Gebt ihnen Asyl

Syrien In der Provinz Idlib droht eine humanitäre Katastrophe. Der Westen könnte helfen
Ausgabe 25/2019
Ein syrisches Mädchen und ein syrischer „Weißhelm“ suchen Schutz vor einem Luftangriff in Idlib
Ein syrisches Mädchen und ein syrischer „Weißhelm“ suchen Schutz vor einem Luftangriff in Idlib

Foto: Nazeer Al-Khatib/AFP/Getty Images

Dieses Terrain sei „das letzte Rückzugsgebiet der Rebellen“, heißt es immer wieder. Nun wird die Provinz Idlib seit Wochen von der syrischen und russischen Luftwaffe angegriffen. Bahnt sich damit eine humanitäre Katastrophe an wie seit der Schlacht um Aleppo im Herbst 2016 nicht mehr? Sicher ist das zu befürchten, doch gäbe es Wege, ein solches Desaster zu verhindern, außer der unrealistischen, an die Regierung Syriens gerichteten Aufforderung, auf die Souveränität über diese Region zu verzichten.

Es ist daran zu erinnern, dass Idlib an die Türkei grenzt und seit 2011 von dort Zehntausende von islamistischen Rebellen aus vielen Ländern sowie große Mengen an Waffen nach Syrien geschleust wurden. Es sollte ebenso nicht vergessen werden, dass jene Freischärler, die in anderen, zwischen ihnen und der Regierungsarmee umkämpften Gebieten aufgaben, freies Geleit zugesichert bekamen und erhielten. Unter Mitnahme persönlicher Waffen, begleitet von der Familie, konnten sie in Busse steigen, die sie nach Idlib brachten. Da sich dort noch ein riesiges Arsenal an schweren Waffen befand, war absehbar, dass diese Provinz zu einer Festung mit eigenen Interessen mutieren würde.

Eben deshalb kam es im September 2018 zwischen Russland und der Türkei zu einer Vereinbarung, die Idlib zur Deeskalationszone erklärte. Russland versprach, dass die syrische Armee die Provinz nicht angreifen werde, während Ankara zusagte, bewaffnete Formationen würden umliegende Orte und Militärbasen nicht mit Raketen oder Drohnen attackieren. Schon nach kurzer Zeit allerdings begannen von Idlib aus Angriffe auf Aleppo, Latakia und Stellungen der Regierungsarmee. So musste früher oder später auch mit Gegenschlägen gerechnet werden. In eine Zwangslage geriet dabei die Zivilbevölkerung. Zwar stehen der nach wie vor „humanitäre Korridore“ zur Flucht nach Süden offen, da aber im Unterschied zu Idlib den von Damaskus kontrollierten Gebieten bislang internationale Nothilfe verweigert wird, herrscht hier erheblicher Mangel. So wandten sich die Menschen der Türkei zu, die ihre Grenze jedoch abgeriegelt hat. Ein absehbares Szenario, die Zeit seit dem Herbstabkommen hätte von den westlichen Verbündeten der Rebellen genutzt werden können, für Idlib eine annehmbare Lösung anzubieten. Der Türkei ist nun einmal nicht zuzumuten, allein mit der nächsten großen, problematischen Flüchtlingswelle konfrontiert zu werden.

Was momentan gebraucht wird, sind daher Auffanglager, in die sich auch Kombattanten zurückziehen können. In derartigen Camps wiederum müsste die Möglichkeit bestehen, Asylanträge für die Länder zu stellen, aus denen heraus die Aufständischen früher unterstützt wurden. Da wären diverse EU-Staaten gefragt, ebenso Saudi-Arabien und die Golfemirate, nicht zuletzt die USA. Da ein solcher Ausweg nicht im Geringsten erwogen wird, muss in der Tat mit katastrophalen Folgen für die Zivilbevölkerung in Idlib gerechnet werden.

Blockade im Suezkanal

Noch ist es für eine humanitäre Lösung, die den Namen verdient, nicht zu spät, schließlich wurde am 12. Juni eine Waffenruhe mit der syrischen Armee ausgehandelt. Angesichts des eskalierenden Konflikts zwischen den USA, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten einerseits und dem Iran andererseits, der auch Syrien in Mitleidenschaft zieht, könnte sich eine entschlossene Idlib-Offensive der Regierungsarmee schon bald empfehlen. Wie sehr die beiden potenziellen Schlachtfelder miteinander in Verbindung stehen, lässt sich mühelos der Lage am Persischen Golf entnehmen. Dass der Iran so unklug ist, dort Schiffe seiner Gegner nadelstichartig anzugreifen, ist wenig wahrscheinlich. Gesichert ist aber eine von den Medien verschwiegene Eskalation im Roten Meer und am Suezkanal: Das von den Saudis abhängige Ägypten verhindert dort seit Wochen, dass iranische Tanker über den Suezkanal Öl nach Syrien liefern.

Wenn die Bundesregierung auch verbal versucht, dem heraufziehenden Großkonflikt entgegenzuwirken, steht sie für den Ernstfall doch fest an der Seite der USA, Saudi-Arabiens und der Golfemirate, wie das Kanzlerin Merkel versichert hat, als sie am 12. Juni den Kronprinzen von Abu Dhabi empfing.

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