Marokkogate: Wie der afrikanische Staat die EU besticht

Korruption Marokko hat die Westsahara annektiert. Damit das die Wirtschaftsbeziehungen zur EU nicht trübt, ist Lobbyarbeit in Brüssel nötig: Rabat erkauft sich dort den Zuspruch für seine völkerrechtswidrige Annexion
Ausgabe 11/2023
Demonstrant:innen gehen in Madrid gegen die völkerrechtswidrige Annexion der Westsahara durch Rabat auf die Straße
Demonstrant:innen gehen in Madrid gegen die völkerrechtswidrige Annexion der Westsahara durch Rabat auf die Straße

Foto: Imago/Zuma Wire

Die Korruptionsaffäre im EU-Parlament, die zur Absetzung seiner Vizepräsidentin Eva Kaili führte, wird vorrangig mit massiver Bestechung von Seiten Katars in Verbindung gebracht. Das Emirat habe versucht, heißt es, gegen ein schlechtes Image anzugehen, das durch mangelnde Arbeitnehmerrechte beim Bau von Wettkampfstätten der Fußball-WM 2022 entstanden war. Während das medial immer wieder angeprangert wurde, blieb und bleibt seltsam unterbelichtet, dass neben „Katargate“ auch ein nicht minder skandalöses „Marokkogate“ aufgedeckt wurde, bei dem es um die von Rabat völkerrechtswidrig annektierte Westsahara ging. Aufmerksamkeit erregt „Marokkogate“ allerdings in Italien, wohin einige Spuren führen, und in Algerien, die Schutzmacht von Flüchtlingen aus der Westsahara, ihrer Exilregierung und deren bewaffnetem Arm, der Polisario. Nicht allein die UNO, auch die EU haben die Besatzung in der 1975 von Spanien unabhängig gewordenen Westsahara nicht anerkannt und unterstützen formal die Abhaltung eines Referendums, das über den Status des Gebietes entscheidet.

Nur kam das bis heute nicht zustande, da es von westlichen Voten in der UNO blockiert und damit der marokkanische Anspruch unterstützt wird, dass all jene Marokkaner an einem solchen Votum teilnehmen dürfen, die zwischenzeitlich in der Westsahara angesiedelt wurden. Dort sind nicht nur zahlreiche Firmen aus Europa aktiv, dort halten die USA zusammen mit afrikanischen Staaten mittlerweile gar Militärmanöver ab. Umstände, die dazu führen, dass völkerrechtliche Prinzipien für dieses Territorium – es hat etwa die Größe Deutschlands und ist reich an Ressourcen – von der wirtschaftsaffinen EU-Politik missachtet werden. Bereits 2007 kam es zu Absprachen über ein Fischereiabkommen, wonach Marokko der EU die Befischung sahrauischer Atlantikgewässer zugestand. Das 2019 geschlossene Agreement wurde 2021 vom Internationalen Gerichtshof gekippt. Andere Projekte der EU und Marokkos, bei denen die Westsahara stillschweigend einbezogen ist, blieben davon unberührt: bei der Solarenergie wie den seit 2018 laufenden Agrarimporten.

Dass im EU-Parlament derartige Übereinkünfte wohlwollend durchgewinkt werden, soll maßgeblich auf den ehemaligen italienischen EU-Deputierten Pier Antonio Penzieri zurückgehen. In von ihm, seiner Frau und der Tochter genutzten Brüsseler Wohnungen stellte die belgische Polizei 1,5 Millionen Euro in bar sicher. Panzieri pflegte enge Beziehungen zu Regierungs- und Geheimdienstkreisen in Marokko. Er war gut befreundet mit Aberrahim Atmoun, einst Co-Präsident der Marokkanisch-Europäischen Kommission in Brüssel, gegenwärtig Botschafter in Polen. Panzieri und Atmoun kümmerten sich zwei Jahrzehnte lang um weit gespannte Netzwerke in- und außerhalb des EU-Parlaments. Wer sich für freundschaftliche Beziehungen mit Marokko einsetzte, wurde mit großzügigen Geschenken und Luxusreisen belohnt. Weil ihre Verwicklung in „Marokkogate“ offensichtlich ist, stehen die italienischen EU-Abgeordneten Andrea Cozzolino und Marc Tarabella derzeit unter Hausarrest und warten darauf, an Belgien ausgeliefert zu werden.

Spanien mauert

Unter dem Eindruck der Einflussnahme Marokkos auf Abgeordnete verabschiedete das EU-Parlament am 16. Januar eine Resolution, in der erstmals seit 25 Jahren angeprangert wurde, dass im Reich Mohammeds VI. Menschenrechte verletzt, politische Gegner eingekerkert und gefoltert werden, zudem von Pressefreiheit keine Rede sein kann. Jedoch wurden keinerlei Sanktionen verhängt, noch nicht einmal eine eingeschränkte Visavergabe angekündigt.

Es läuft eine Untersuchung, inwieweit die Auswahl geeigneter Kandidaten für die breit angelegte Korruption über das von Marokko genutzte israelische Spionagesystem Pegasus stattfand. Spanien, das am meisten für die Anerkennung der Annexion der Westsahara eintritt, hat diese Initiative Brüssels nicht unterstützt. Wegen seiner Enklaven Melilla und Ceuta ist es an reibungslosen Beziehungen zu Marokko besonders interessiert. Außenminister Naser Bourita hat es als „falsches Kalkül“ bezeichnet, „die partnerschaftlichen Beziehungen zwischen Marokko und der Europäischen Union“ schädigen zu wollen.

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