Die Kairo-Rede des Barack Obama halten viele seiner regelmäßigen Kommentatoren für die bislang wichtigste außenpolitische Botschaft der derzeitigen US-Administration. Und sie haben nicht Unrecht. Der „Krieg der Kulturen“, den die USA mit dem Beistand etlicher Alliierter auf blutige Weise gegen die islamische Welt geführt haben, erscheint für diesen Präsidenten nicht nur deshalb verfehlt, weil er nicht zu gewinnen ist, sondern weil damit universelle Prinzipien der Gleichheit und Reziprozität zwischen Menschen und Zivilisationen geleugnet werden.
Der schwarze Christ Obama mit dem islamischen Vornamen Barack Hussein gab sich folglich in Kairo Mühe, das freundliche Gesicht der janusköpfigen Globalisierung hervorzukehren. Ob er den für 2012 zugesagten Rückzug aus dem Irak, den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern oder den Atomstreit mit Iran ansprach – es wurde stets für Verhandlungen geworben, in denen auf Augenhöhe und ohne Vorbedingungen geredet werden soll. Heftigen Widerspruch erntete er damit nur bei israelischen Siedlern und den al-Qaida-Führern Osama bin Laden und Aiman al Sawahiri. Die palästinensischen Führer von Fatah und Hamas glauben dagegen, die Rede sei Anlass zu verhaltenem Hoffen. Die israelische Regierung gab zu verstehen, der Kairo-Auftritt hätte schlimmer ausfallen können. Realiter stärkt Obama die oppositionelle Kadima-Partei, die für eine Zwei-Staaten-Lösung plädiert.
Schöne Worte, keine Konzepte
Die mit vielen Zitaten aus Bibel, Thora und Koran versehene Friedensgeste von Kairo hatte auch einen nicht zu unterschätzenden innenpolitischen Wert für die USA, wo acht Millionen Muslime wohnen, die seit dem 11. September 2001 schweren Diskriminierungen ausgesetzt sind. Dass auch muslimische Immigranten in anderen westlichen Ländern nun erwarten, nicht länger kollektivem Verdacht unterworfen zu sein, zeigt die positive Reaktion des Zentralrats der Muslime in Deutschland.
Süffisant bis skeptisch klingt der Begleitchor des Westens für Obama, wenn suggeriert wird, es wurden zwar schöne Worte gefunden, im Grunde aber keine Konzepte. Man brauche nur an das hehre Ziel einer atomwaffenfreien Welt zu denken. Dabei sollte gerade den journalistischen Aposteln von Diskurstheorie und Political Correctness klar sein, dass für den, der in der Politik das Ruder herumreißt, eine deutliche Sprache am Anfang steht.
Außer Frage steht, dass der Weg hindernisreich ist. Der erste praktische Schritt, den Obamas Regierung unternommen hat, um den von den USA selbst schwer beschädigten Prinzipien neue Glaubwürdigkeit zu geben, war der Verzicht auf den Boykott des UN-Menschenrechtsrats. Seit April gehören ihm die Amerikaner wieder an und akzeptieren damit, selbst kritisiert zu werden. Auch dass Außenministerin Clinton am 5. Mai erklärte, die USA würden sich bemühen, dass nicht nur Indien und Pakistan, sondern auch Israel den Atomwaffensperrvertrag unterschreiben werde, deutet auf Sinneswandel. Seit 1969 bestand zwischen dem Pentagon und Israel das Agreement, über dessen Nukleararsenal nicht öffentlich zu sprechen. Wenn Israelis das taten, wurden sie mit empfindlichen Strafen bedacht.
Paradigma Buchenwald
Enttäuschend war, dass Obama in seiner Kairoer Rede dabei blieb, an der US-Präsenz in Afghanistan fest zu halten, womit auch die Fortführung von offenen oder verdeckten Einsätzen der US-Armee in Pakistan verbunden ist. Dafür gibt es keine Rechtfertigung, aber vielleicht eine Erklärung. Die Situation Obamas lässt sich mit der Charles de Gaulles vergleichen, der zu seinem Amtsantritt 1958 entschlossen war, den Krieg in Algerien zu beenden und das Land in die Unabhängigkeit zu entlassen. Aber es drohte ein Putsch des durch die vernichtende Niederlage in Indochina gedemütigten Militärs, das den Kolonialkonflikt in Nordafrika um jeden Preis für sich entscheiden wollte. Mit einer militärischen Offensive in einem politisch bereits verlorenen Krieg verschaffte der General seiner Armee den Erfolg, die Guerilla nach Tunesien oder Marokko abzudrängen und im Innern Algeriens fast völlig stillzulegen. Es könnte also sein, dass Obama den US-Streitkräften aus ähnlichen Gründen keinen parallelen Rückzug aus dem Irak und aus Afghanistan zumuten kann. Bei solcherart Ehrenrettung wird allerdings mit Tod, Flucht und Verelendung Hunderttausender kalkuliert.
Eine positive Überraschung war Obamas Rede bei seinem von der Regierung Merkel mit gemischten Gefühlen bedachten Besuch des einstigen Konzentrationslagers Buchenwald. Er hatte sich diesen Lokaltermin nach seinem Auftritt in Kairo nicht nur gewünscht, weil er hier auf den historischen Grund der Nähe zwischen den USA und Israel verweisen wollte. Da der damalige alliierte Oberbefehlshaber, General Eisenhower, 1945 veranlasst hatte, die Leichenberge und die zur Besichtigung gezwungenen Einwohner Weimars zu filmen, spielt das Lager im kollektiven Gedächtnis der USA bis heute eine große Rolle. Wie das auch in der DDR der Fall war, die Buchenwald würdigte, weil dort bis zur Befreiung im April 1945 ein kraftvolles Netz politischen Widerstands existiert hat. Der Präsident erinnerte um so mehr an das Paradigma Buchenwald, das geholfen habe, Rassenhass zu überwinden. Er würdigte auch – und das ausführlich – den Widerstand im Lager. Dem war es zu verdanken, dass zum Erstaunen der Befreier 900 Kinder die Hölle des Lagers überleben konnten. Sie hatten nicht nur zusätzliche Nahrung erhalten, sondern auch Schulunterricht.
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