Moshe Zuckermann ist Lesern vor allem bekannt als historisch-politischer und psychoanalytischer Interpret des deutsch-israelischen Verhältnisses. Mit seinem gut lesbaren Band Wagner. Ein ewig deutsches Ärgernis offenbart er sich ihnen nun auch als Kunstkritiker mit Tiefgang. Es geht Zuckermann in diesem Komponistenbuch allerdings nicht um ein Plädoyer für oder gegen Richard Wagner. Der 1949 in Tel Aviv geborene Soziologe arbeitet stattdessen Leistungen und Schwächen Wagners heraus und verankert Mensch und Werk im Kontext seiner Zeit. Mit der zeitgenössischen Rezeption von Künstler und Kunstwerk verfährt Zuckermann in gleicher Weise. Auch sie wird in seinem Buch konsequent historisiert. Der so geschichtlich verortete Richard Wagner wird zu einem lohnenden Objekt der Analyse.
Zuckermanns Analyse stellt dabei eine Abkehr von der populistisch-konsumistisch orientierten postmodernen Kulturbetrachtung dar, die oft nur ein einspuriges Geschmacksurteil hervorbringt. Uferlos ist Moshe Zuckermanns Methode allerdings schon deshalb nicht, weil sie auf ihren verschiedenen Beschreibungsebenen den wiederum jeweils historisch spezifischen Horizont der Kämpfe um die Menschenrechte im Blick behält.
Heine näher als gedacht
Zuckermann erinnert daran, dass der linke Jude Heinrich Heine bis in die ersten Jahrzehnte der BRD ein „ewiges deutsches Ärgernis“ war. Meine wie Heine aus Düsseldorf stammende Urgroßmutter nannte ihn „Schmutzfink im deutschen Dichterwald“, was sie nicht daran hinderte, Heines Lied von der Loreley („Ich weiß nicht, was soll es bedeuten“) sehr zu lieben. Da sie nicht die Einzige in diesem Zwiespalt war, erklärten die Nazis es kurzerhand zur deutschen Volksweise. Je anstößiger der Antisemitismus in der BRD wurde, umso mehr wurde die Eingemeindung Heines möglich und die Rolle eines „ewig deutschen Ärgernisses“ ging auf Wagner über. Wie Heines Dichtkunst hat auch Wagner als Künstler bis heute eine große Anhängerschaft. Aber die Fülle seiner überlieferten antisemitischen Äußerungen und Schriften bringt auch rigorose Gegenwehr hervor. Außerdem haftet ihm der Beigeschmack an, dass er Hitlers Lieblingskomponist war. Gegner Wagners ziehen eine direkte Linie vom Menschen und Künstler Wagner zum antisemitischen Eliminierungswahn. Besonders stark ist die Ablehnung in Israel, wo Wagner zum Symbol der kulturhistorisch tief verwurzelten deutschen Schuld an der Shoa wurde und Aufführungsversuche mit dem Argument kritisiert werden, eine Verhöhnung der Opfer heraufzubeschwören.
Keine Reinwaschung hat Zuckermann vor, sondern eine historisch-kontextuelle Untersuchung des Phänomens Wagner, auf den Heines Dichtung nachweislich einen Einfluss ausgeübt hat, etwa in Tannhäuser und Der fliegende Holländer. Der frühe Wagner, der 1849 auf Dresdens Barrikaden stand und dann ins Schweizer Exil musste, stand auch politisch Heine nahe. In seinen Notizen findet sich die Bemerkung, dass „mit der kommenden kommunistischen Ordnung solche historischen Fiktionen wie Monarchie und Erbbesitz verschwinden“ würden und „die erhabene Göttin Revolution“ das „nie geahnte Paradies des Glücks“ errichten werde. Für den Wagner-Biografen Robert Gutmann waren dessen gesellschaftspolitische Vorstellungen aber konfus und infolge seiner Obrigkeitsabhängigkeit anpasslerisch. Seine Revolutionshoffnung wandelte sich in eine Hoffnung auf Erlösung durch die Stärkung deutscher Kunst, deren Schwäche er in mangelndem Engagement der Fürsten für Kunst und Gesellschaft sah. In seiner Schrift Über Staat und Revolution von 1864 führt er das auf den negativen Einfluss von Höflingen und Juden zurück. Letzteren schrieb er – der damals aufblühenden Ideologie der Völkerpsychologie folgend – einen „zersetzenden“ Charakter zu.
Die Aristokratie gänzlich abschaffen wollte er nicht mehr; er forderte ein neues, in seinem Sinne fortschrittliches Königtum. Die Essenzen Volk, König, Theater und Erlösung auf der Basis germanischer Mythologie zu vitalisieren, sah er als Vehikel gesellschaftlicher Genesung an, der er sein Künstlertum verschrieb. Dem entsprach seine Abwendung von autonom verstandener Musik, die er in Beethovens Neunter für unübertreffbar hielt. Besessen vom eigenen Sendungsbewusstsein, wollte er die Oper zum letztlich propagandistischen „Tondrama“ umgestalten, in dem die Musik dem Drama sogar untergeordnet war. Folglich schrieb er nicht nur die – laut Zuckermann – eher mittelmäßige Musik, sondern auch Libretti, Regieanweisungen, revolutionierte die Bühnentechnik und fungierte am liebsten selbst als Theaterdirektor.
