Mit der erneuten Zusage an Premier Allawi, Angehörige seiner Marionettenarmee ausbilden zu wollen, läuft Deutschland Gefahr, auf Seiten der USA nun doch in den irakischen Sumpf gezogen zu werden. Dabei war schon die Einladung des Chefs der Übergangsregierung eine überflüssige Konzession an "die letzte verbleibende Großmacht" - nicht zuletzt deshalb, weil Allawi, sollten die vorgesehenen Wahlen nur halbwegs regulär sein, die Regierungsgewalt an einen Schiiten wird abgeben müssen, der in seiner Biographie bislang nichts mit den USA zu tun hatte. Auch dass Deutschland großzügig auf die Rückzahlung irakischer Schulden verzichtet, kommt derzeit nur der Besatzungsmacht zugute. Aber das war wohl nicht der Grund, weshalb die betroffenen Firmen kurz aufmuckten. Sie brauchten eine Weile, um zu begreifen, dass den Schaden nicht sie, sondern die geduldigen Steuerzahler tragen werden.
Und die mucken nicht. Die Zeit der Demonstrationen gegen den Irak-Krieg ist einer bleiernen, stillen Verzweiflung gewichen, die auch den Beschluss im Bundestag ermöglichte, wonach künftig Kleinsteinsätze der Bundeswehr bei "unstrittigen Mandaten" gegebenenfalls ohne Parlamentsdebatte stattfinden können. Dass "Kleinsteinsätze" bei der heutigen Effizienz der Waffensysteme niemals eine Kleinigkeit darstellen und nun schneller möglich sind - diese Gefahr wird billigend in Kauf genommen.
Die Folterspiele in der Bundeswehr zeigen überdies, dass man sich dort offenbar seit geraumer Zeit Gedanken um die für Auslandseinsätze notwendige Stählung der Soldaten macht. Daran ist besonders beunruhigend, dass die Öffentlichkeit nicht geklärt wissen will, wofür überhaupt geübt wird - ob gelernt werden soll, Folter zu ertragen oder selbst auszuüben. Dabei wird der Krieg gegen den Islam nicht nur nach außen, sondern zusehends auch nach innen auf eine Weise geführt, die man nur tollkühn nennen kann.
Eine Regierung muss sich bei verbalen Attacken gegen einen Teil ihrer Bevölkerung naturgemäß zurückhalten. Schon nach dem I. Weltkrieg widmete sich in Deutschland die Rechte der vornehmeren Aufgabe des Kulturkampfes, während die Sozialdemokratie über Jahre hinweg für die exekutive Schmutzarbeit zuständig war. So ist es heute wieder. Nachdem der Sozialismus als innerer und äußerer Feind besiegt ist, wird ein weiterer Sündenbock ausgemacht, dessen Sitten und Instinkte angeblich undeutsch sind und - welch merkwürdiger Zufall - erneut als orientalisch diffamiert werden. Damals war es der jüdische Weltbolschewismus, heute ist es ein nebulös als al Qaida umschriebener Weltbund des Islam. Ihm heimlich nahe zu stehen, wird plötzlich auch der größten in Deutschland lebenden Gruppe der Muslime unterstellt, den Türken nämlich. Und das geschieht, obwohl in der Türkei sogar unter muslimischer Regierung eine striktere Trennung zwischen Staat und Religion herrscht als hierzulande.
Sollte es tatsächlich terroristische Netzwerke in Deutschland geben, müsste das die CDU/CSU zur Selbstkritik veranlassen - unter ihrer Regierungsverantwortung wurde Deutschland zum Ruheraum derartiger Strukturen. Stattdessen schürt die christdemokratische Opposition den Generalverdacht gegen Muslime schlechthin, die an ihrer kulturellen und sozialen Ausgrenzung nun auch noch selber schuld sein sollen.
Noch infamer als die rassistische Instrumentalisierung mangelnder Sprachkenntnisse ist der erneute Gebrauch einer Keule namens Leitkultur. Selbst wenn man einmal versucht, in diese Richtung mitzudenken, fällt es schwer zu begreifen, was das überhaupt sein soll. Seit Jahren können wir uns angeblich gerade die Institutionen nicht mehr leisten, die eine Voraussetzung sein müssten, wenn es sie gäbe: die Kinderbibliotheken, das Jugendzentrum im Dorf, das Theater in der nahe gelegenen Stadt. Die großen Stadtbibliotheken wären der ideale Kommunikationsraum der Zivilgesellschaft, gerade auch, wenn die sich aus verschiedenen Kulturen zusammensetzt. Ausgerechnet hier regiert ein gnadenloser Rotstift.
So gut oder so schlecht der Wunsch gemeint sein mag, Muslime in eine wie auch immer gedachte deutsche Leitkultur zu integrieren, er greift zu kurz und dient nur dazu, die Gewaltinstinkte beleidigter Menschen zu wecken: marginalisierter Deutscher und Ausländer gleichermaßen. So hat der 11. September, auf den der Westen auch deeskalierend hätte reagieren können, in überraschendem Tempo zum Verfall zivilisatorischer Werte geführt. Hier die Schuldfrage zu stellen, wer denn angefangen habe, ist blauäugig. In den sich durchsetzenden gewaltsamen Formen der Konfrontation besteht kein Verhältnis mehr zwischen der Schuld des vermuteten Auslösers und der entfesselten Gewalt des Stärkeren. Höchste Zeit also, dass die zivilgesellschaftlichen Potenziale zu internationalen Aktionsformen finden, um die von der Menschheit bereits angetretene Höllenfahrt zu beenden.
Ein ermutigender Schritt ist die Klage, die das amerikanische Center for Constitutional Rights am 30. November beim Generalbundesanwalt in Karlsruhe gegen Verteidigungsminister Rumsfeld, Ex-CIA-Direktor Tenet und weitere US-Politiker erhoben hat, weil eine strafrechtliche Verfolgung der im Irak verübten Menschenrechtsverbrechen in den USA selbst unmöglich scheint. Nur wenigen ist bewusst, dass die Bundesrepublik seit 2002 ein Völkerstrafgesetzbuch besitzt, wonach unverjährbare Verbrechen gegen das Völkerrecht durch deutsche Justizbehörden verfolgt werden können. Das VStGB ist universell gültig, muss aber - so das Kleingedruckte - nicht zwingend zur Anwendung kommen, wenn Opfer und Täter keine Deutschen sind. Dass dieses Gesetzeswerk jedoch bei entsprechendem öffentlichen Druck angewendet werden kann, muss als Chance der so dringend erforderlichen Rekonstruktion des Völkerrechts begriffen werden.
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