Künstler in der DDR: Heinrich Bethkes herrliches Gewebe

Malerei Ein Bildband zeigt die Arbeiten des Künstlers und Freigeistes Heinrich Bethke. Wieso musste er in der DDR niederste Arbeiten vollbringen, anstatt in Ausstellungen gezeigt zu werden?
Ausgabe 08/2023
„Ostseebuch“, späte 1960er, Schulmalfarben, Roggenkleister, Papier, ­Pappe, handgeleimt und -gebunden, 15,3 × 11 × 4,5 cm
„Ostseebuch“, späte 1960er, Schulmalfarben, Roggenkleister, Papier, ­Pappe, handgeleimt und -gebunden, 15,3 × 11 × 4,5 cm

Foto: Rahel Miles

Schlaue Autoren, Theaterleute und Rockmusiker in der DDR schafften es immer wieder, die vorgegebenen Spielräume auszuweiten. Bei bildnerischen Künsten wie Film und Malerei war das viel schwerer, weil deren Abweichungen schnell zu erkennen sind. Wer aus der Reihe tanzte, konnte kein entsprechendes Studium antreten und lebte ausgegrenzt.

So wie der 1937 in Charlottenburg geborene Heinrich Bethke. Obwohl er sich weder politisch noch künstlerisch weit vom Vorgegebenen entfernte, bestand er auf künstlerischer und Gedankenfreiheit. Trotzdem musste er seiner Arbeitspflicht in niedersten Anstellungen nachkommen: bei der Post, als Erntehelfer oder Hilfslehrer. Doch seine Wohnung in der Berliner Tucholskystraße wurde ein Ort, wo er, unterstützt von seiner Frau Ricarda, frei „weben, malen, werkeln“ konnte. Die Staatssicherheit wunderte sich: „Der B., Karl-Heinrich, gab sich im Wohngebiet als Kunstmaler aus.“ Entstanden war jedoch ein weit über das „Wohngebiet“ hinaus strahlendes Gesamtkunstwerk in progress. Die Wohnung in der Tucholskystraße wurde ein Treffpunkt für Freigeister, die, soweit sie noch im offiziellen Kunstbetrieb tätig sein konnten, am Rande der Dissidenz segelten, wie Barbara Honigmann, Peter Kahane, Einar Schlef, Lothar Trolle, die Brasch-Brüder und Katharina Thalbach.

2001 musste die Wohnung aufgelöst werden. Aus der selbstgebauten Pilgerstätte, die sie im Osten immerhin hatten betreiben können, wurden die Bethkes von Mietspekulanten vertrieben. Nur noch Fotos existieren von diesem mythischen Ort.

Heinrich Bethke mit „Überfahrt über den Styx“ auf dem Hof der Tucholskystraße, 1980er

Foto: Privatarchiv Unger

Rahel Melis hat nun einen Bildband über den Kosmos Bethke herausgebracht, der fast alle Gattungen bildender Kunst umfasst. Durchweg ist das Bestreben zu spüren, die ideologisch verkomplizierte Welt wieder auf die einfachen Formen eines gesunden Alltagsverstandes zu bringen. Mal mit Humor, mal mit Bitterkeit.

Gelebt wird trotz allem!

Am eindrücklichsten ist Bethkes Malerei und Weberei. Aber jedes Stück beeindruckt. Er zimmerte auch Möbel mit Schnitzereien, ummantelte Bücher mit neuen, wild gestalteten Umschlägen, fertigte spontanphilosophisch unterfütterte Grafik- und Malbücher aus selbstgeschöpftem Papier, bemalte große und kleine Truhen, letztere aus Stullenbrettchen hergestellt. Auch seine Webstühle baute er selber, darauf schuf er Teppiche, oft aber auch leichte, fast transparente Läufer, Decken und Aufhängbares in kräftigen, aber magisch in sich stimmigen Farbkombinationen, selten ganz abstrakt. Meist tauchen zwischen den in sanften Wellen verschwimmenden Grundmustern menschliche Gesichter, Tiere oder ganze Körper auf, die sich nie wiederholen. Die herrlichen Gewebe zählten nicht nur in der Tucholskystraße zum täglich Gebrauchten.

Stilistisch könnte man Bethke am ehesten als Expressionisten bezeichnen, dessen Schrei allerdings verstummt war. Gelebt wird trotz allem! Da er ein begnadeter Zeichner war, dem jeder Strich beim ersten Streich gelang, konnte er auch beim pastosen Malen jede reale Form mühelos in eine vereinfachte, abstrahierte Form bringen. Sein Selbstporträt hingegen lässt an die üppig-realistische Malweise von Lucian Freud denken. Zeichnungen und Grafiken ergänzte Bethke gern mit Aquarellfarben.

Heinrich Bethke 1980 in der Wohnung in der Tucholskystraße

Foto: Privatarchiv Bethke

Kurz nach Maueröffnung performte er, als clowneskes Pferd verkleidet, auch in der Öffentlichkeit. Weshalb man versucht sein könnte, ihn als Joseph Beuys des Ostens zu sehen. Aber davon ist ebenfalls abzusehen, weil er viel besser malte und zeichnete als Beuys. Auch hätte er wohl nicht dessen Mantra geteilt, dass jeder Künstler sei oder werden könne. Nach der „Wende“ konnten zwar einige, auch größere Ausstellungen seiner Werke organisiert werden. Aber für einen Durchbruch in den Kunstbetrieb fehlten – wie den meisten Künstlern aus der DDR – die Netzwerkbeziehungen.

Das Künstlerpaar wurde später auch aus seiner immer noch sehr schön durchgestalteten Wohnung in der Greifswalder Straße vertrieben. Heinrich Bethke starb 2013 in einer winzigen Umsetzwohnung. Seine Kunstwerke existieren noch, die meisten aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang gerissen, irgendwo untergestellt. Wenn Melis befürchtet, dass Bethkes Werkkörper „in zu viele Richtungen weist, um von Kunsthistorikern ernst genommen zu werden“, wird sich das hoffentlich als falsch erweisen.

Kosmos Bethke Rahel Melis (Hrsg.) bierke books 2022, 80 S., 28 €

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