Weder die Ausschnüffelung der globalisierungskritischen Netzwerke noch die groteske Überrepräsentanz der Ordnungskräfte haben die Stellvertreterschlacht von Rostock verhindert. Sie war vorhersehbar und lieferte im Vorfeld des eigentlichen G8-Gipfels den willkommenen Anlass, in den folgenden Tagen noch rigorosere Kontrollen und Polizeipräsenz zu rechtfertigen. Auch wurde das Ziel erreicht, dass Protest und Repression die Medien weltweit mehr beschäftigen als die Themen des Gipfels: Die als medienfähig erachteten Vertreter der Globalisierungskritiker müssen, wenn sie überhaupt gefragt werden, zu einem Geschehen Stellung nehmen, mit dem sie selber nichts zu tun hatten.
Wenn in den sechziger Jahren ...
... ein Staatschef eines "sozialistischen Bruderlandes" die DDR besuchte, wurde eine Zeremonie eingeleitet, die das genaue Gegenteil von Heiligendamm darstellte: das Volk war aufgerufen, möglichst zahlreich den Gast längs der "Protokollstrecke" vom Flughafen Berlin-Schönefeld bis zum Marx-Engels-Platz zu begrüßen. Ich erinnere mich, dass ich als Herrenschneider-Lehrling beim VEB Fortschritt einmal mitsamt meiner ganzen Schicht zwei Stunden früher Feierabend machen konnte, weil Leonid Breschnew, damals Partei- und Staatschef der Sowjetunion, im offenen Wagen durch die Stadt gekarrt wurde. Ein Teil der Kollegen, Frauen allzumal, ging lieber nach Hause. Als Jungwissenschaftlerin an der Akademie der Wissenschaften sollte ich Jahre später - ebenfalls während der Arbeitszeit - gemeinsam mit meinen Kollegen den tschechoslowakischen Präsidenten Gustav Husak am Streckenabschnitt Frankfurter Allee in Berlin-Lichtenberg begrüßen. Viele von uns waren Anhänger des kurz zuvor niedergeschlagenen Prager Frühlings und verweigerten das Klatschen.
So gekünstelt diese Volksempfänge waren, viel Attentatsgefahr scheint von ihnen nicht ausgegangen zu sein, denn es genügten vergleichsweise wenige Volkspolizisten, um Sicherheit zu garantieren. Geliebt waren diese Regierungschefs beileibe nicht. Aber augenscheinlich war auch die ihnen entgegen gebrachte Ablehnung nicht zu vergleichen mit der Wut, die heute Ereignissen wie dem G 8-Gipfel in Heiligendamm entgegenschlägt. Durch die egalitäre Absicherung der materiellen Grundbedürfnisse erreichte der Sozialismus offenbar eine erhebliche Abflachung des gegen den Staat gerichteten Gewaltpotenzials. Sogar die Abschaffung der Staatsmacht selber gelang schließlich im Herbst 1989 durch nahezu gewaltfreie Reformbewegungen. Dass damals der Staats kaum zurückschlug, hatte nichts damit zu tun, dass er die Mittel dazu nicht gehabt hätte.
Die Frage drängt sich auf ...
... weshalb ein System, das sich demokratisch nennt, seine Polizisten vorsätzlich auf solche Weise verheizt wie es am vergangenen Wochenende in Rostock geschehen ist? Und wieso lassen Polizisten sich überhaupt in solch eine Stellvertreterschlacht manövrieren? Und auch den gewalttätig Protestierenden musste doch wohl klar sein, dass es sich nicht um eine Revolution, sondern um ein Simulationsritual handelte, auf das sie sich - ähnlich wie die Polizei - sportsmäßig vorbereitet hatten. Ob der Einzelne aus Spaß am Krawall oder aus politischer Überzeugung handelte, ist ebenso unergründbar wie das für die persönlichen Motive von Polizisten gilt. Unbestreitbar aber ist, dass Letztere den Part von Merkel, Blair, Bush Co spielten. Und ihre Gegner den der beleidigten und daher aggressiven Menschheit?
Abstreiten lässt sich nicht, dass die derzeit Mächtigen keine überzeugenden Konzepte vorweisen, um die materiellen und politischen Grundbedürfnisse einer Weltbevölkerung abzusichern. Statt dessen wird Gewalt gesät und zugleich die Mär verbreitet, Gegengewalt sei verhinderbar durch Erziehung oder gar durch beharrliches Predigen von religiösen Friedensbotschaften. Wer sich davon nicht überzeugen lässt, der darf sich Hoffnungen auf bald verfügbare aggressionshemmende Pharmaka machen oder gar auf Möglichkeiten, die demnächst die Gentechnik eröffnet.
Unterschlagen wird dabei freilich systematisch die Diskussion um den maßlos angewachsenen Terror der Ökonomie, der auch in den so genannten reichen Ländern die Lebensbedingungen vieler Menschen in einen äußerst prekären Zustand versetzt hat. Es herrscht hier die selbe strukturelle Gewalt, die für die rasant wachsende Gefährdung der Umwelt verantwortlich ist.
Und noch etwas: Weder die Angriffswaffen für Kriege gegen Völker noch die aktuellen Ausrüstungen der Polizei stehen in einem rationalen Verhältnis zu den Kampfmitteln der Gegenbewegungen. Nichts kann deutlicher zeigen, dass es die Mächtigen sind, die den Dialog nicht wollen. Dass es im Kampf unter diesen Umständen politisch korrekt zugehen muss, können nur Scheinheilige fordern.
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