Der Algerienkrieg tobte bereits vier Jahre. Die Aufständischen wurden als "Terroristen" bezeichnet oder auch nur als "Ratten". Neun Zehntel der Bewohner Algeriens galten nicht als citoyens, sondern als sujets, Subjekte. Ihre in die Illegalität gezwungenen politischen Parteien hatten jahrzehntelang nichts anderes gefordert als die vollen Bürgerrechte für Muslime, die ihnen die Republik der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit verweigerte. Nach dem Zweiten Weltkrieg war nur ein Zweikammerwahlrecht eingeführt worden, in dem eine europäische Stimme acht muslimische Stimmen wog. Nur zehn Schüler einer Klasse durften Muslime sein. Das zahlenmäßige Verhältnis zu den Algerienfranzosen war aber umgekehrt. Nur jeder zehnte algerische Familienvater hatte Einkommen.
Ein ungleicher Kampf
Am 1. November 1954 waren an fünf verschiedenen Orten gleichzeitig Bomben explodiert - der Auftakt des bewaffneten Kampfes für die Unabhängigkeit. Die Front de Libération Nationale (FLN) verfügte nur über Gewehre zweifelhafter Qualität und selbstgebastelte Bomben, mit denen allerdings verheerende Anschläge verübt wurden, ab 1956 auch von jungen, unverschleierten Frauen.
Die meisten Algerienfranzosen meinten, dass die Gleichberechtigung der Muslime nicht hinnehmbare Nachteile für sie mit sich bringen würde. Da die Politik das Problem nicht lösen wollte, war es zur Sache der Armee geworden. Die sozialistische Provinzregierung unter Robert Lacoste hatte ihr alle polizeilichen Kompetenzen übertragen und die Zwangsumsiedlung einer Dreiviertel Million Menschen in militärisch kontrollierte Lager bewirkt. So sollte die Unterstützung für die FLN unterbunden werden. Riesige Territorien wurden mit Bombenteppichen belegt, enorme Waldflächen mit Napalm verbrannt.
Doch die französische Armee wurde mit dem Aufstand nicht fertig, obwohl sie ihre Niederlage von Dien Bien Phu, die den Abzug Frankreichs aus Indochina besiegelte, um jeden Preis wettmachen wollte. Verschärft setzte sie die im Indochinakrieg erfundenen Kampfmittel ein. 1957 - während der Schlacht von Algier - wurden 24.000 vermeintliche Kader und Sympathisanten der FLN mittels Elektrofolter verhört. 3.000 verschwanden spurlos. Obwohl die Stadtguerilla ausgeschaltet war, konnten die Rebellen von den Dörfern aus jederzeit wieder zuschlagen.
In Marokko und Tunesien waren riesige Flüchtlingscamps und Ausbildungslager entstanden. Obwohl die Grenzen mit elektrisch geladenen Stacheldrahtzäunen gesichert waren und französische Flugzeuge die Lager bombardierten, erfolgten auch von dort nadelstichartige Aktionen. Die Zerstörung des tunesischen Dorfes Sakhiet am 18. Februar 1958, bei der 79 Menschen ums Leben kamen, war schließlich Anlass, Frankreich auf der Konferenz von Tanger international zu ächten und es zum Rückzug aus allen Kolonien aufzufordern.
Die Erfolglosigkeit der militärischen Operationen und die wachsende Panik der Algerienfranzosen trugen entscheidend zur chronischen Instabilität der IV. Republik bei: Im April 1958 führte die 20. Regierungskrise zum Rücktritt von Premierminister Gaillard. Die in Algerien operierenden Generäle waren nur die Speerspitze einer auch in der Metropole virulenten Bewegung für eine autoritäre Lösung. Viele sahen in Charles de Gaulle, der an der Spitze der Forces Françaises Libres im Zweiten Weltkrieg die Nation schon einmal gerettet hatte, eine geeignete Führungsfigur. Er hatte erreicht, dass die Souveränität des durch Amerikaner und Engländer befreiten Frankreichs sofort wieder hergestellt und die Integrität des französischen Weltimperiums anerkannt wurde. Nachdem 1953 seine Versuche, eine Verfassung durchzusetzen, die die Macht des Präsidenten gegenüber der Nationalversammlung stärken sollte, gescheitert waren, hatte er sich nach Colombey les Deux-Églises zurück gezogen. Er und seine Partei, das Rassemblement du Peuple Francais, warteten aber nur auf die Gelegenheit, die Macht zu ergreifen.
