Countdown für Wahlen oder Kampf bis zum Ende

Libyen Die Hoffnungen für den Staat konzentrieren sich auf eine Konferenz in Berlin
Ausgabe 03/2020
Libysche Kinder in Tripolis, Januar 2020
Libysche Kinder in Tripolis, Januar 2020

Foto: Mahmud Turkia/AFP/Getty Images

Das Vordringen der Libyschen Nationalarmee unter General Khalifa Haftar scheint unaufhaltsam, hat er doch zuletzt die strategisch wichtige Küstenstadt Sirte erobert (siehe auch S. 12). Sein Gegenspieler Fayez al Sarraj, Chef der von den Vereinten Nationen eingesetzten Regierung in Tripolis, glaubt, den Vormarsch nur noch durch Truppen und Waffen aus der Türkei stoppen zu können. Ein aufschlussreiches Momentum; obwohl die UNO ein Waffenembargo gegenüber allen Konfliktparteien in Libyen verhängt hat, darf sich der türkische Präsident derzeit als Erfüllungsgehilfe der Weltorganisation betrachten. Jedenfalls wird er von anderen Ländern, die in Libyen ebenfalls legitime Interessen reklamieren, als solcher respektiert. Weil er trotz gegensätzlicher Allianzen ebenso an anderen sensiblen Fronten mit Russland kooperiert und deeskaliert, durfte Erdoğan denn auch an der in Moskau versuchten Vermittlung teilnehmen, die zu einer Waffenruhe führen sollte und misslungen ist, weil nur al Sarraj unterzeichnet hat. Haftar will offenbar seinen militärischen Vorteil auskosten und verweigerte die Unterschrift unter dem Vorwand, sich mit seinem Stab beraten zu müssen.

Nun konzentrieren sich die Hoffnungen auf eine von der Regierung Merkel für den 19. Januar einberufene Libyen-Konferenz in Berlin, an der außer den beiden libyschen Parteien die UNO, die EU, die Arabische Liga, die Afrikanische Union, dazu die USA, Russland, China, Ägypten, Algerien und wohl auch Tunesien teilnehmen werden. Diese beiden Nachbarländer haben anders als Ägypten, das Haftar unterstützt, während des gesamten Konflikts strikte Neutralität gewahrt. Das hieß, die Position der UNO zu respektieren, die eigenen Grenzen gegen eine Infiltration bewaffneter Gruppen zu schützen und Flüchtlingsbewegungen zu kontrollieren. Besonders die Grenzübergänge nach Tunesien werden seit einem Monat von wohlhabenden libyschen Familien passiert. Sie fliehen aus realen oder potenziellen Kampfzonen und wollen sich im Nachbarland niederlassen.

In Algier wiederum wurden am 7. Januar erstmals der Vizepremier, der Außen- und Innenminister der Haftar nahestehenden, in Tobruk residierenden provisorischen Regierung empfangen. Es gab den gemeinsamen Beschluss, wonach Libyen wieder zu Stabilität und Souveränität zurückkehren müsse. Tunesien und Algerien wollen nicht mehr und nicht weniger als eine zukunftsfähige innerlibysche Lösung. Sie dürften sich bewusst sein, dass es die nicht geben kann, wenn die Truppen Haftars Tripolis gewaltsam einnehmen.

Die Alternative wäre ein politischer Prozess, der zu allgemeinen Wahlen führt. Doch um das zu bewirken, reicht kein Waffenstillstand. Gebraucht wird ein Einlenken der meisten zum Berliner Libyen-Meeting zusammenkommenden Staaten. Sie müssen über ihren Schatten springen und die Eigeninteressen im ölreichen Maghrebstaat zügeln. Denen hat sich die UNO seit der westlichen Militärintervention und dem Gaddafi-Sturz von 2011 nur allzu oft gebeugt. Sie muss endlich zur Kenntnis nehmen, dass die Al-Sarraj-Regierung gescheitert ist, während es Haftar gelang, islamistische Milizen auszuschalten, um eine erste Basis für die Rekonstruktion eines libyschen Staates zu schaffen. Setzt sich dieser Realismus nicht durch, droht aus Tripolis und der umliegenden Region ein zweites Idlib zu werden – ein Rückzugsgebiet besiegter Milizen, die ihre Stellungen nur halten können, wenn sie die ansässige Bevölkerung als lebende Schutzschilde missbrauchen.

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