Vor einem Monat erlebte Burkina Faso den zweiten Militärputsch in acht Monaten. Gegen Oberstleutnant Paul-Henri Damiba, der am 21. Januar die Macht ergriffen hatte, erhob sich ein Teil seiner eigenen Partei, des Mouvement Patriotique pour la Sauvegarde et la Restauration (MPSR), und des Militärs. Anführer war der 34-jährige Hauptmann Ibrahim Traoré. Auch ein Großteil der Burkinaber war offenbar zu dem Schluss gekommen, dass Damiba seine Versprechen nicht erfüllt hatte, nämlich den von al-Qaida und dem Islamischem Staat (IS) seit Jahren entfachten Terrorismus, der zu zwei Millionen Binnenflüchtlingen (ein Zehntel der Bevölkerung) geführt hat, effektiv zu bekämpfen.
Eine Befreiung der von Islamisten kontrollierten Territorien kam nic
en kam nicht zustande. Auch Damibas Versuche, internationale Hilfen zu diversifizieren, entsprachen nicht den Vorstellungen der Bevölkerung, die seinen Aufstieg zunächst mit Fahnen der Russischen Föderation begrüßt hatte. Ausgerechnet während Damiba mit einer 70-köpfigen Delegation in den USA weilte, wo er um Kredite nachsuchte, kam es am 14. Juni zu einem Massaker. Ein militärisch flankierter Konvoi von 70 Trucks, der die von Islamisten eingekreiste Stadt Djibo mit Lebensmitteln versorgen sollte, wurde angegriffen. An die hundert Menschen kamen ums Leben.Flucht im HelikopterDas Desaster wurde nicht nur Oberstleutnant Damiba angelastet, sondern auch den in Burkina Faso verbliebenen französischen Kontingenten der Mission Barkhane. Ihnen wird kaum anders als im benachbarten Mali bezüglich der Islamisten ein doppeltes Spiel unterstellt. Der Vorwurf lautet, allein die Franzosen seien mit modernen Waffen ausgerüstet, während die afrikanischen Partnerarmeen auf ein unzureichendes eigenes Equipment angewiesen blieben. Wenn Damiba in den Verhandlungen über seine Demission am 1. Oktober freies Geleit und Straffreiheit zugesichert wurde, dann tolerierten das die meisten Burkinaber. Dass er aber, wie der Confidentiel Afrique enthüllte, von einem französischen Hubschrauber mit israelischer Besatzung ins Nachbarland Togo ausgeflogen wurde, gilt als weiterer Beweis seines Verrats.Hauptmann Traorés Machtübernahme war von erheblichen Aufläufen begleitet. Sie nahmen den Charakter von Massendemonstrationen an, bei denen erneut russische Fahnen flatterten. In der Hauptstadt Ouagadougou wurde die französische Botschaft einschließlich des Konsulats gestürmt und verwüstet – sie hat bis heute ihren Betrieb nicht wieder aufgenommen. Beschädigt wurde auch das französische Kulturinstitut in Bobo-Dioulasso, der zweitgrößten Stadt des Landes. Wut und Hass entluden sich.Ob Hauptmann Ibrahim Traoré die Erwartungen der bedrängten Burkinaber erfüllen kann, steht noch in den Sternen. Immerhin berief er bereits einen Konvent der wesentlichen nationalen Gruppen ein, deren Konsultation eine neue Phase der Transition einleitete und ihn – wenig überraschend – bis auf Weiteres zum Interimspräsidenten wählte. Am 21. Oktober legte er den Amtseid ab. In seiner Rede bezog sich Traoré ausdrücklich auf den 1987 ermordeten Präsidenten Thomas Sankara, in dessen Regierungszeit das Land sozial prosperierte. In den Streitkräften verankert, hatte Sankara 1983 die Regierung übernommen und unter der Devise „Vaterland oder Tod, wir werden siegen!“ eine revolutionäre Gesellschaft der Gerechtigkeit zum Ideal erklärt. Er fühlte sich von Kuba und dem Nachbarland Ghana unter dem damaligen Staatschef Jerry Rawlings inspiriert. Am 4. August 1984, dem ersten Jahrestag der Revolution, wurde Obervolta in Burkina Faso – „Land der Unbestechlichen“ – umbenannt. Sankara verhängte, einmalig in Afrika, ein Verbot für die Beschneidung von Frauen und für Polygamie. Sein sozialistischer Kurs ließ Frankreich die Entwicklungshilfe kappen und die Elfenbeinküste zu einem aggressiven Gegner Burkina Fasos werden. Das Ende vom Lied war, dass Sankara am 15. Oktober 1987 durch einen Putsch gestürzt und erschossen wurde. In seinem Namen zu regieren, bedeutet viel. Ob Ibrahim Traoré das vermag, wird sich zeigen. Jedenfalls stieß sein Coup d’Etat besonders in Mali auf Zustimmung. Bamako erwartet, dass sich Burkina Faso nun enger als unter Damiba einer gemeinsamen Politik öffnet und ebenfalls um russische Militärhilfe nachsuchen wird. Die malische Plattform maliweb.net veröffentlichte eine Studie der französischen Analystin Leslie Varenne, die eine neue antikoloniale Ära in Westafrika zu erkennen glaubt. Frankreich habe dort „keinen Handlungsspielraum“ mehr. Erscheine es „mit unverhülltem Gesicht, gibt es einen Aufschrei, nähert es sich maskiert, wird es entdeckt“, was noch schlimmer sei. Alle französischen Präsidenten bis zu Emmanuel Macron hätten in Afrika „Führer unterstützt, die in den Augen ihrer Bevölkerung nicht legitimiert waren, Verfassungsbrüche bestätigt und manipulierte Wahlen anerkannt“. Afrikaner, „die nach Demokratie streben, bringt das zur Verzweiflung“. Keines der großen Massaker in der Elfenbeinküste, in Mali und in Burkina Faso hätte je westliche Anträge auf Dringlichkeitssitzungen des UN-Sicherheitsrates und eine ähnlich massive Militärhilfe ausgelöst wie das Massaker von Butscha. Das nähmen Afrikaner als Ausdruck von Rassismus wahr.Aus eigener KraftAuf der Plattform Lefaso.net warnen Journalisten und Professoren, dass die Lösung der Probleme von Burkina Faso nicht nur durch diversifizierte ausländische Militärhilfe oder gar – „wie die Straße meint“ – hauptsächlich von Russland bewirkt werden könne. Da Moskau im Ukraine-Krieg gebunden sei und nicht nur Erfolge verzeichne, wäre zu bezweifeln, ob die nötigen Kapazitäten zur Verfügung stehen. Ohnehin sei der Kampf gegen al-Qaida und den Islamischen Staat nur zu gewinnen, wenn es Traoré gelingen sollte, in Armee, Gendarmerie und Polizei genügend Motivation zu erzeugen, um sich aus eigener Kraft zu behaupten. Vor Tagen begann die Rekrutierung von 35.000 Zivilisten für die Verteidigung des Landes.