Die Machtfrage stellen

Algerien Bei den Demonstrationen geht es nicht mehr allein um Präsident Abdelaziz Bouteflika. Verlangt wird die Abdankung der gesamten politischen Klasse
Ausgabe 11/2019
Protestierende mit der algerischen Nationalflagge bei einer Demonstration gegen eine fünfte Amtszeit des Präsidenten Bouteflika
Protestierende mit der algerischen Nationalflagge bei einer Demonstration gegen eine fünfte Amtszeit des Präsidenten Bouteflika

Foto: Ryad Kramdi/AFP

Es herrscht weltweit Verdruss am langen Verbleib von Politikern im Amt, ein Grund für Stagnation und fehlende Perspektiven der Jugend. Wenn sich nun eine überwältigende Zahl von Algeriern erfolgreich gegen ein fünftes Mandat ihres gesundheitlich angeschlagenen Präsidenten gewehrt hat, waren die Demonstrationen doch kein Zeichen von Unmut über schreiende Armut. Obgleich der Lebensstandard kein mitteleuropäischer ist, war er nie so hoch wie jetzt. Jedoch herrscht keine Gerechtigkeit, und die nach einem Jugendaufstand 1988 eingeführte formale bürgerliche Demokratie ist nicht demokratisch genug, um zu verhindern, dass eine Elite politische Macht zu schamloser Bereicherung missbraucht. Sie garantiert ebenso wenig, die Rendite aus Erdöl und Erdgas für den Aufbau von Verkehrs-, Gesundheits- und Bildungssystem einzusetzen.

Diese Schwächen teilt Algerien mit anderen Ländern, in denen legitimer Protest erreichen will, dass Demokratie weiter demokratisiert wird. Insofern geht es in diesem Fall längst nicht mehr allein um Abdelaziz Bouteflika. Verlangt wird die Abdankung der gesamten politischen Klasse inklusive einer sich als links bezeichnenden Opposition. Ob es dazu kommt? Auf jeden Fall werden die öffentlichen Proteste nicht abreißen, zumal die Macht Bouteflikas durch das Aussetzen der für April vorgesehenen Wahl auf unbestimmte Zeit verlängert wurde. Das birgt die Gefahr, dass die versprochenen Reformen nur der Täuschung dienen, während sich populistische Scharlatane der Regierung bemächtigen. So könnten Islamisten noch einmal ihre Chance wittern, die bis jetzt nicht auf den Plan getreten sind. Doch hat das Land aus dem Leid, verursacht durch die im Bürgerkrieg der 1990er Jahre herrschende Gewalt, viel gelernt. Derzeit wird stetig dazu aufgerufen, gewaltlos zu bleiben. Ein Credo, dem sich ebenso Justiz, Polizei und Armee angeschlossen haben, was an die „Wende“ von 1989 in der DDR erinnert. Waren an deren Auslösung starke politische Akteure von außen beteiligt, gibt es dafür keine Anzeichen in Algerien.

Die EU, besonders Frankreich, störte ein fünftes Mandat für Bouteflika bisher nicht. Es reichte, dass eine in seinem Namen agierende Regierung, Stabilität garantierte und sich beim Aufhalten von Migranten kooperativ zeigte.

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