Worauf die Kritik an Olaf Scholz eigentlich zielt

Nahost Mit seiner Holocaust-Äußerung hat Mahmud Abbas für einen Skandal gesorgt. In der Aufregung und der Kritik an Olaf Scholz geht unter, wie viel Sprengstoff in seinen anderen Statements liegen
Mahmud Abbas und Olaf Scholz bei der gemeinsamen Pressekonferenz
Mahmud Abbas und Olaf Scholz bei der gemeinsamen Pressekonferenz

Foto: Jens Schlueter/AFP via Getty Images

Normalerweise gilt der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmud Abbas, kaum als provokant. Als er jedoch vergangenen Dienstag, am Ende der Pressekonferenz mit Bundeskanzler Olaf Scholz, „50 Massaker, 50 Holocausts“ erwähnte, die Israel seit 1947 in palästinensischen Orten verübt hätte, lieferte er damit vielen – einschließlich der Medien – ein willkommenes Skandalon, um der Diskussion über die eigentlichen Äußerungen aus dem Weg zu gehen.

Abbas bedankte sich mehrfach überschwänglich für die humanitäre Hilfe, die Deutschland den Palästinensern zukommen lässt, und dafür, dass die deutsche Regierung an ihrer Politik der Verurteilung des Siedlungsbaus und der Zweistaatenlösung in den Grenzen von 1967 festhalte. Scholz bestätigte in seinen Statements, dass seine Regierung in diesen Punkten die Kontinuität langjähriger deutscher Politik fortsetze. Übereinstimmung herrschte auch im Bekenntnis zu einer nur in Verhandlungen zu erreichenden Friedenslösung. Gewaltfreiheit sei der wichtigste Pfeiler der Politik seiner Regierung, betonte Abbas mehrfach – ebenfalls überschwänglich.

Der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde ging so weit, indirekt sogar die Möglichkeit einer Ein-Staaten-Lösung mit gleichen Rechten für Palästinenser und Israelis einzuräumen, von der freilich nicht zu erwarten sei, dass Israel sie in dieser Form akzeptieren würde. Da zur Zeit nur ein Apartheid-Staat in Aussicht stehe, bliebe den Palästinensern nichts anderes übrig, als einen eigenen zweiten Staat anzustreben. Vom Begriff der Apartheid distanzierte sich Scholz im Namen der deutschen Israel-Politik.

Hamas bereitet sich auf eine politische Rolle vor

Mahmud Abbas sprach auch von der Vorbereitung der von Scholz angemahnten palästinensischen Wahlen. Unerwähnt blieb, dass die Palästinenser diesen Wahlen durch die im Juli in Algier besiegelte Versöhnung von Fatah und Hamas einen wichtigen Schritt näher gekommen sind . Ein weiteres Indiz dafür, dass sich Hamas auf eine in erster Linie politische Rolle vorbereitet, war ihre Zurückhaltung bei dem Schlagabtausch zwischen Israel und den Palästinensergebieten Anfang August. Allerdings wird das Abhalten von palästinensischen Wahlen auch von Israel behindert, weil es der Teilnahme der Bürger des annektierten Ostjerusalem nicht zustimmt.

Obgleich Abbas klar sein dürfte, dass die von ihm vielgelobte deutsche Politik rein verbaler Natur ist und keine praktischen Folgen zeitigt, stellt ihr Beharren auf Positionen des Osloer Abkommens für die palästinensische Seite einen Wert dar. In multilateralen Friedensbemühungen käme Deutschland eine Schlüsselrolle zu, behauptete Abbas, womit er eher auf Möglichkeiten als auf Realitäten anspielte. Die USA hätten von den 700 in der UNO und den 90 im Sicherheitsrat zugunsten der Palästinenser eingebrachten Resolutionen bislang keine unterstützt. Wo bleibe eine amerikanische Friedensinitiative? In der wohl illusorischen Hoffnung, dass Deutschland – gemäß seiner proklamierten Politik – aktiver werden könnte, lud Abbas Scholz zu einem Besuch der Autonomiegebiete ein.

Ziel der Kritik: Ein Dammbruch der deutsch Nahost-Politik

Abbas kündigte an, demnächst in der UNO aufzutreten und zu fordern, dass alle Staaten, die Israel anerkennen, auch einen palästinensischen Staat anerkennen sollten. Das käme der Proklamation eines palästinensischen Staates gleich, die Jassir Arafat am Ende seiner Regierungszeit ebenfalls in Erwägung gezogen hatte. Sie nicht umgesetzt zu haben, war wohl sein größter politischer Fehler.

Die Statements von Mahmud Abbas bargen also weitaus mehr realen Sprengstoff als seine Holocaust-Relativierung, zu der er am Folgetag erklärte, dass dieser „das abscheulichste Verbrechen der modernen menschlichen Geschichte“ bleibt. Politiker und Medien, die den auch in Fragen des Kriegs in der Ukraine als zu zögerlich beschuldigten Scholz anklagten, darauf nicht sofort angemessen reagiert zu haben, zielten in Wirklichkeit auf einen Dammbruch der deutschen Nahost-Politik. Sie soll sich auch verbal vom Ziel palästinensischer Emanzipation verabschieden.

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