Boualem Sansal auf Französisch

Image Die Bücher des Friedenspreisträgers 2011 sind in der algerischen Heimat „verboten“, heißt es in der deutschen Presse. Aber stimmt das überhaupt?

Wer Boualem Sansals Dankesrede für die Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels hörte, konnte den Eindruck gewinnen, dass der bescheiden auftretende Algerier nicht nur als ein in seinem Land kämpfender Intellektueller geehrt wurde, sondern dass mit ihm auch der Prototyp des universell engagierten Autors ins Rampenlicht zurückgekehrt sei.

Der 62-jährige Sansal feierte die arabischen Revolutionen als „kopernikanische Wende“ der Weltpolitik. Deutlich werde, dass die Menschheit nicht nur Diktatoren und Extremisten ablehne, sondern das „Diktat des Marktes“ ebenso wie „den erstickenden Zugriff der Religion“ und den „feigen Zynismus der Realpolitik“. Als Algerier ist er gut berufen zu mahnen, dass es mit dem Verjagen von Diktatoren und formalen demokratischen Institutionen, wie sie sein Land seit der Jugendrevolte von 1988 eingeführt hat, nicht getan sein wird.

In seinen Romanen und Essays hat er immer wieder die furchtbaren Folgen des Ende 1991 formaldemokratisch errungenen Wahlsiegs der Islamisten aufgedeckt. Er war das Ergebnis eines Pakts, den die alten Herrschenden mit den islamischen Populisten geschlossen hatten. Und er führte zu einem bis heute nicht wirklich beendeten blutigen Bürgerkrieg, in dem es vor allem deshalb Hunderttausende Opfer gab, weil die Fronten unklar blieben. Islamisten und Staat, die sich scheinbar gegenüberstanden, bekämpften in Wirklichkeit gemeinsam die Menschen, die für eine echte Demokratisierung eintraten.

Was „El Watan“ sagt

Indem bislang weder die für Massenmorde verantwortlichen islamistischen Emire noch die folternden Generäle angeklagt wurden, sondern diese – erneut gemeinsam – in führende Positionen der mehr und mehr neoliberal organisierten Wirtschaft gelangen konnten, wurde ein Frieden hergestellt, den Sansal wie viele andere Algerier für äußerst wacklig hält. Denn er beruht auf dem Vertuschen von Verbrechen, über die in Wirklichkeit jeder Bescheid weiß. Im Ergebnis weiten sich individuelle und kollektive Neurosen aus und erzeugen neue Gewalt.

Dass das Aufdecken von Lügen und das offene Bekenntnis zur Schuld eher zur gesellschaftlichen Heilung führten, wollte sein 2009 auf Deutsch erschienener, auch hierzulande viel beachteter Roman Das Dorf des Deutschen zeigen. Hier erforschen zwei Söhne nach dem Tod ihres deutschen Vaters dessen Mitverantwortung an Entwicklung und Einsatz von Zyklon B für die Vernichtung der Juden in deutschen Konzentrationslagern. Der SS-Mann Hans Schiller hatte sich der Gerichtsbarkeit entzogen und im Ägypten König Faruks Unterschlupf gefunden. Nassers Geheimdienste vermittelten ihn als Militärausbilder an die Revolutionäre in Algerien, wo er den Rest seines Lebens ruhig und geehrt verbrachte. Dass einer der Söhne die Verbrechen des Vaters mit dem eigenen Selbstmord durch das Einatmen von Autogasen sühnt, macht die Fabel nicht zu den überzeugendsten des wortgewaltigen Autors. Aber Das Dorf des Deutschen zeigt einen Moralisten, der bekennt, dass er sich die Radikalität von Albert Camus zum Vorbild nimmt.

Um jenen Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen, die ihn wegen dieses Romans einer allzu freundlichen Haltung zum Judenstaat verdächtigen, betonte Sansal in seiner Friedenspreis-Rede am vergangenen Sonntag in der Frankfurter Paulskirche, dass er den Vorstoß der Palästinenser für eine Vollmitgliedschaft in der UNO begrüße, obgleich sein vorläufiges Scheitern schon im Vorfeld klar gewesen sei.

Weil die Palästinenser aber zum „ersten Mal seit 60 Jahren … nur aus eigenem Willen gehandelt“ und sich weder durch „arabische Diktatoren“ noch die „arabische Liga“ noch von „irgendeinem geheimnisvollen Mufti aus einem islamistischen Hinterzimmer“ vertreten ließen, sei er überzeugt, dass sich „Palästinenser und Israelis im Zeichen der gleichen Wut“ bald einigen würden.

So weit, so gut, aber leider haben die deutschen Medien allzu kritiklos Werbeformeln für Boualem Sansal übernommen, die sich seine französischen Promoter ausgedacht haben. So konnte man unisono lesen, in Algerien – wo er immer noch seinen Hauptwohnsitz hat – seien seine Romane verboten und verfemt. Am 28. September beklagte Sansal selbst im Berliner Allianz-Forum, dass sich auch die algerische Presse mit ihm nicht beschäftige, noch nicht einmal die bevorstehende Preisverleihung sei angekündigt worden.

