Riad/Teheran: Aus Konfrontation könnte Koexistenz werden

Entspannung Der saudische Kronprinz Mohamed Bin Salman hat offene Rechnungen mit den USA zu begleichen. Die durch China vermittelte Annäherung an Teheran kommt insofern nicht ganz überraschend
Ausgabe 12/2023
Ein Vertreter Chinas mit Musaa bin Mohammed Al Aiban, Staatsminister Saudi-Arabiens (links), und Ali Shamkhani, Sekretär des Nationales Sicherheitsrats im Iran (rechts), in Peking
Ein Vertreter Chinas mit Musaa bin Mohammed Al Aiban, Staatsminister Saudi-Arabiens (links), und Ali Shamkhani, Sekretär des Nationales Sicherheitsrats im Iran (rechts), in Peking

Foto: Imago/Xinhua

Unter der Schirmherrschaft Chinas haben Riad und Teheran in Peking ein Abkommen unterzeichnet, wonach sie innerhalb der nächsten zwei Monate wieder diplomatische Beziehungen aufnehmen wollen. Die waren 2016 abgebrochen worden, nachdem der schiitische Prediger Nimr al-Nimr in Saudi-Arabien hingerichtet worden war und daraufhin die saudische Botschaft in Teheran von aufgebrachten Iranern gestürmt wurde.

Ob eine bloße Rückkehr zur Normalität bilateraler Beziehungen das Ende der politischen Rivalität bedeutet, in der sich das sunnitisch-wahhabitische Königreich und der Iran seit über 200 Jahren mal mehr, mal weniger befinden, muss dahingestellt bleiben. Der Kampf um regionale Hegemonie nahm mit der Machtergreifung Ayatollah Khomeinis und der Islamischen Revolution von 1979 im Iran erneut Fahrt auf. Beide Staaten schürten gegen und mit dem Westen regionale Konflikte, um Einflusssphären zu behaupten oder auszudehnen.

Es wäre besonders dem Jemen zu wünschen, dass der dort tobende Stellvertreterkrieg endlich durch Verhandlungen beendet wird. Aber auch eine Befriedung Syriens und dessen sich ohnehin abzeichnende Rückkehr in die Gemeinschaft arabischer Staaten würden davon nicht unberührt bleiben. Hier haben Ägypten und die Arabischen Emirate längst das Terrain bereitet.

Der Westen, der die Saudis stets als die mächtigsten Verbündeten in Nahost betrachtete, ist von der jüngsten Annäherung überrascht worden. Man erwartete vielmehr die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Riad und Tel Aviv, sprich: eine entscheidende Ausdehnung des von den USA vermittelten „Abraham-Abkommens“. In dessen Namen haben seit 2020 vier arabische Staaten Israel diplomatisch anerkannt: die Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrain, Sudan und Marokko.

Premierminister Benjamin Netanjahu hatte bei seinem Regierungsantritt im Dezember erklärt, dass offizielle Beziehungen zu Saudi-Arabien für ihn außenpolitisch Priorität hätten. Davon erhoffte er sich nicht nur eine Anerkennung durch weitere arabische und afrikanische Staaten, sondern vor allem eine gestärkte Front gegen den Iran – jetzt muss er sich heftig brüskiert fühlen.

Israels Aggressivität

Kronprinz Mohammed bin Salman hielt sich mit der Übereinkunft von Peking nicht zuletzt an den USA schadlos. Vergeblich hatte er in Washington um ein Abkommen für ein ziviles Atomprogramm und mehr Unterstützung für sein Militär gebeten, unter anderem um ausgesetzte Beschränkungen für den Waffenimport in sein Land. Als treuer Sekundant von US-Ambitionen im Nahen Osten, vorrangig im Irak und in Syrien, steht Saudi-Arabien derzeit eher auf der Verliererseite. Eine neue Strategie zu versuchen, heißt daher Realitäten anzuerkennen.

Schon vor einem Jahr – vielleicht nicht zufällig einen Monat nach Beginn des Krieges in der Ukraine – hatte bin Salman dem US-amerikanischen Magazin The Atlantic im Interview seine Bedingungen für eine Normalisierung der Beziehungen zu Israel genannt. Es müsse, bevor man an den Austausch von Botschaftern denke, „erst seine Probleme mit den Palästinensern lösen“. Und er deutete an, dass eine Normalisierung nicht automatisch eine militante Frontbildung gegen den Iran bedeuten würde: „Der Iran ist nun einmal für immer unser Nachbar. Wir können uns von ihm genauso wenig lösen wie er von uns.“

Schon damals kündigte er Gesprächsbereitschaft gegenüber Teheran an, „um ein gutes Verhältnis zu erreichen“. Sogar von „einer strahlenden Zukunft“ für den gesamten Nahen und Mittleren Osten war die Rede. Bin Salman, der sich die Aufnahme offizieller Beziehungen mit Israel durchaus offenhält, träumt womöglich von einer selbstständig auf Versöhnung einschwenkenden Großregion. Die verstärkte Aggressivität der neuen israelischen Regierung gegenüber den Palästinensern, die von den USA bislang bestenfalls verbal kritisiert, aber nicht gebremst wird, mag den letzten Ausschlag für bin Salmans Kurskorrektur gegeben haben. Sein Königreich hält offiziell an der Zwei-Staaten-Lösung fest.

Am meisten überrascht und verärgert den Westen, dass die Tuchfühlung zwischen Riad und Teheran durch Vermittlung Chinas zustande kam, das sich damit deutlicher denn je als kompetenter Moderator für lange schwelende Konflikte profilieren kann. Das mag dazu führen, dass auch die Zwölf-Punkte-Agenda aus Peking für Verhandlungen um einen Waffenstillstand in der Ukraine auf dem internationalen Parkett weiter an Gewicht gewinnt.

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