Nürnberg oder Traumfabrik?
Ziel war das publikumswirksame „Gesamtkunstwerk“, womit er einen zukunftsträchtigen Topos des künstlerischen Illusionismus schuf, der bis jetzt die Unterhaltungsindustrie prägt, so weit sie auch von Wagner entfernt sein mag: „Die im Subjekt ,verortete‘ Rezeption des Werkes gilt nunmehr als Träger von Affekten, Emotionen und Bedeutungen, nicht mehr wie in der kunstautonomen Primatvorstellung des Kunstwerks als Objekt.“
In der 1850 und 1869 erschienen Schrift Das Judentum und die Musik geißelt Wagner die Juden als Wucherer und erklärt den Kampf um ihre Emanzipation zu abstraktem Liberalismus. Und das Volk empfinde Juden instinktmäßig als Fremde. Auch auf die Musiktradition wirkten Juden wie Mendelssohn und Meyerbeer „zersetzend“, weil selbst „ein Jude von reichster spezifischer Talentfülle (…) kein einziges Mal die tiefe, Herz und Seele ergreifende Wirkung“ hervorbringen könne, „die wir von der Kunst erwarten“. Es klingt tatsächlich wie ein Vorgriff auf den Nazi-Wahn, wenn Wagner den Juden empfahl, „durch Selbstvernichtung“ am „wiedergebärenden Erlösungswerk“ teilzunehmen. Im wirklichen Leben kooperierte Wagner mit Juden. Er gab zu, dass Meyerbeer ihn materiell unterstützt hatte, nahm Spenden von Juden für Bayreuth entgegen und akzeptierte – wenn auch widerstrebend – Hermann Levi als Dirigenten der Parsifal-Uraufführung.
Auch mit jüdischen Kritikern ging er mehr oder weniger zivilisiert um. Noch erstaunlicher ist sein Engagement für den russischen Pianisten Joseph Rubinstein, der ihm wiederum „sklavisch ergeben“ war und eineinhalb Jahre nach Wagners Tod Suizid beging.
Auch wenn Wagner das Judentum als „erstaunlichstes Beispiel von Rassen-Konsistenz“ bezeichnete, sollte man ihn laut Zuckermann nicht als direkten Vorläufer des rassenbiologisch begründeten eliminatorischen Vorgehens der Nazis sehen, das sich zu Wagners Zeit, die faktisch eine Zeit der Emanzipation war, überhaupt niemand vorstellen konnte.
1819, als Wagner fünf war, war es mit den Hep-Hep-Unruhen zu den letzten gewaltsamen Ausschreitungen gegen jüdische Gemeinschaften gekommen. Es vergingen knapp 120 Jahre bis zur Pogromnacht. Sein unappetitlicher Antisemitismus habe sich auf assimilierte, intellektuelle Juden bezogen, die er – so meint die Rezensentin – wohl auch als kulturelle Konkurrenz kleinhalten wollte. Auch in Marxens Schrift Zur Judenfrage sei das Ziel der „Emanzipation der Menschheit vom Judentum“ oft nicht als Metapher für die Aufhebung kapitalistischer Verhältnisse, sondern als antisemitisch gedeutet worden. Wem diese Rezeptionsanalogie zwischen Wagner und Marx zu gewagt erscheint, dem bietet Zuckermann das Beispiel der ideologischen Anfänge des Zionismus an, dessen emphatische Absage an die Assimilation als „Untergang der Diaspora“ beschworen wurde. Ein neuer, wehrhafter Jude sollte seinen Nationalstaat errichten. „Auch da wurde von ,Autoemanzipation‘ geredet, beispielsweise bei Leo Pinsker, von einer auferlegten Selbstvernichtung (des diasporischen Juden) zugunsten des zionistischen Erlösungswerks.“ Angesichts der Geringschätzung, die Überlebende der Shoa lange in Israel genossen hätten, und der Tatsache, dass es sich schon ein Jahrzehnt später mit dem Land ihrer Urheber ausgesöhnt habe, hält Zuckermann die Wagner-Feindschaft für ein aufgesetztes Ideologem.
Das Buch untersucht auch die Stichhaltigkeit antisemitischer Motive in Wagners Opern. Zuckermann wird erneut dort anecken, wo der völkische Antisemitismus in völkischen Philosemitismus umgeschlagen ist, so viel ist klar. Gipfel der Provokation ist wohl die Bemerkung, dass nicht sicher sei, ob Wagner Nazi geworden wäre: „Anzunehmen ist eher, dass er nach Hollywood gegangen wäre.“
Info
Wagner, ein ewig deutsches Ärgernis Moshe Zuckermann Westend 2020, 144 S., 18 €
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