegalen Kampf gestählte zentrale Koordination. Entgegen späteren Legenden führten weder die KPD noch Karl Liebknecht noch Rosa Luxemburg den Januaraufstand 1919. Die beiden wurden am 15. Januar ermordet, in Artikeln in der Roten Fahne hatten sie den Verrat der Regierung Ebert und die heranrückende Gegenrevolution klar dargestellt.

Nun war der Weg für die Freikorps frei, um systematisch, Stadt für Stadt, die Räte zu zermalmen. Obwohl Massaker am eigenen Volks zu den abscheulichsten Verbrechen gezählt werden, hat der Blutrausch der deutschen Gegenrevolution kaum Spuren im kollektiven Gedächtnis und in Geschichtsbüchern hinterlassen. Sebastian Haffner hatte eine Erklärung: Alle Beteiligten hätten sich der Rolle, die sie spielten, geschämt. Die Revolutionäre schämten sich ihres unkoordinierten Vorgehens, dem kein „großartiger Untergang“ ,sondern „tausendfaches anonymes Leiden und Sterben“ folgte. Deren Gegner hätten sich geschämt, weil sie ihren Sieg in der „seltsamen Koalition“ von Sozialdemokraten und frühen Nazis errangen. Erstere hätten nicht zugeben wollen, dass sie „die Vorgänger und Vorbilder der späteren SA und SS rekrutierten und (…) auf ihre eigenen Leute losließen“. Und die späteren Nazis wollten nicht zugeben, dass sie „unter sozialdemokratischem Patronat Blut lecken lernten. Wessen alle Beteiligten sich schämen, das wird von der Geschichte gern totgeschwiegen.“

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