Türkei und Syrien: Zwei Erzfeinde entdecken sich als Partner

Meinung Über zehn Jahre hat Präsident Erdoğan viel dafür getan, das Regime in Damaskus zu stürzen und dort Muslimbrüder ans Ruder zu bringen. Jetzt steuert er um. Sabine Kebir durchleuchtet die syrisch-türkische Annäherung
Ausgabe 02/2023
Der türkische Präsident Erdoğan strebt eine Partnerschaft mit Syrien an, es stehen schließlich Wahlen an
Der türkische Präsident Erdoğan strebt eine Partnerschaft mit Syrien an, es stehen schließlich Wahlen an

Foto: Adem Altan/AFP via Getty Images

Erneut durchkreuzt der türkische Präsident politische Fahrpläne des Westens. Bislang verhindert er die Aufnahme Schwedens und Finnlands in die NATO. Nun will er Frieden mit Syriens Baschar al-Assad schließen, ausgerechnet durch Vermittlung des Kreml, der damit erheblichen Prestigegewinn einfahren könnte. Ende Dezember gab es in Moskau den ersten Kontakt seit elf Jahren zwischen den Verteidigungsministern und Geheimdienstchefs Syriens und der Türkei. Man einigte sich auf gemeinsame Ausschüsse, um extremistische Gruppen zu zähmen und das Flüchtlingsproblem zu lösen. Auch will Ankara wieder Waren nach Syrien ausführen, die dort dringend gebraucht werden. Damit wäre das von den USA verhängte Cäsar-Gesetz gebrochen, das Länder sanktioniert, die mit Syrien handeln. Dies läge nicht zuletzt im Interesse Ägyptens, das eine Pipeline nach Syrien öffnen möchte.

Erdoğan zeigt chamäleonartige Flexibilität für sein Land als der Brücke Europas zum Nahen Osten. Und er zieht die Konsequenz aus der Einsicht, dass Syrien zwar ruiniert, aber ein Regime Change, der in Damaskus Muslimbrüder regieren lässt, gescheitert ist. Die Türkei soll nun die Lasten dieses regionalen Krieges nicht länger tragen. Schließlich will Erdoğan im Juni wiedergewählt werden und – obwohl er die Türkei selbst re-islamisiert hat – den 100. Jahrestag der Staatsgründung durch den Laizisten Kemal Atatürk pompös begehen.

Nur schadet ihm ein überdehntes militärisches Engagement, das bis nach Libyen reicht und ein Grund der Wirtschaftsmisere ist. Wenn viele Türken gar von Hunger bedroht sind, bieten sich die vier Millionen syrischer Flüchtlinge als Prügelknaben an. Trotz umfangreicher, vor allem deutscher Finanzhilfe bleibt ihre Integration schwierig. Um sie wieder in ihre Heimat zu schicken, riskierte Erdoğan militärische Vorstöße in nordsyrische Gebiete, wo von den USA unterstützte Kurden einen Weg in die Unabhängigkeit suchen. In der türkisch kontrollierten syrischen Region Idlib und in Teilen der Provinzen Aleppo und Afrin sind Kurden bereits von Milizen verdrängt worden, die zuvor von syrischen Regierungssoldaten außer Gefecht gesetzt wurden. Offenbar ist es Erdoğans brachialer Vorsatz, syrische Migranten in die kurdische Zone Rojava zu deportieren.

Deren weltweit von Linken unterstütztes Gesellschaftsprojekt basiert auf Ideen des in der Türkei inhaftierten PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan. Russland hat als Schutzmacht der Regierung in Damaskus stets vor Militäraktionen gegen die syrischen Kurden gewarnt. Zumal für syrische Migranten in der Türkei weder eine Aussiedlung in die Kurdenregionen noch in die von Präsident Assad kontrollierten Gebiete wünschenswert ist. Erdoğan ignoriert den Vorwurf der Geflüchteten, er begehe „Verrat“.

Die syrischen Kurden fürchten in dieser Lage um ihre Autonomie, lehnen aber zugleich das Angebot aus Damaskus ab, sich zur Abwehr einer türkischen Invasion von Regierungstruppen unterstützen zu lassen. Dass diese wieder bis zur Grenze vorrücken, liegt eindeutig in Erdoğans Interesse. Die jahrzehntelang für die PKK durchlässige Demarkationslinie soll möglichst verbindlich und streng überwacht werden. Aushandeln ließe sich das bei einem noch im Januar denkbaren Treffen der Staatschefs Erdoğan und Assad mit Wladimir Putin. Die USA haben bereits gegen einen solchen Gipfel protestiert, von dem man nicht weiß, ob er wirklich stattfindet.

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