Ein neues Dien Bien Phu?
Auch die algerische Provinzregierung von Lacoste war am Ende. Neben der martialischen Geste hatte er hin und wieder auch Milde gezeigt, als er beispielsweise das Todesurteil für die Terroristin Djamila Bouhired in lebenslängliche Haft umwandelte. Aber sowohl die Generäle als auch die Algerienfranzosen forderten auf einer Demonstration am 8. Mai 1958, hart durchzugreifen. Beim Abendessen ließ Lacoste die Generäle unmissverständlich wissen, dass ihnen ein diplomatisches Dien Bien Phu bevorstehe. Die verblüfften Militärs beschlossen, das Schicksal der Nation selbst in die Hand zu nehmen.
Am Morgen des 9. Mai sandte General Raoul Salan ein Telegramm nach Paris, das an den Oberbefehlshaber der Armee, General Ely, gerichtet, aber für Coty, den Präsidenten der Republik, bestimmt war. Er warnte davor, dass jede auf die Unabhängigkeit Algeriens zielende Aktion von der Armee als unhinnehmbare Schmach empfunden würde. Fett gedruckt folgte die Drohung: "Ihre Reaktion der Verzweifelung wäre unkalkulierbar." "Wir, junge Offiziere", erinnerte sich der junge Fallschirmjägerkapitän Chabanne, "haben einen entscheidenden Schritt getan und die Regeln der militärischen Disziplin durchbrochen, die eigentlich unsere Bibel darstellen. Aber warum es verheimlichen - wir waren für eine Idee entflammt, die wir für das Anliegen der Nation hielten."
Robert Lacoste begriff, dass er weder Rückendeckung durch den Präsidenten noch durch seine eigene Partei erwarten konnte. Am 10. Mai gab er sein Amt auf und kehrte nach Paris zurück. Das war jedoch nicht im Sinne der Generäle, die ihn zu ihrer Marionette machen wollten. General Jacques Massu begleitete Lacoste zum Flugplatz und versuchte bis zur letzten Minute, ihn umzustimmen - vergebens.
Die Verschwörung
Die Geschichtsschreibung der westlichen Kerndemokratien erinnert sich ungern an operettenhaft wirkende, tatsächlich aber cäsaristische Einschnitte in ihre Geschichte und weist Verschwörungstheorien weit von sich. Im Falle der V. Republik aber räumen nicht nur die Historiker, sondern auch zahlreiche beteiligte Militärs ein, dass der Putsch am 13. Mai 1958 und die "Volksempörung" als populistisches Spektakel genau geplant waren. Capitaine Chabanne erfuhr schon am 12. Mai von General André Petit, dass er alsbald in eine "Revolution für de Gaulle" verwickelt werden würde.
In Algier hatten die Generäle für den 13. Mai einen Generalstreik und eine Trauerkundgebung für drei von der FLN exekutierte französische Militärangehörige angeregt, ergänzt durch ein Defilée von Kriegsveteranen und Gaullisten in Paris. Auf dem Höhepunkt der Demonstration wollten sie sich als Schirmherren eines Comité de salut public erklären. In einer letzten Amtshandlung hatte Lacoste erfolglos versucht, diese Demonstration zu verbieten. Am Morgen des 13. Mai unterrichtete der Generalsekretär der Polizei von Algier, Paul Teitgen, den Generalkonsul der USA, die sich für die von der FLN geforderte Unabhängigkeit einsetzten, vom Plan der Generäle und zog den Vergleich zu Franco, dessen Putsch ebenfalls von Nordafrika ausgegangen war. Doch alle Bemühungen waren vergeblich, die Regierung in Paris reagierte nicht.