Wirtschaftliche Gründe

Deutsche assoziieren da natürlich das lückenlose System von Literaturunterdrückung in der DDR. Damit ist die Situation Sansals in Algerien aber nicht zu vergleichen. Obwohl er schon seine ersten Manuskripte nur dem französischen Großverlag Gallimard anbot, der 1999 Der Schwur der Barbaren und 2001 Das verrückte Kind aus dem hohlen Baum druckte, war seine berufliche Position als Direktor einer Abteilung im algerischen Industrieministerium noch nicht gefährdet. 2003 folgte dann allerdings die Entlassung.

Die Gründe, weshalb algerische Verlage, deren Erzeugnisse seit 1988 keiner staatlichen Vorzensur unterliegen, die Werke eines sprachlich äußerst anspruchsvollen Autors, die sich die interessierte Klientel wahrscheinlich schon in Frankreich gekauft hatte, nicht nachdruckten, sind eher wirtschaftlicher Natur. Nur ein Beispiel: Die politisch sicher noch brisantere, thematisch und sprachlich breiteren Kreisen zugängliche Dokumentation von Mohamed Benchicou Die Kerker von Algier. Der Kampf eines Journalisten, der seine Feder in die Wunde hielt wurde 2007 von Inas Edition in Algier gedruckt und vertrieben.

Die größte frankofone Zeitung Algeriens, El Watan, die in den vorangehenden Jahren gegen Einfuhrverbote von Sansals Büchern protestiert hatte, brachte am 7. April 2007 ein Interview mit der Leiterin des Sedia-Verlags, Radia Abed, die anlässlich des „Jahres der arabischen Kultur in Algerien“ geplant hatte, Sansals 2005 auf Französisch erschienenen Roman Harraga auf Arabisch herauszubringen.

Für dieses Buch wie auch für Malika Mokkedems Meine Männer und Jasmina Khadras Das Attentat – ein Roman über einen palästinensischen Selbstmordanschlag in Israel – war jedoch die staatliche Subvention abgelehnt worden. Die Kosten für die arabische Übersetzung selbst zu tragen, war für den Verlag zu riskant. Die Verweigerung von Subventionen für Bücher ist nun aber keine direkte Zensur, sondern ein weltweites Problem von aufklärerischer Literatur, die sich, wo nur Marktlogik herrscht, eben schwer behaupten kann. Aus dem speziellen Fall wird aber klar, auf welche Art Aufklärer wie Boualem Sansal unter der algerischen Kulturpolitik zu leiden haben: Sie stützt die Islamisten, räumt Konfliktpotenzial aus dem Weg, das deren Hegemonie über die arabofonen Mehrheiten beeinträchtigt, zumal sie ihnen ja auch die gesamte Volksbildung von der Grundschule bis zur Universität überantwortet hat.

Doppelzüngige Machthaber

Der französischsprachigen Elite gesteht sie aber geistige Freiheit zu, soweit sie sie selbst finanziert. So meldete El Watan am 19. Juli 2008, dass Sansals Roman Das Dorf des Deutschen – entgegen Pressemeldungen aus Frankreich – in Algier keineswegs klandestin von Hand zu Hand wandere, sondern offen verkauft würde. Darunter darf man sich freilich nur den Verkauf der französischen Originalausgabe vorstellen, deren Preis auch für den normalen Frankofonen unerschwinglich war. Das ist aber keine staatliche, sondern Marktzensur, wie sie auf dem Buchmarkt weltweit herrscht. Wenn Europäer sie beklagen, sollten sie sie auch in ihren eigenen Ländern analysieren.

El Watan, mit 150.000 Exemplaren immerhin die zweitgrößte Zeitung Algeriens, hat Sansals Fortune mit 27 Artikeln im letzten Jahrzehnt meist wohlwollend verfolgt. Am 10. Juli 2011 wurde die bevorstehende Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels angekündigt mit dem Zitat des Präsidenten des Börsenvereins, Gottfried Honnefelder, dass damit vor allem Sansals „offene Kritik an der politischen und sozialen Situation“ seines Heimatlandes geehrt würde.

Die deutsche Auszeichnung werde besonders mit dem Roman Das Dorf des Deutschen in Verbindung gebracht, das von den Massakern an Juden in den nazistischen Konzentrationslagern handele und auf eine wirkliche Gestalt eines Deutschen in Algerien zurückgehe. Am 29. August wurde Sansals neuer, noch nicht ins Deutsche übersetzter Roman Rue Darwin enthusiastisch rezensiert. Die „reiche und mächtige Sprache des großartigen Erzählers ­charakterisiere „unsere unersättlichen Ungeheuer: die doppelzüngigen Machthaber und diejenigen, die im Namen Allahs morden. Manchmal umschlingen sie einander und werden eins.“

Und die El Watan-Ausgabe vom 17. Oktober brachte mit einem Foto des Autors einen Kommentar zur Verleihung des Preises, der hervorhebt, dass Sansal ihn sich für sein Eintreten für einen demokratischen und friedlichen Wandel Algeriens redlich verdient habe.

Sabine Kebir (geb. 1949) ist Literaturwissenschaftlerin und Spezialistin für algerische Literatur. Von 1977 bis 1988 lebte sie in Algerien

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Die Vielfalt feiern – den Freitag schenken. Bewegte Zeiten fordern weise Geschenke. Mit dem Freitag schenken Sie Ihren Liebsten kluge Stimmen, neue Perspektiven und offene Debatten. Und sparen dabei 30%.

Print

Für 6 oder 12 Monate
inkl. hochwertiger Weihnachtsprämie

Jetzt sichern

Digital

Mit Gutscheinen für
1, 6 oder 12 Monate

Jetzt sichern

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden