Nur für kurze Intervalle ist die in westliche Vororte Algiers führende Autobahn freigegeben. Ansonsten werden über die Trasse 22 Delegationen geschleust, die zum Gipfel der Arabischen Liga präsent sind. Warum diese Zumutung, fragen sich stundenlang an der Heimkehr gehinderte Bürger. Warum nehmen die Herrschaften keine Helikopter? Ist die Sorge vor Attentaten der Grund? Die von der Presse in Algier geschürte Erwartung, dass Marokkos König Mohammed VI. und der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman anreisen würden, bestätigte sich nicht – es kamen nur Minister. Während sich der Prinz aus gesundheitlichen Gründen entschuldigte, hieß es aus Rabat, der Monarch habe eine Begegnung mit Brahim Ghali, dem Präsidenten der Westsa
tsahara, vermeiden wollen. Ein vorgeschobenes Problem, die Westsahara ist noch kein Mitglied der Arabischen Liga. Zudem stellte der Gipfel weniger diesen Streit als mehr den israelisch-palästinensischen Konflikt ins Zentrum.Die Abschlusserklärung sprach von „unveräußerlichen Rechten der Palästinenser auf Freiheit, Selbstbestimmung und einen unabhängigen Staat“ sowie das „Recht auf Rückkehr und Entschädigung für die palästinensischen Flüchtlinge gemäß der von der UN-Vollversammlung 1948 beschlossenen Resolution 198“. Dazu wollte der Gipfel den von Präsident Mahmud Abbas Anfang September auf seiner Pressekonferenz in Berlin angekündigten Antrag auf UN-Vollmitgliedschaft geschlossen gutheißen. Der Zeitpunkt scheint günstig, denn die Nichtanerkennung von Russlands Annexion ost- und südukrainischer Gebiete durch zahlreiche Staaten hatte nicht zuletzt den Grund, dass diese auch andere, dem Völkerrecht zuwiderlaufende Abspaltungen ablehnen, etwa die Einverleibung arabischer Gebiete durch Israel und der Westsahara durch Marokko, wo nicht einmal „Scheinreferenden“ stattgefunden haben, weil sie aussichtslos wären. Zu erinnern ist weiter daran, dass die Trennung des Kosovo von Serbien nicht einmal durch alle EU-Staaten anerkannt ist. Dass die Arabische Liga sich mehr für die palästinensische Sache exponiert, war schon deshalb erforderlich, weil die scheidende israelische Regierung seit Monaten militärische Offensiven im Westjordanland veranlasst hat, die allein im Oktober zu 22 palästinensischen und zwei israelischen Opfern führten. Zu befürchten ist, dass die neue Regierung unter Benjamin Netanjahu die Konfrontation noch verschärft.Treffen Fatah-HamasDie Erklärung von Algier ist weniger unflexibel, als sie klingt. Zwar wird an den Vorschlag des einstigen israelischen Premiers Jitzchak Rabin „Frieden für Land“ erinnert und dessen Gültigkeit auch für die von Israel besetzten Gebiete Syriens und des Libanon bekräftigt. Aber zwischen den Zeilen ist zu lesen: Wir werden die durch einige arabische Staaten vollzogene diplomatische Anerkennung Israels nicht verurteilen. Durch einen solchen Schritt die Beziehungen mit Israel zu beruhigen, ist für die arabische Welt eine denkbare Option. Sie bedeutet nicht, Israels willkürliche Grenzziehungen und das Deklassieren der arabischen Bevölkerung hinzunehmen. Möglich war diese Flexibilität auch durch mehrere, zuletzt in Algier abgehaltene Versöhnungstreffen zwischen Fatah und Hamas, zu denen sich ab Mitte Oktober noch der Islamische Dschihad gesellte. Unumstößlich sind Wahlen für die Palästinenser im kommenden Jahr. Das Mindeste, was dazu auch Israels Verbündete fordern sollten: Die Teilnahme der Einwohner Ostjerusalems darf nicht behindert werden. So unwahrscheinlich es scheinen mag – eine neue Regierung in Ramallah hat die Chance, die Karten neu zu mischen.Des Weiteren erklärten viele arabische Staaten, man sollte Syrien wieder integrieren und eine Freihandelszone werden. Man wolle als Region eine atomwaffenfreie Zone bleiben. In der sich nach dem Krieg in der Ukraine abzeichnenden multipolaren Weltordnung sehen sich die arabischen Staaten als geeint auftretender Player. Als dessen wirksamstes Mittel erweise sich derzeit der Abgleich in der Energiepolitik. Ausdrücklich wurde Saudi-Arabiens Absage an das Verlangen von US-Präsident Joe Biden unterstützt, sich für höhere Förderquoten flüssiger und gasförmiger Kohlenwasserstoffe einzusetzen, um die Weltmarktpreise zu drücken – ein Signal auch an die Weltklimakonferenz in Kairo. Vom russischen Außenminister Sergej Lawrow war zu hören, dass Moskau die Erklärung von Algier begrüße und besonders bei den palästinensischen Anliegen helfen wolle.