Ab 13 Uhr bewegte sich eine Großdemonstration von Algerienfranzosen in das Zentrum von Algier. Aus Lautsprechern war zu hören, Algerien stünde in Paris zum Ausverkauf an. "Algérie française!" wurde skandiert und auch "Die Armee an die Macht!" Als die Menge das Regierungsgebäude stürmte, wies Salan die Fallschirmjäger an, nichts dagegen zu unternehmen. So flogen alsbald Papier und Schreibmaschinen aus den Fenstern, begeistert begrüßt von fanatisierten Menschen, die glaubten, mit dem Untergang der IV. Republik sei das Algerien-Problem zu lösen. Schließlich zeigten sich die Generäle Massu, Trinquier und Thomazo auf dem Balkon und verkündeten die Gründung des Wohlfahrtskomitees. Paris wurde aufgerufen, ebenfalls eine "Regierung des öffentlichen Wohls" zu installieren, "die fähig ist, Algerien als integralen Bestandteil der Republik zu bewahren".
Am 1. Juni wurde de Gaulle von Coty zum Ministerpräsidenten ernannt. Am 4. Juni zog er unter Konfettiregen triumphal in Algier ein. Die begeisterte Menge skandierte erneut: "Algérie Francaise!". Weil er ihr sein berühmtes: "Je vous ai compris" - "Ich habe euch verstanden" zurief, befremdete es offenbar nur wenige, dass er gleichzeitig gleichberechtigte Wahlen für alle Einwohner Algeriens ankündigte. Die Generäle allerdings zweifelten bald daran, die richtige Person an die Macht gehievt zu haben. De Gaulle übertrug ihnen zwar offiziell jene zivilen Vollmachten für die Provinz, die sie bereits usurpiert hatten, stellte aber auch klar, dass er das Oberkommando beanspruche: "Algerien, das bin ich!"
Anfang vom Ende
Die beabsichtigte Doppeldeutigkeit seines Auftretens löste bei den Afrikanern leise Hoffnungen aus. Der tunesische Präsident Bourguiba bekundete gegenüber dem französischen Express: "Es wird sich schnell zeigen, ob es de Gaulle ... gelingt, die "reaktionäre Woge", die ihn an die Macht gebracht habe, "zu bezwingen und seinem Land neue Größe zu geben ...Wenn das aber bedeutet, das wir klein bleiben müssen, ist das nicht gut."
De Gaulle indessen erwies sich als Machiavellist. Obwohl er den für die Militärs und die Algerienfranzosen entscheidenden Schritt, Algerien endgültig zum Teil des Mutterlandes zu erklären, verweigerte, ließ er den Krieg - einschließlich der Folter - noch vier weitere Jahre toben. Offenbar ging er davon aus, dass die Armee nur unter Kontrolle zu halten sei, wenn sie vor einer militärischen Niederlage "bewahrt" würde. Gleichzeitig bereitete er aber auch Verhandlungen mit der algerischen Exilregierung vor.
Die von Linken wie Sartre damals prognostizierte Entwicklung Frankreichs in Richtung einer faschistoiden Bananenrepublik konnte de Gaulle nur knapp verhindern. Die sich betrogen fühlenden Generäle unternahmen 1961 noch einmal einen Putsch. Er misslang, aber die paramilitärischen OAS-Aktivisten eröffneten die mörderischste Phase des Krieges, die den im Friedensabkommen von Evian vereinbarten Verbleib der Algerienfranzosen unmöglich machte.
Die Verfolgung der zunächst teilweise zum Tod verurteilten Putschisten wurde allerdings nie ernsthaft betrieben. Marie Monique-Robin dokumentiert, dass die französische Regierung den Anführern der OAS vielmehr Renten zahlte oder ihnen durch ein Geheimabkommen zu einem vergoldeten Exil zum Beispiel in Argentinien verhalf. Die argentinische Regierung war an den Erfahrungen der Helden der Schlacht von Algier für die Zerschlagung ihrer linken Opposition interessiert. Auf diese Weise wurden die für Kolonialkriege entwickelten Foltertechniken auf ein formal demokratisches Land übertragen. Die alten OAS-Kader übernahmen bald eine rege Vortrags- und Lehrtätigkeit auch in anderen lateinamerikanischen Ländern, schließlich auch in den USA. Diese wiederum machten sich die von den Franzosen entwickelten Praktiken im Vietnam-Krieg dienstbar.
Zum Weiterlesen:
Ives Courrière La guerre d`Algérie. L´heure des colonels, Paris 1970.
Jean Daniel De Gaulle et l´Algérie, Paris 1986.
Marie-Monique Robin Escadrons de la mort, l´école française, Paris 2004
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